Die Möbelhilfe Süderelbe ist Hamburgs ältester Recyclingdienst für Gebrauchtmöbel – Blick auf einen Markt in Bewegung
(aus Hinz&Kunzt 152/Oktober 2005)
Die gemütliche Eckbank aus dunklem Vollholz würde man sofort mitnehmen. Geht aber nicht. Sie gehört zum Inventar der Möbelhilfe Süderelbe, ist Empfang, Wartezimmer und Pausenraum in einem. Horst Junge sitzt dort, als hätte er nie irgendwo anders gesessen, und so ähnlich ist es auch: Eine halbe Ewigkeit ist es her, dass der 57-Jährige die Idee hatte, Möbel und Menschen zusammenzubringen, für die scheinbar keiner Verwendung hatte.
1987 war es so weit. Junge musste nicht einmal den Ort wechseln: Die Heilsarmee löste ihr Männerwohnheim auf, in dem er beschäftigt war, und überließ ihm die Räumlichkeiten. Mit seinen neuen Kollegen, ehemaligen Langzeitarbeitslosen, begann er, mit einem Lieferwagen Möbelspenden abzuholen und an Bedürftige zu verkaufen.
Schnell gründeten die Mitarbeiter einen Trägerverein und schufen sich so ihren eigenen Arbeitgeber. Bis heute sind sie in dem verwinkelten Gebäude geblieben, das 1874 als Harburger Gefängnis gebaut wurde. Nicht gerade ideale Bedingungen für ein Möbellager. Ein langer, enger Flur führt hinab in den Keller, in dem sich Schränke und Regale drängen: einfache Spinde neben Holzimitat-Schrankwänden, eine düstere Anrichte im gefürchteten „Gelsenkirchener Barock“ neben einer original 80er-Rauchglasvitrine. „Die Geschmäcker sind eben verschieden“, sagt Junge. „Studenten richten sich völlig anders ein als Sozialhilfeempfänger.“ Eine Etage höher stapeln sich Etagenbetten und Schlafsofas, plüschige Couchgarnituren und Ehebetten, so breit wie eine Autobahn. Bis unters Dach wird nur geschleppt, was handlich ist: Tische, Stühle und Lampen türmen sich in den winzigen Zellen, deren Dekoration noch etwas über die letzten Bewohner verrät. Schade, dass man Tapeten nicht mitnehmen kann. Manche wären schon wieder richtig hip.
Das Lager ist prall gefüllt, und daran lässt sich einiges ablesen. Zum Beispiel, dass immer mehr Menschen ihre Möbel auf dem Spendenwege loswerden wollen. Seit die Sperrmüllabholung kostenpflichtig ist, steht das Telefon nicht mehr still, mittlerweile ist eine Vollzeitkraft mit der Bearbeitung der Anrufe beschäftigt. „Wir müssen sehr genau hinsehen, dass wir keinen Schrott abholen“, sagt der alte Hase des Gebrauchtmöbelgeschäfts. Denn inzwischen ist der gemeinnützige Verein für die Stadtreinigung ein Kunde wie jeder andere. Das heißt: Was sie nicht verkaufen, müssen sie gegen Gebühr entsorgen. „Ein Weilchen dachten wir, damit kommen wir klar“, erklärt Geschäftsführer Junge, „aber dann kamen die ersten Rechnungen.“ Mittlerweile erhebt die Möbelhilfe Süderelbe selbst Gebühren für die Abholung, die allerdings bei Einzelteilen günstiger sind als die Tarife der städtischen Sperrmüllabfuhr. Dennoch sind nicht alle Spender einverstanden: „Ich schenke euch doch was – und dann wollt ihr noch was dafür haben?“, ist ein Satz, den sie bei der Möbelhilfe schon tausendmal gehört haben. Manche sagen sogar: „Dann zerhack’ ich es!“
Vielleicht wäre das nicht mal das Schlimmste. Schließlich sind die Lagerkapazitäten begrenzt. Und der Verkauf hält mit dem Zustrom neuer alter Möbel kaum Schritt, obwohl immer mehr Menschen mit Arbeitslosengeld II zurechtkommen müssen. Obwohl es hier einen tadellosen Schrank für 20 Euro gibt, ein heiles Bett für 15 und einen stabilen Stuhl für vier. „Viele Leute gehen eben doch lieber zum Discounter und kaufen neue Billigmöbel“, sagt Junge, Missbilligung in der Stimme unterdrückend. Außerdem haben die Harburger Konkurrenz bekommen, allen voran von der Stadtreinigung selbst: Brauchbare Möbel kommen bei der Sperrmüllabfuhr nicht mehr in die Presse, sondern ins Kaufhaus Stilbruch in Wandsbek.
Horst Junge ächzt. Ein wenig geht es ihm wie seinen Möbeln: Die Jahre sind nicht spurlos an ihm vorübergegangen, neulich wollte das Herz nicht mehr so richtig. Aber er ist eine Kämpfernatur, und das ist einer der Gründe dafür, dass es die Möbelhilfe immer noch gibt. Längst sind die knapp 20 Mitarbeiter, von denen die Hälfte auf Ein-Euro-Basis beschäftigt ist, nicht mehr allein auf den Möbelverkauf angewiesen, damit am Monatsende das Gehalt kommt. Das kleine, nichtkommerzielle Unternehmen bietet Umzugshilfen und Transporte an, rückt Möbel in Behörden oder stellt die Stühle im Harburger Rathaussaal bereit. Junges besonderer Stolz: An ein paar Tagen im Monat geben sie den Hausmeister beim US-Konsulat. Und manchmal werden sogar Gebrauchtmöbel vermietet – für Filmarbeiten: „Wir haben schon massenweise Bella-Block-Folgen ausgestattet“, sagt er schmunzelnd.
Auch für die überschüssigen Möbel hat sich schließlich eine Verwendung gefunden: Einmal im Monat laden sie einen Lkw voll, der nach Lettland oder Litauen fährt. Junge weiß: „Da gibt es echte Not.“