Seit Jahrzehnten steht die ehemalige Harburger Likörfabrik leer und verfällt. Eine Gruppe junger Menschen will das besondere Ensemble wieder zum Leben erwecken – und der Investor macht ein überraschendes Angebot.
Meint er das wirklich ernst? Nur einen symbolischen Euro will er von der Stadt für dieses außergewöhnliche Ensemble und rund 1200 Quadratmeter Grundstück zwischen Harburger Innenstadt und Binnenhafen? Arne Weber, Bauunternehmer und Eigentümer der ehemaligen Likörfabrik Hilke, nickt. „Ja“, sagt der 76-Jährige Anfang März im Gespräch mit Hinz&Kunzt. „Wenn die Stadt die Gebäude nicht abreißt.“
Die ehemalige Likörfabrik gilt als eines der ältesten erhaltenen Industriebauwerke Hamburgs: Ab 1833 wurde im Hinterhof Hochprozentiges hergestellt, die Wohnhäuser an der Straße, die auch Geschäftsräume beherbergten, wurden 1859 und 1899 gebaut. Doch nachdem der Spirituosenhersteller Louis Hilke Mitte der 1980er-Jahre den Betrieb einstellte, verfiel das Ensemble zunehmend. Birgit Caumanns, die mit der Geschichtswerkstatt Harburg seit Langem um den Erhalt des Denkmals kämpft, konnte die Häuser mal besichtigen. Die Stadtplanerin ist eine eher nüchterne Frau. Doch bei der Erinnerung an den Rundgang kommt sie ins Schwärmen: „Wie im Dornröschenschlaf“ habe die Likörfabrik auf sie gewirkt.
Weber kauft die Fabrik 2001, verschiedene Projektideen verlaufen im Sande. Im Herbst 2018 bietet seine Firma HC Hagemann die Häuser im Internet zum Kauf an – damals noch für stolze zwei Millionen Euro. Es ist die Zeit, in der Anwohner*innen und Geschichtswerkstatt mobil machen: Mit Aktionen wie einer Fahrradtour und einer Ausstellung beklagen sie, dass hier ein einzigartiges Ensemble verfällt, das offenbar auch das Denkmalschutzamt aus den Augen verloren hat. „Das Inserat erschien genau in dieser Phase“, sagt Birgit Caumanns von der Geschichtswerkstatt.
Dass die Hilke-Häuser nach Jahrzehnten des Verfalls doch noch eine Zukunft haben könnten, ist auch Alina Klomfaß und ihren Mitstreiter*innen zu verdanken. Die Gruppe aus einem Dutzend junger Menschen um die 30 ist auf der Suche nach einem Ort, an dem sie ihren Traum verwirklichen kann: gemeinsam wohnen und gleichzeitig einen Ort der Begegnung schaffen, mit Platz für Elterngruppen, Kulturschaffende und einem Café. Zufällig entdecken sie die Likörfabrik im Internet. Der Kaufpreis erscheint ihnen überhöht, aber: „Wir haben uns in die Häuser verliebt“, erzählt die 29-jährige Studentin. „Größe und Anordnung passen super, die Lage ist optimal, und die alten Backsteingebäude haben viel Charme!“ Die Gruppe beschließt, den Eigentümer um ein Gespräch zu bitten. Antwort erhält sie nicht.
Die jungen Leute nähern sich ihrem Traum deshalb auf anderen Wegen: gründen die Initiative Likörfabrik (LiFa), sprechen mit Nachbar*innen und Politiker*innen, spüren alte Fotos und Baupläne auf – und finden mit den Fachleuten vom Mietshäuser Syndikat (siehe Info-Kasten) genau die Mischung aus Mut und Expertise, die sie womöglich bald brauchen werden: „Klingt völlig wahnsinnig, aber nichts ist unmöglich!“, kommentiert etwa der Handwerkerhof Ottensen die Pläne der Gruppe – und erklärt sich zur
Unterstützung bereit.
Er habe die Anfrage der Initiative nie erhalten, sagt Eigentümer Weber. Der gelernte Betonbauer und studierte Bauingenieur empfängt Besuch im „Hamburg Innovation Port“, einem seiner Vorzeigeprojekte im Harburger Binnenhafen. In dem futuristisch anmutenden Bürogebäude arbeiten Forscher*innen und Firmen Tür an Tür, „neue Synergien“ sollen so entstehen. Weber ärgert sich über das Bild, das manche von ihm zeichnen. Er habe einige erhaltenswerte Bauwerke in Harburg saniert. Doch beim Kauf der Likörfabrik „haben wir weniger die Häuser gesehen als das Grundstück“. Die Gebäude seien schon damals „vom Schwamm aufgefressen“ gewesen. Ein erster Abrissantrag scheitert dennoch. 2016 bescheinigt ein von Weber beauftragter Bauingenieur in einem Gutachten weiteren Verfall. „Das Haus kann jederzeit einstürzen!“
Weil Weber im September vergangenen Jahres erneut den Abbruch beantragt, begutachtet das Denkmalschutzamt im Januar die Häuser. Das Erstaunliche ist: Das Ergebnis fällt völlig anders aus. „Die Gebäude lassen eine vielfältige Nutzung zu“, berichtet eine Vertreterin des Amts im Stadtplanungsausschuss der Bezirksversammlung. Es gebe zwar „einiges zu tun“, aber: „Einsturzgefahr besteht nicht.“
Allerdings sei die Sicherung des Daches „nur sehr rudimentär“, weshalb das Amt den Eigentümer zum Nachbessern aufgefordert habe. Die Sache liege längst bei seinen Anwälten, sagt Arne Weber dazu. An einem Rechtsstreit sei er aber nicht interessiert – deshalb auch das Ein-Euro-Verkaufsangebot an die Stadt.
Die erklärt kurz vor Redaktionsschluss auf Nachfrage: „Die Gespräche dauern noch an.“ Die Initiative hofft, dass das Geschäft zustande kommt: „Das ist ein super Angebot“, sagt Katharina Kucza, eine derjenigen aus der Gruppe, die als Verwaltungsangestellte schon im Berufsleben steht. „Man muss ja schon sagen: Das ist eine Ruine. Die Sanierungskosten werden hoch genug sein.“ In einem Brief an Arne Weber hat die Initiative Mitte März die Ernsthaftigkeit ihrer Absichten nochmals unterstrichen: Sie sei „nach wie vor interessiert an einem Kauf“. Eine Antwort stand bei Redaktionsschluss noch aus.
Der Kampf um die Likörfabrik geht in die entscheidende Phase: Anfang April will die Initiative ihre Ideen im Harburger Bezirksamt vorstellen. Der Baudezernent wird dabei sein, der Denkmalschutz und auch der städtische Landesbetrieb Immobilienmanagement, dem die Häuser bald gehören könnten. Auch im Stadtentwicklungsausschuss wollen die jungen Leute für ihr Projekt werben. Ob der Appell von Stadtplanerin Birgit Caumanns Gehör finden wird? Als sie erfuhr, dass ein beauftragter Projektentwickler derzeit prüft, wie sich die Likörfabrik gemeinsam mit zwei benachbarten städtischen Grundstücken verwerten lassen könnte, rief sie empört: „Es muss nicht jedes Projekt nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten abgewickelt werden!“
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