Hamburg wird bis auf Weiteres keine Geflüchteten ohne richterlichen Beschluss aus ihren Unterkünften holen, um sie abzuschieben. Damit reagiert die Innenbehörde auf ein Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts, das die bisherige Praxis infrage stellt.
Ein Gerichtsurteil zeigt Wirkung: Wie die Innenbehörde am Freitag gegenüber Hinz&Kunzt erklärte, wird die Stadt vorerst keine Geflüchteten mehr ohne richterlichen Beschluss aus ihren Unterkünften holen, um sie abzuschieben. Damit reagiert die Behörde auf ein Urteil des Hamburgischen Oberwaltungsgerichts (Az 4 Bf 160/19). Dieses hat am Dienstag eine Entscheidung der Vorinstanz bestätigt, nach der Mitarbeiter der Ausländerbehörde 2017 nicht ohne richterlichen Beschluss in die Zimmer einer irakischen Familie in einer Wohnunterkunft eindringen durften. Begründung: Auch solche Zimmer sind eine Wohnung – und durften ohne Einwilligung der Betroffenen nur aufgrund richterlicher Anordnung betreten werden, um eine Abschiebung durchzuführen.
Nachdem das Verwaltungsgericht dies vergangenes Jahr schon als grundrechtswidrig kritisiert hatte, hielt die Behörde zunächst an ihrer Praxis fest. Unklar ist, welche langfristigen Folgen das Urteil haben wird, denn die Große Koalition hat das Aufenthaltsgesetz vergangenes Jahr verschärft. Seitdem steht in Paragraf 58 explizit geschrieben, dass die Behörden bei Abschiebungen die Wohnungen der Betroffenen betreten dürfen. Von einer richterlichen Anordnung, die nötig wäre, ist dort nicht die Rede. Ob sich das mit Artikel 13 des Grundgesetzes („Die Wohnung ist unverletzlich“) verträgt, erscheint nach dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts zumindest fraglich – auch wenn die Gerichtspressestelle darauf verwies, die Neufassung sei „für die Entscheidung ohne Bedeutung“ gewesen.
Die Innenbehörde teilte mit, sie wolle die schriftliche Urteilsbegründung prüfen und dann entscheiden, welche weiteren Konsequenzen sie daraus zieht. Das werde „in den kommenden Wochen“ geschehen, so ein Sprecher. Wie viele Menschen die umstrittene Praxis des Hamburger Senats betrifft, ist unklar: Entsprechende Daten werden nicht erhoben, so eine Sprecherin des Einwohnerzentralamts.
Die kirchliche Beratungsstelle Fluchtpunkt begrüßte den Richterspruch: „Wir freuen uns, dass das Oberverwaltungsgericht betont, dass Geflüchtete den gleichen Grundrechtsschutz genießen wie jeder andere Mensch“, so Leiterin Anne Harms. Die Innenbehörde müsse das Urteil nun schnell umsetzen: „Es muss klare Anweisungen an die Ausländerbehörden geben, dass ein richterlicher Beschluss eingeholt werden muss und unter welchen Voraussetzungen dies nur geschehen darf.“