Hamburger Appell

Herr Justizsenator Kusch, kehren Sie zu einer Strafvollzugspolitik nach Gesetz und Vernunft zurück!

(aus Hinz&Kunzt 146/April 2005)

Namhafte Fachleute haben den Hamburger Appell unterzeichnet, den Hinz&Kunzt erstmals veröffentlicht. Sie fordern Justizsenator Dr. Roger Kusch auf, seine Strafvollzugspolitik wieder an „Gesetz und Vernunft“ auszurichten.

Stoppen Sie den Abbau an Sicherheit und Opferschutz!

Die Strafvollzugspolitik des Hamburger Senats ist kurzsichtig und gefährlich. Sie, Herr Senator Kusch, setzen auf geschlossenen Vollzug – entgegen der Meinung von Exper-ten und vieler ihrer Mitarbeiter, die sich jedoch öffentlich nicht äußern dürfen. Der offene Vollzug und bewährte Therapiemöglichkeiten werden abgebaut. Dieser Weg in den Verwahrvollzug verstößt gegen Sinn und Buchstaben des Gesetzes. Er bringt Bürgern nicht mehr, sondern weniger Sicherheit. Wer im Gefängnis die Chance hat, neues, bes-seres Verhalten zu lernen und zu erproben, hat in der Regel eine größere Chance, nicht wieder rückfällig zu werden. Genau deshalb hat das Strafvollzugsgesetz verlangt, den Vollzug so auszugestalten, dass die Gefangenen befähigt werden, „künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen“.

Machen Sie den Abbau des offenen Vollzuges rückgängig!

Ende 2001 hatte Hamburg 631 Haftplätze im offenen Männervollzug. Künftig werden es nur noch 188 sein. Der Anteil liegt dann deut-lich unter zehn Prozent; der Durchschnitt al-ler Bundesländer liegt bei ca. 17 Prozent. Es ist sachlich unsinnig, den offenen Vollzug so radikal zu reduzieren. Denn fast die Hälfte der inhaftierten Männer verbüßt Freiheits-strafen von weniger als einem Jahr, rund 70 Prozent sind nicht wegen eines Verbrechens gegen Leib und Leben verurteilt. Aber auch und gerade Gefangene mit längeren Strafen brauchen gegen Ende der Verbüßung die Überleitung in die Freiheit mit Hilfe des offenen Vollzuges.

Es ist gesetzlich abgesichert, dass nur diejenigen Gefangenen in den offenen Vollzug verlegt werden dürfen, bei denen keine Missbrauchsgefahr und keine Fluchtgefahr besteht. Mindestens 20 bis 30 Prozent der Gefangenen erfüllen diese Voraussetzungen. Für diese sind die lebensnahen Hilfen des offenen Vollzuges zur Entlassung wirksamer als der geschlossene Vollzug. Außerdem ist der offene Vollzug deutlich billiger.


Bereiten Sie die Gefangenen ordentlich auf das Leben in Freiheit vor!

Fast jeder Gefangene wird irgendwann ent-lassen. Die Verantwortung des Staates ist es, ihn auf diesen Tag vorzubereiten, damit er nicht erneut zum Sicherheitsrisiko und nicht zum Sozialfall wird. Ausgang, Urlaub und Freigang (d.h. Arbeit außerhalb des Gefängnisses) und die Verlegung in den offenen Vollzug sollen dem Gefangenen helfen, den Kontakt zum Leben draußen zu erhalten oder wieder aufzubauen. Er kann sich angeleitet in zunehmender Freiheit selbst erproben und die Entlassung durch Arbeits- und Wohnungs-suche vorbereiten. Denn Schwimmen wird nicht im Trockenen und Autofahren nicht al-lein im Theorieraum der Fahrschule gelernt. Doch Hamburg versagt zunehmend vor dieser Aufgabe: Von 2001 auf 2004 haben der Ausgang um rund 40 Prozent, die Urlaube um rund 49 Prozent und der Freigang um 30 Prozent abgenommen.


Erhalten Sie den Übergangsvollzug und die Sozialtherapie!

Die Absicht, die Sozialtherapeutischen Anstal-ten in Bergedorf und Altengamme und die Übergangseinrichtung Moritz-Liepmann-Haus (MLH) in die dafür ungeeignete JVA Vierlande zu verlegen, haben Sie Ende Februar 2005 endlich aufgegeben. Es besteht weder ein sachlicher noch ein finanzieller Grund mehr, auf der Schließung des MLH zu beharren und die Sozialtherapeutischen Anstalten in Berge-dorf und Altengamme aufzugeben.

