Seit einem Jahr gibt es im Süden Hamburgs einen Zufluchtsort für Obdachlose: das Harburg-Huus des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Rund 4000 Übernachtungen im ersten Jahr zeigen: Die Einrichtung wird dringend gebraucht.
„Husch, ins Körbchen mit dir!“, sagt Kerstin. Ihr kleiner Hund Spooky hat aber so gar keine Lust, von seinem Frauchen getrennt zu sein. Kaum, dass die 55-Jährige ihm im Flur den Rücken zudreht hat, tippelt er ihr hinterher in die Wäschekammer. Kerstin befüllt gerade eine Maschine, als sie ihn bemerkt. „Was machst du denn wieder?“, rügt sie Spooky und lächelt.
Kerstin und Spooky sind Gäste im Harburg Huus. Sie ist hierher gekommen, nachdem sie aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt wurde. „Mit Spooky konnte ich sonst nirgendwo hin“, sagt sie. Das Harburg-Huus ist eine von ganz wenigen Unterkünften für Obdachlose, in der Hunde herzlich willkommen sind.
Zuhause auf Zeit
Die Einrichtung will ein „Zuhause auf Zeit“ sein. Zur Übernachtung stehen 15 Betten in Ein- bis Vierbettzimmern bereit. Tagsüber gibt es Essen und Sozialberatung. Die Gäste, wie die obdachlosen Nutzer hier konsequent heißen, können duschen, ihre Klamotten waschen, Post empfangen und gemeinsamen Freizeitaktivitäten nachgehen, etwa Filme schauen. Thorben Goebel-Hansen, der das Haus leitet, sagt: „Wir sind die Unterkunft der kurzen Wege.“ Es gehe darum, es den Menschen so einfach wie möglich zu machen, wieder auf die Beine zu kommen. Goebel-Hansen: „Die Gäste sind hier das Wichtigste.“
Die Atmosphäre hier sei „eher familiär“, sagt Kerstin. Der Betreuungsschlüssel ist außergewöhnlich: 15 hauptamtliche Mitarbeiter werden durch 15 Ehrenamtliche unterstützt. „Alle sind sehr engagiert“, sagt Kerstin. Marie-Luise Schulz hilft ehrenamtlich. Zum Einjährigen des Harburg-Huus hat sie gleich mehrere Kuchen gebacken – im Alltagsbetrieb bereitet sie Mahlzeiten für die Gäste vor. „Jeden Tag Käsebrot auf der Straße ist ja auch nicht so prickelnd“, sagt sie. Die Tafel versorgt das Harburg Huus mit Lebensmitteln.
„Duft von gebratenen Spiegeleiern“
„Wenn man hier morgens am Haus entlang geht, steigt einem schon mal der Duft von gebratenen Spiegeleiern in die Nase“, sagt Harald Krüger, Vorstand des DRK Harburg. Er hatte vor drei Jahren die Idee fürs Harburg-Huus. Nicht alle seien anfangs begeistert gewesen, dass sich da ein alternativer Akteur in der Obdachlosenhilfe engagiere. Ohne Anbindung an die Sozialbehörde. Finanziell unabhängig von der Stadt, rein spendenfinanziert.
Betten sehr gefragt
„Wir haben einen Nerv getroffen“, sagt Krüger. Seit dem ersten Tag werden die 15 Betten im Harburg-Huus voll genutzt. Rund 4000 Übernachtungen sind es insgesamt im ersten Jahr gewesen. Hinzu kamen mehr als 2000 Beratungsgespräche mit den Sozialarbeitern vor Ort. „Von vielen Gästen bekommen wir einen Vertrauensvorschuss, weil wir nicht Behörde sind“, so Krüger. Niemand wird hier gefragt, woher er kommt oder ob er irgendwo im Ausland womöglich eine Adresse hat. Die Übernachtungen sind anonym.
Harburg-Huus
„Wir sind hier oft mit Themen konfrontiert, die uns an die Nieren gehen“, sagt Leiter Thorben Goebel-Hansen. Der Beratungsbedarf sei „sehr viel höher als erwartet“. Viele Menschen kämen mit psychischen Problemen. Immer wieder bitten auch Frauen um Hilfe, die mit ihren gewalttätigen Männern nur noch deshalb zusammenleben, weil sie sonst auf der Straße landen würden. Einmal sei ein junger Mann vorbeigekommen und habe um ein bisschen Brot gebeten. Seine Großmutter schaffe es mit ihrer kargen Rente sonst nicht über das Wochenende.
Aber Goebel-Hansen und sein Team können auch Erfolgsgeschichten erzählen: 80-mal konnten sie private Wohnmöglichkeiten für ehemalige Gäste des Harburg-Huus organisieren. „Wer die Situation in Hamburg kennt, weiß, welche enorme Leistung das ist“, lobt Peter Holst vom Präsidium des DRK seine Kollegen. 70-mal gelang die Vermittlung in öffentlich-rechtliche Unterbringung. „Solche Erfolge motivieren natürlich“, sagt Goebel-Hansen.
Gedicht als Dankeschön
Und dann sind da noch Menschen wie Frank. Er ist zur Geburtstagsfeier gekommen, um sich noch einmal persönlich zu bedanken. Als „Gast der ersten Stunde“ kam er ins Harburg-Huus, nachdem seine Lebensgefährtin starb. Viereinhalb Jahre hatte er sie zuvor in ihrer Wohnung gepflegt, im Mietvertrag stand er nie. Mit 70 Jahren war Frank plötzlich obdachlos.
Dass man ihm im Harburg-Huus wieder auf die Beine half, werde er „nie vergessen“, sagt er. Er hat das in Worte gefasst, ein Gedicht geschrieben: „Man hört sich deine Sorgen an und gibt dir guten Rat. Es gibt dort Menschen die verstehen, was dich bekümmert hat“, heißt es darin.
Die schweren Zeiten hat Frank hinter sich gelassen. Von der Feier im Harburg-Huus fährt er zurück nach Schnelsen: in seine kleine 2-Zimmer-Wohnung.