Ab November schützt das Winternotprogramm der Stadt Obdachlose vor dem Erfrieren. Doch die Kritik am Konzept ist groß – und beschäftigt sowohl Sozialarbeiter und Fachleute als auch die Hamburgische Bürgerschaft.
Man könnte es als Erfolg bewerten: Das Winternotprogramm für Obdachlose war im vergangenen Winter nur zu 67 Prozent ausgelastet – ein Rückgang um 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und sogar um 22 gegenüber dem davor. Sind also weniger Menschen auf den Erfrierungsschutz angewiesen? Die andere Deutung: Von den mehr als 2000 Obdachlosen in der Stadt wollen oder können immer weniger die zusätzlichen Notunterkünfte im Winter nutzen.
Als am Dienstag Sozialarbeiter und Fachleute auf einer Veranstaltung aus der Reihe „Gerechte Stadt“ im Haus 73 darüber diskutierten, freute sich niemand von ihnen über den Rückgang. „Die Behörde macht es für immer mehr Menschen immer schwerer, hineinzukommen“, beklagte etwa Dirk Hauer, Leiter des Fachbereichs Migration und Existenzsicherung bei der Diakonie.
„Die Behörde macht es für immer mehr Menschen immer schwerer, hineinzukommen.“– Dirk Hauer, Diakonie
In der Kritik steht etwa die so genannte Wärmestube, ein Raum in dem Obdachlose auf dem Boden schlafen müssen. Dorthin werden zum Beispiel Menschen verwiesen, die in Hamburg zwar auf der Straße schlafen, aber womöglich im Herkunftsland eine Unterkunft haben.
Auch Beratungsgespräche im Winternotprogramm, die von manchen als Zwang empfunden werden, stoßen auf Kritik. Denn ihr Ergebnis kann auch sein, dass Menschen von den Unterkünften abgewiesen werden. Uwe Giffei, der für die SPD-Bürgerschaftsfraktion auf dem Podium saß, erklärte, dass solche „Steuerungsmechanismen“ eingeführt wurden, um einen Missbrauch des Winternotprogramms zu verhindern. Aber er räumte ein: „Das trifft auch Menschen, die das Winternotprogramm brauchen.“
Linke in der Bürgerschaft wollen ganztägige Öffnung
Am Mittwoch war Thema in der Bürgerschaft, wie das Winternotprogramm zu verbessern wäre. Die Linksfraktion beantragte wie schon in den Vorjahren, die beiden Notunterkünfte in Friesen- und Kollaustraße auch tagsüber für alle Obdachlosen unabhängig von ihrer Herkunft zu öffnen – so wie die Wohncontainer, die über den Winter bei Kirchengemeinden und anderswo stehen. Schließlich seien Obdachlose „aufgrund ihrer Lebenssituation physisch und psychisch erschöpft“ und bräuchten deshalb „auch tagsüber Wärme und Ruhe“, so der Antrag. Ein Anliegen, das auch Hinz&Kunzt und Sozialverbände seit Jahren teilen, mit dem sich die Linken aber vermutlich auch in diesem Jahr nicht werden durchsetzen können.
„Es wird nicht gelingen, die Probleme innerhalb eines Jahres zu lösen.“– Uwe Giffei, SPD
Auch der CDU geht die Forderung nach einer ganztägigen Öffnung zu weit. Sie schlug im Parlament einen Kompromiss vor: Ein Bus-Shuttle solle die Obdachlosen von den Notunterkünften bis direkt zu den Tagesaufenthaltsstätten fahren, statt wie bisher nur in die Innenstadt. Das Problem allerdings: Diese Einrichtungen haben unregelmäßige Öffnungszeiten, keine hat ganztägig geöffnet, viele öffnen erst deutlich später als das Winternotprogramm schließt – und es gibt dort zu wenige Plätze.
Eine Entscheidung über die Anträge ist noch nicht gefallen. „Es wird nicht gelingen, die Probleme innerhalb eines Jahres zu lösen“, orakelte SPD-Politiker Giffei im Haus 73. „Wir werden sehen: Es gibt Fortschritte, aber es gibt auch noch viel Kritik.“