Erfrierungsschutz :
Hamburger Winternotprogramm startet mit weniger Plätzen

Das Winternotprogramm in der Friesenstraße. Foto: Mauricio Bustamante.

Als so genannten Erfrierungsschutz stellt die Stadt ab sofort knapp 800 Plätze für Obdachlose im Winternotprogramm zur Verfügung – die meisten in Großunterkünften, die tagsüber geschlossen haben.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Für Joanna fängt das Winternotprogramm schon am vergangenen Freitag an – mit einem weißen Briefumschlag, den sie aus einer Plastikbox fischt. Die 38-Jährige zieht einen blauen Zettel aus dem Umschlag und reckt ihn mit der Hand nach oben, ganz so, als würde sie einen Pokal präsentieren. „Ich bin glücklich, das ist sehr gut “, sagt ihr Partner Eugen.

Der blaue Zettel ist das große Los – er steht für einen von drei Wohncontainern, die es in diesem Winter für obdachlose Paare in Hamburg gibt. Drei Container, das bedeutet: Zehn Paare, die zur Verlosung in das Wohnungslosenzentrum der Diakonie in Eimsbüttel gekommen sind, gehen leer aus. Das Losverfahren sei die fairste Möglichkeit, die Plätze zu vergeben, sagt Einrichtungsleiterin Melanie Mücher: „Wir wollen niemanden bevorzugen, nur, weil er uns vielleicht besser bekannt ist als jemand anders.“ Und wie soll man ad hoc entscheiden, welches Paar den Container nötiger hat als ein anderes? Wo es doch alle dringend nötig haben.

Ein eigener Container ist besonders wichtig für Joanna, die eine Hautkrankheit hat und sich schonen muss, sagt Eugen: „Noch schlafen wir auf Beton“, sagt er und macht eine Handbewegung nach unten. Joanna hält den blauen Zettel weiter fest in ihren Händen und strahlt. Nach zwei Jahren auf der Straße haben sie bald ein Dach über dem Kopf, auch wenn es nur aus Blech ist.  

Weniger Ehrenamtliche, weniger Wohncontainer 

Insgesamt stehen in diesem Winternotprogramm 89 Containerplätze zur Verfügung: 62 davon für Männer, 21 für Frauen und diverse Personen und eben die sechs Plätze für Paare. Für die Bewohner:innen bedeuten sie ein Plus an Privatsphäre und Unabhängigkeit. Die Container, die die Stadt finanziert, werden zum Großteil bei Kirchengemeinden aufgestellt. Vor drei Jahren waren es noch 30 Plätze mehr – doch inzwischen mangelt es auch an Ehrenamtlichen, die die Betreuung übernehmen wollen oder können, so Mücher. 

Es gibt in jedem Jahr mehr Obdachlose als Plätze. Den anderen bleibt nur der Gang in die Großunterkünfte des städtischen Betreibers Fördern & Wohnen, die am 1. November öffnen. Allerdings nur nachts und weit weniger beschaulich: 400 Plätze sind es in einer früheren Geflüchtetenunterkunft in der Friesenstraße in Hammerbrook, 300 in einem ehemaligen Hotel in der Billbrooker Halskestraße.

Damit ist das Winternotprogramm deutlich kleiner als zuletzt: Die 224 Plätze an der Schmiedekoppel stehen in diesem Winter nicht zur Verfügung. Die Sozialbehörde verweist auf Hinz&Kunzt-Nachfrage darauf, dass die zusätzlichen Plätze im vergangen Winter lediglich kaum genutzte Reserveplätze gewesen seien.

Tagsüber ist die Tür geschlossen

Keine Veränderung gibt es bei den Öffnungszeiten: täglich zwischen 9 und 17 Uhr müssen die obdachlosen Nutzer:innen die Unterkünfte verlassen. Laut Behörde sollen sie in dieser Zeit Beratungsangebote nutzen. Im Interview mit Hinz&Kunzt kündigt Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) aber an: „Geschwächte, Erkrankte und Mobilitätseingeschränkte dürfen tagsüber in den Unterkünften bleiben. Und bei Eis, Schnee und großer Kälte haben alle die Möglichkeit, tagsüber zu bleiben.“ 

„Das Winternotprogramm muss auch tagsüber geöffnet sein – und zwar für alle Obdachlosen.“– Jörn Sturm, Geschäftsführer Hinz&Kunzt

Hinz&Kunzt-Geschäftsführer Jörn Sturm fordert hingegen eine ganztägige Öffnung für alle Obdachlosen: Leider ist es traurige Wirklichkeit, dass Hamburg auch in diesem Jahr wieder ein Winternotprogramm braucht, sagt er. Das Elend auf Hamburgs Straßen nimmt zu, und ein in Teilen gut aufgestelltes Winternotprogramm darf nicht den Blick darauf verstellen, allen ein menschenwürdiges Leben in Wohnungen zu gewähren. Vor allem muss es auch tagsüber für die Obdachlosen geöffnet sein – und zwar für alle Obdachlosen.

Angespanntes Klima in Großunterkünften 

Laut Sozialbehörde werden die Menschen regulär in Zwei- oder Dreibettzimmern untergebracht, für psychisch kranke Obdachlose stünden auch Einzelzimmer zur Verfügung. Ein deutlicher Fortschritt gegenüber früheren Winternotprogrammen, als sich bis zu sechs Menschen ein Zimmer teilen mussten. Trotzdem schildern Nutzer:innen auch heute immer wieder ein angespanntes Klima in den Großunterkünften. „Da ist immer Action, viele Alkoholiker, nie Ruhe“, klagt zum Beispiel Hinz&Künztlerin Barbara.

„Ich bin verhaltener als andere“
Hamburgs Sozialsenatorin im Interview
„Ich bin verhaltener als andere“
Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) über das Winternotprogramm und die Abschaffung von Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030.

Sie und ihr Freund Miroslaw hoffen trotzdem auf eines der Doppelzimmer in der Friesenstraße, denn sie sind bei der Containerverlosung leer ausgegangen. Getrennt wollen sie nicht sein: „Er braucht mich“, sagt Barbara mit Blick auf ihren Partner im Rollstuhl, „ich kann mir nicht vorstellen, alleine zu schlafen.“ 

Linksfraktion fordert niedrigschwelligeres Winternotprogramm

Die Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft fordert auch wegen solcher Berichte eine Abkehr von den Großunterkünften des Winternotprogramms. „Hamburgs Obdachlose brauchen kleinere Unterkünfte mit Einzelzimmern – nur so ist der Schutz vor Corona gewährleistet und die Menschen haben die Chance, auch zur Ruhe zu kommen und einen Schritt aus der Obdachlosigkeit zu schaffen“, sagt die sozialpolitische Sprecherin, Stephanie Rose. Deswegen hat sie zur nächsten Parlamentssitzung einen Antrag eingebracht, die Einrichtungen ganztägig zu öffnen und auch Plätze für Menschen mit Hund anzubieten.  

Autor:in
Benjamin Buchholz
Benjamin Buchholz
Früher Laufer, heute Buchholz. Seit 2012 bei Hinz&Kunzt. Redakteur und CvD Digitales.
Simone Deckner
Simone Deckner
Simone Deckner ist freie Journalistin mit den Schwerpunkten Kultur, Gesellschaft und Soziales. Seit 2011 arbeitet sie bei Hinz&Kunzt: sowohl online als auch fürs Heft.

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