Das seit 1971 außerordentlich erfolgreiche MLH wurde im Februar 2005 geschlossen. Dabei ist die Überleitung in Freiheit am Ende lange Strafverbüßungen besonders wichtig. Nur so kann nach häufigem Rückfall weiteres Unglück durch Straftaten vermieden werden.

Der sozialtherapeutische Vollzug soll in das Haus IV der Großanstalt Fuhlsbüttel (rund 1000 Haftplätze) verlegt werden. Ohne Not wird ein bundesweit hoch angesehener und effektiver Behandlungsvollzug vernichtet. Außerdem entstehen vermutlich erhebliche Kosten für den Umbau. Abgesehen davon verlangt das Strafvollzugsgesetz, sozialthe-rapeutische Anstalten räumlich getrennt von den übrigen Vollzugsan-stalten zu errichten. Abteilungen in anderen Anstalten sind nur aus besonderen Gründen erlaubt. Diese gesetzlich vorgesehenen besonde-ren Gründe liegen hier jedoch nicht vor. Die in Bergedorf und Altengamme gewachsenen und wissenschaftlich überprüften Faktoren einer wirksamen und ganzheitlichen Straftäterbehandlung können nicht ohne großen Schaden in den Regelvollzug verlagert werden. Hamburg muss wissen, dass insbesondere Sexualstraftäter und Täter mit anderen ge-ährlichen und wiederholten Straftaten dann nicht mehr mit gleichem Erfolg behandelt werden können. Gegenwärtig müssen immerhin rund 86 Prozent der aus der Sozialtherapie Entlassenen binnen fünf Jahren keine Haftstrafe mehr verbüßen.

Noch können Sie die Anstalten Bergedorf und Altengamme erhalten und das Moritz-Liepmann-Haus wieder in Betrieb nehmen! Herr Justizsenator, nutzen Sie bitte diese Chance, um künftige Opfer wirksam zu verhindern! Zumal Sie die Arbeit der sozialtherapeutischen Anstalten noch vor wenigen Monaten ausdrücklich gelobt haben.

Bringen Sie die Mitarbeiter hinter sich!

Die Mitarbeiter im Hamburger Strafvollzug sind enttäuscht, verunsichert und wütend. Gewachsene Strukturen werden zerschlagen. Das in Köpfen, Einstellungen und Organisationsformen gewachsene fachliche Kapital wird missachtet, das Engagement der Mitarbeiter zerstört. Von oben herab werden ständig neue Konzepte mit beliebig wechselnder Begründung eingeführt – ohne Transparenz, ohne wirkliche Beteiligung, gegen jeden Sachverstand. Der Justizsenator paukt seinen Kurs im Alleingang durch, die Motivation unter Vollzugsmitarbeitern ist auf dem Null-punkt. So wird die wichtigste Ressource eines auf Recht und Vernunft gegründeten Strafvollzuges vernichtet.

Nehmen Sie den Rat von Fachleuten und Mitarbeitern an!

Wir bedauern, dass Sie auf den Rat von Mitarbeitern und externer Fachleute verzichten und Kritik nicht berücksichtigen. Nur so sind für den Steuerzahler teure Fehler zu erklären. Zum Beispiel wurde für 42,8 Millionen Euro die offene Anstalt Billwerder in einen geschlossenen Vollzug umgebaut und aufgrund einer völlig verfehlten Prognose künftiger Gefangenenzahlen um rund 400 Plätze erweitert. Am Ende sollte Hamburg über rund 3600 Haftplätze verfügen. Die durchschnitt-liche Belegung des Jahres 2004 lag aber bei nur 2881 Gefangenen. Alle Warnungen blieben unbeachtet, sonst übliche behördeninterne Sicherungen fielen aus. Hätten Sie bei realistischer Einschätzung der Gefangenenzahlen auf 200 Haftplätze verzichtet, dann wären bei 115.000 Euro Kosten pro Haftplatz Hamburgs Schulden heute um 23 Millionen Euro geringer.

Offenbar soll es so weitergehen: Angesichts knapper Mittel klingt es wie eine Stimme aus dem Schlaraffenland, wenn Sie einerseits die Schließung der 60 Plätze der Anstalt Altengamme ankündigen und zugleich eine abermalige Erweiterung der Anstalt Billwerder nicht ausschließen. Wer kann das noch begreifen und mittragen?


Als Erstunterzeichner: Marion Ameis, Horst Bökenkamp, Charlott David, Sabine Happ-Göhring, Klaus Neuenhüsges, Burkhard Plemper, Dr. Gerhard Rehn, Wolf Dieter Reinhard, Reinhold Roth, Eva Rühmkorf, Prof. Fritz Sack, Prof. Klaus Sessar, Martin Steller, Gerd Tiedemann, Bernd Vonhoff, Dr. Ursula Voß

Weitere Artikel zum Thema