Refugees welcome :
Harburger Willkommenskultur

Es beeindruckt, mit welcher Offenheit Hamburger Flüchtlinge derzeit in Empfang nehmen. In Harburg setzt die Innenbehörde eine Massenunterkunft per Polizeirecht durch. Dafür erntete sie reichlich Zuspruch bei einer öffentlichen Anhörung.

Harburg
Mehr als 200 Anwohner und Studenten der TU Harburg besuchten die öffentliche Anhörung.

Man stelle sich vor, Ihnen erklärt jemand Anfang der Woche, dass ab Freitag bis zu 500 neue Nachbarn auf die Brachfläche unweit ihrer Wohnungen ziehen. Wie hätten Sie reagiert? Vermutlich wären auch Sie zu der vom Bezirk anberaumten öffentlichen Anhörung geeilt. So zumindest handelten am Mittwoch mehr als 200 Anwohner rund um den Festplatz Schwarzenberg in Harburg. Die Nachricht, dass vor ihrer Tür eine Einrichtung der Zentralen Erstaufnahme (ZEA) für Flüchtlinge entsteht, ließ den Veranstaltungssaal der Technischen Universität aus allen Nähten platzen.

Wer jetzt allerdings einen Proteststurm erwartet hatte, sah sich getäuscht. Und das, obwohl Bezirksamtsleiter Thomas Völsch und Johanna Westphalen, Leiterin des Einwohner-Zentralamtes, nur noch kommentieren konnten, was auf der gegenüberliegenden Straßenseite längst passiert: Seit Wochenbeginn erwächst auf dem Festplatz Schwarzenberg in Windeseile ein Containerdorf. Am Freitag werden die ersten Container bezogen. Bis zu 500 Flüchtlinge sollen perspektivisch in der neuen Zentralen Erstaufnahme Zuflucht finden.

Weil immer mehr Menschen auf der Flucht vor Krieg und Hunger Schutz in Hamburg suchen, sah sich der Senat zum Handeln gezwungen. Mitte September wurden nicht nur weitere Flächen für die Einrichtungen der ZEA und der öffentlichen Unterbringung bestimmt. Seitdem wird darüber hinaus das sogenannte Polizeirecht angewendet.

Ein schwerwiegender Eingriff, der offenbar notwendig wurde. Zuletzt war es immer wieder zu Konflikten zwischen den Bezirken und den Behörden gekommen. Jetzt sind langwierige bezirkliche Genehmigungsverfahren außer Kraft gesetzt. Darüber hinaus sind öffentliche Anhörungen nicht mehr vorgesehen. Wirklicher Gegenwind aus der Bevölkerung ist in Harburg allerdings nicht zu erwarten. Ein an der Empore befestigtes Banner gab die allgemeine Stimmung im Saal wieder: „Refugees welcome – Flüchtlinge sind willkommen“. Lediglich ein älterer Anwohner bemängelte langwierige Asylverfahren und geringe Zahlen bei der Rückführung der Flüchtlinge in ihre Heimat. Als er mit dieser Argumentation nicht punkten konnte, schob er nach: „Und wo sollen die Kinder dieses Jahr den Abschluss des Laternenumzugs feiern?“ Das sorgte für Heiterkeit im Saal. Bezirksamtsleiter Thomas Völsch antwortete, um Sachlichkeit bemüht: „Ich verspreche Ihnen, dass wir für alle Probleme eine Lösungen finden. Das Abschlussfeuerwerk zünden wir in diesem Jahr einfach auf dem Rathausmarkt.“

Unter Rechtfertigungsdruck stand vielmehr Johanna Westphalen, die Leiterin des Einwohner-Zentralamtes. Anwohner kritisierten das Hauruckverfahren. „Warum reagieren sie erst jetzt? Der Platz hätte viel früher genutzt werden können“, hieß es aus dem Publikum. Die Antwort offenbarte die Probleme der Innenbehörde: „Die deutsche Bürokratie ist auf so etwas nicht vorbereitet“, sagte Westphalen. Sie sei froh, über die erweiterte Handhabe durch das Polizeirecht. Denn der Festplatz ist bereits mit Wasser und Stromanschlüssen versorgt und eignet sich daher hervorragend für den Containeraufbau.

Gleichzeitig bat Westphalen um Verständnis, dass auf Grund des Zeitmangels „alles unzureichend“ sei. „Kein Betreiber dieser Welt schafft in so kurzer Zeit den Standort, den wir vom Standard eigentlich wollen“, so Westphalen. So räumte sie ein, dass die Beschulung der Flüchtlingskinder noch nicht geklärt ist.

Während der städtische Unterkunftsbetreiber fördern&wohnen unter Hochdruck sein Personal aufstockt, organisieren Anwohner in Wilhelmsburg das Hilfsangebot selbstständig. Als am Karl-Arnold-Ring vor zwei Wochen eine Flüchtlingsunterkunft öffnete, gründete sich spontan die Facebook-Gruppe „Die Insel spendet“. Mehr als 400 Mitglieder bieten nicht nur Kleidung und Schuhe, sondern auch Hilfe als Deutschlehrer oder Dolmetscher an.

Mit Unterstützung können die Flüchtlinge auch in Harburg rechnen. Eine Mitarbeiterin der Technischen Universität signalisierte Hilfsbereitschaft aus dem Kollegium. Und Vertreter des Allgemeinen Studierenden Ausschuss kündigten an, über Hilfsangebote zu beratschlagen. Als ersten Schritt vereinbarten die Helfer ein Folgetreffen für den 14. Oktober in den Räumlichkeiten der Technischen Universität.

Ein Grund, warum viele Anwohner so gelassen auf die Flüchtlingsunterkunft reagieren, könnte sein, dass der Festplatz Schwarzenberg nur eine Übergangslösung darstellt. Im April sollen die Container wieder abgebaut werden. Bei einigen Anwohnern sorgte das für Unverständnis. „Warum können wir den Menschen in Harburg keine dauerhafte Perspektive bieten?“, kritisierte ein junger Mann. Als Völsch die Handwerks- und Baumesse sowie das Harburger Vogelschießen zur Begründung herbeizog, erntete er lediglich Kopfschütteln.

Text und Foto: Jonas Füllner