Gerbers Tierleben

Haken schlagen

Schmeckt nicht jedem: Karpfen blau. Illustration: Stefan Bachmann
Schmeckt nicht jedem: Karpfen blau. Illustration: Stefan Bachmann
Schmeckt nicht jedem: Karpfen blau. Illustration: Stefan Bachmann

Kolumnistin Nele Gerber outet sich als reuige Mörderin.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Karpfen blau – allein beim Gedanken an dieses Weihnachtsessen wird mir flau im Magen. Ich erinnere mich an ein Weihnachtsfest mit der Familie. Das glitschige tote Tier auf dem Teller, ein Auge starr gen Himmel gerichtet, das große Maul geöffnet. In den Lippen deutlich zu erkennen: das Loch vom Angelhaken. Ich starre auf dieses Loch, und sofort schießen mir Bilder aus den letzten Minuten im Leben dieses stattlichen Fisches durch den Kopf. Wie ich am Teich stehe und plötzlich die Pose meiner Angelschnur unter Wasser gezogen wird. Wie ich die Rute greife und anschlage. Wie ich sofort spüre, dass etwas Großes an meinem Haken hängt. Und wie das Tier anfängt zu kämpfen um sein Leben. 15 lange Minuten drille ich, ziehe den Fisch an der Schnur heran. Er ist so stark, dass sich die Angel gewaltig biegt und er wieder Raum gewinnt, doch unerbittlich ziehe ich ihn heran. Irgendwann sehe ich den Karpfen, er schlägt um sich – und hat doch keine Chance. Mit dem Kescher hebe ich ihn aus dem Wasser. Schnell betäube ich den Brocken mit einem Schlag auf den Kopf, dann steche ich ihm mit dem Messer ins Herz, höre ein Röcheln …

Nun ist es raus. Ich bin eine Mörderin. Es war allerdings der letzte Mord, den ich begangen habe – wenn wir mal von Mücken absehen, die ich beherzt erschlage, sobald sie mir nachts um die Ohren summen.

Es gibt Angler:innen, die lieben gerade diesen Kampf, sobald der Fisch angebissen hat. Und die finden, am Angelteich zu sitzen und aufs Wasser zu glotzen ist Entspannung pur. Mich hingegen hat schon gestresst, die Pose zu beobachten. Bewegt sie sich? Beißt da etwa wieder einer an? Hätten meine Eltern mehr Geld gehabt und die von mir erlegten Fische nicht fest in unserem Speiseplan einkalkuliert – ich hätte die Rute schon viel früher an den Nagel gehängt. So haben sich alle am Tisch gefreut, sogar über völlig vergrätete Rotfedern. Erst recht über den kapitalen Karpfen. Alle, nur ich nicht.

Ich saß am Tisch und starrte auf den toten Fisch. Heute denke ich, dass es vielleicht zur Schulausbildung gehören sollte, ein Tier zu töten, um es zu essen. Zumindest müssten die Menschen beim Schlachten zusehen, anstatt fertig filetierte Stücke aus dem Supermarkt zu holen – geräuschlos, sauber, geruchsneutral. Sicher würde der Fisch- und Fleischkonsum rapide sinken. Mir jedenfalls war damals schon nach dem ersten Angelerfolg der Appetit gründlich vergangen, und nach dem Erlebnis mit dem Karpfen beschloss ich, fortan lieber Gemüse anzubauen.

Nur eine Schuppe dieses starken Fisches wollte ich gerne behalten. Denn man sagt, es bringe Glück und Wohlstand, die im Portemonnaie mit sich herumzutragen.

Glücklich bin ich, seitdem ich nicht mehr angeln gehe. Und das mit dem Wohlstand … das kommt vielleicht noch.

Artikel aus der Ausgabe:
Ausgabe 382

Entspannt euch!

Wie stressig die tägliche Suche nach einem Schlafplatz ist, zeigt ein Tag mit dem obdachlosen Hinz&Kunzt-Verkäufer Vasile. Außerdem in unserem Schwerpunkt zum Thema Stress: Wir haben mit Forscherin Ulrike Ehlert darüber gesprochen, was gegen Stress hilft. Und Entspannungskurse auch armen Menschen zugänglich zu machen, versucht der Verein „Yoga hilft“.

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