Härte statt Hilfe

(aus Hinz&Kunzt 119/Januar 2003)

Justizsenator Roger Kusch verschärft den Strafvollzug. Der Sicherheit in der Stadt hilft das kaum. Nicht nur Gefangene protestieren gegen die Verschärfung, sondern auch namhafte Ärzte und Juristen.

Hinter Gittern rumort es. An einem Montag im Dezember meldeten sich Gefangene der Justizvollzugsanstalt II („Santa Fu“) kollektiv krank und erschienen nicht zur Arbeit. Nach Behördenangaben waren es rund 50, nach Angaben aus der Anstalt weit mehr als 100 Häftlinge. Sie wurden ärztlich untersucht – ohne Befund. Den Rest des Tages mussten die Streikenden in ihren Zellen verbringen.

Kein dramatischer Vorfall. Aber ein Hinweis auf die Unruhe unter Gefangenen. Denn die politischen Vorgaben von Justizsenator Roger Kusch (CDU) verändern den Hamburger Strafvollzug: Die Gangart wird härter.

Junkies im Knast

Drogenkonsum ist Alltag im Knast. Die Justizbehörde geht mit schärferen Kontrollen und Sanktionen dagegen vor, hat den Spritzentausch abgeschafft und fährt das einzige drogentherapeutische Angebot, die Substitution, zurück. „Verstärkter Druck auf die Abhängigen löst keines ihrer Probleme“, sagt dagegen Klaus Behrendt, leitender Arzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen im Klinikum Nord und Geschäftsführer der Hamburger Drogenambulanzen.

„Schwerstabhängige tun alles, um weiter zu konsumieren“, so der Arzt. Sie würden sich zum Beispiel prostituieren und noch höher verschulden, um an Stoff zu gelangen. Spritzen werden laut Behrendt im Gefängnis hoch gehandelt, über Monate verwendet und mit Margarine gangbar gemacht. Sogar angefeilte Kugelschreiberminen dienen demnach als Injektionsnadeln. Durch gemeinsame Benutzung der Spritzen steige das Risiko von HIV- und Hepatitis-Infektionen, so der Arzt. Behördensprecher Kai Nitschke hält dagegen: „Abhängige, die Hilfe brauchen, bekommen sie nach wie vor.“

Großgefängnis Billwerder

Hamburg hat derzeit rund 3.100 Haftplätze. Fast jeder vierte ist im offenen Vollzug, während es im Bundesdurchschnitt nur jeder sechste ist. Diesem Mittelwert wird sich Hamburg bald annähern: In Billwerder entsteht ein Großgefängnis mit etwa 500 zusätzlichen Plätzen – überwiegend geschlossen.

Hintergrund: Der Senat rechnet mit einem „weiterhin starken Anstieg der Gefangenenzahlen“ in Hamburg – aufgrund einer „Intensivierung der Strafverfolgung und der Verhängung von mehr und längeren Haftstrafen“. Billwerder sei „eine kostenintensive Fehlplanung“, sagt dagegen der ehemalige Abteilungsleiter in der Justizbehörde, Gerhard Rehn. „Für viele Gefangene ist geschlossener Vollzug nicht erforderlich.“

Weniger Lockerungen

Ausgang und Urlaub werden eingeschränkt. Im Jahr 2001 gab es rund 6.800 Bewilligungen, in den ersten neun Monaten 2002 waren es nur noch 3.789. Als Erfolg des neuen Kurses verbucht die Justizbehörde, dass Ausgang und Urlaub weniger missbraucht werden, Gefangene also pünktlich in die Haftanstalten zurückkehren. Die Statistik zeigt allerdings, dass Missbräuche seit 1996 kontinuierlich abnehmen – also auch schon unter Kuschs Vorgängern.

Geplant ist außerdem, Telefonate von Häftlingen stärker zu kontrol-lieren, ihre Bewegungsfreiheit im Knast zu begrenzen und Besuchs-zeiten zu kappen – auch, um Personal zu sparen. Diese Maßnahmen sorgen vor allem in „Santa Fu“ für Unruhe, wo bisher relativ groß-zügige Regeln gelten.

Gnade eingeschränkt

Erklärtes Ziel des neuen Senats war es auch, die angeblich „ausufernde Gnadenpraxis“ (Koalitionsvertrag) einzudämmen. In Hamburg hatte sich über Jahre eine für Gerichte, Staatanwaltschaft, Justizvollzugsanstalten, Polizei, Rechtsanwälte und soziale Einrich-tungen gut funktionierende Gnadenpraxis entwickelt. So konnte im Einzelfall bei besonderen Härten schnell geholfen werden. Im Septem-ber wurde die Gnadenabteilung, die vorher beim Landgericht angesie-delt war, zur Staatsanwaltschaft verlegt. Behördensprecher Kai Nitschke begründet dies mit „höherer Effizienz“. Böse Zungen behaupten, dass jetzt alle positiven Entscheidungen Roger Kusch vorgelegt werden müssen. Nitschke bestreitet das vehement.

Ob ein Haftbefehl vollstreckt oder aus bestimmten Gründen, wie beispielsweise bei einer schweren Krankheit, ausgesetzt wird, darüber entscheiden im Vorwege die Vollstreckungsdezernenten der Staatsan-waltschaft. Unter der rot-grünen Regierung galten Schwangerschaft und Mutterschaft bei geringen Strafen als Härtefall oder als Gnaden-grund. Das scheint sich geändert zu haben. Alleine im Oktober und November saßen insgesamt fünf junge Mütter im Knast, teils mit, teils ohne ihre Säuglinge (H&K 118).

Neue Grundorientierung

„Haft darf kein Luxusurlaub sein“: Mit solchen Äußerungen macht Senator Kusch Stimmung für mehr Härte gegenüber Gefangenen. „Ziel des Strafvollzugs ist Resozialisierung und Behandlung“, sagt dagegen der Hamburger Kriminologie-Professor Klaus Sessar. Der offene Vollzug solle die Regel sein, so schreibe es das Gesetz vor. Weil der Justizsenator in die entgegengesetzte Richtung marschiert, werfen ihm Sessar und andere Juristen „Abkehr von den gesetzlichen Grundlagen“ vor.

Mehr Sicherheit?

Macht Kuschs harte Linie Hamburg sicherer? Nein, meint das „Forum Hambur-ger Strafvollzug und Straffälligenhilfe“, dem neben Behrendt, Rehn und Sessar weitere Juristen, Ärzte und Gewerkschafter ange-hören. Wer nur auf Verwahrvollzug setze und Wiedereingliederung gering achte, schaffe nicht mehr, sondern weniger Sicherheit, so das „Forum“. Denn die Gefangenen würden „aggressiver und lebensun-tüchtiger entlassen, als sie es vorher waren“. Ein riskanter Kurs – denn fast jeder „Weggesperrte“ gelangt eines Tages wieder in die Freiheit.

db/bim

Weitere Artikel zum Thema