Gemeinsam mit ehemaligen Hafenarbeitern erinnert das Ohnsorg-Theater an vergessene Berufe. „Tallymann un Schutenschubser – Ein Leben im Hafen“ zeigt so auch ein Stück Hamburger Geschichte.
(aus Hinz&Kunzt 269/Juli 2015)
Schon die Anreise ist ein Abenteuer: Per Barkasse geht es von der Überseebrücke aus über die Elbe zu Schuppen 50A. Im Hafenmuseum, einem kirchengroßen Backsteinbau, weiß man gar nicht, wohin man zuerst schauen soll: In meterhohen Regalen stapeln sich Werkzeuge, Kaffeesäcke und Warenproben. Inmitten dieser spannenden Exponate steht eine Tribüne, auf der rund 140 Zuschauer das Stück und die ganz echten Requisiten genießen können. So beginnt ein Theaterabend der ganz anderen Art.
Nächste Besonderheit: Die fünf Hafenarbeiter, die inmitten des historischen Gebäudes ein Stück Hafengeschichte wieder lebendig werden lassen, sind nämlich keine Schauspieler, sondern echte Hafenurgesteine. Einer von ihnen ist Karl-Heinrich Altstaedt. Der knorrige 76-Jährige kennt sich aus wie kein Zweiter. Er begann seine Laufbahn als Quartiersmann und war für die Ladung und Bearbeitung von importierten Waren in den Speichern des Hamburger Freihafens zuständig. Der Beruf ist längst ausgestorben, doch auf alten Fotos aus der Nachkriegszeit kann man die Männer mit ihren weißen Schürzen an den offenen Luken stehen sehen. „Die Arbeitskleidung mussten wir am ersten Arbeitstag selbst mitbringen: schwarzen Kittel und einen weißen Platen, also die Schürze“, erzählt Altstaedt.
Nach der Lehre zieht es ihn zunächst an Land. „Ich hatte zwar keine Scheu vor körperlicher Arbeit, aber Hafenarbeiter als Berufsperspektive fand ich kaum vorstellbar. Außerdem kam es bei den Mädchen nicht gut an, wenn man erzählte, dass man im Hafen gelernt hatte.“ Er wechselt auf den Gemüsemarkt, macht in der Abendschule seine Mittlere Reife und den Abschluss als Großhandelskaufmann. Doch glücklich ist er nicht: Der Hafen fehlt ihm. Er findet zum Glück eine Stelle als Tallymann, also Ladungskontrolleur. Häufig wurden damals Bananen verladen. Das war gar nicht so ungefährlich. Die Früchte kamen unverpackt als Stauden und dienten als Versteck für Schlangen oder Vogelspinnen. Bei 12,8 Grad im Laderaum konnte man die Viecher einfach zur Seite treten, aber bei wärmeren Temperaturen an Land wurde es gefährlich. „Deshalb lag in den Schuppen immer eine Spritze parat“, so Karl-Heinrich Altstaedt.
Immer den Tidenkalender dabei
Auch der Tallymann war nicht die Endstation seiner beruflichen Karriere. „Mein Chef fragte: ‚Altstaedt, kannst du Schiffsmakler machen? Außendienst?’ Da hab ich gesagt: ‚Zu 51 Prozent ja.’” Fortan kümmerte sich Karl- Heinrich Altstaedt als sogenannter Waterclerk im Auftrag des Reeders während der Liegezeit um dessen Schiffe im Hafen. „Wenn alles glatt ging, brauchte ich nur alle Beteiligten zu informieren. Wenn etwas Außergewöhnliches passierte, musste ich sehr schnell sehr viel telefonieren. Ich hatte immer den Tidenkalender und das Hafentelefonbuch dabei. Und ein halbes Kilo Groschen zum Telefonieren.“
Diesen Job machte Altstaedt bis zur Rente. Und fand nebenbei noch Zeit, insgesamt fünf Bücher über den Hafen zu schreiben. Auch seine Kollegen haben im Hafen ihre schönste Zeit erlebt. Ihre Erlebnisse als Hafenschlepper, Fischer, Netzmacher, Ewer- und Kranführer ergeben zusammen mit denen von Karl-Heinz Alstaedt ein eindrucksvolles Bild von 40 Jahren Hafengeschichte. Alle fünf können auch im Rentenalter nicht von der Elbe lassen: Als „Hafensenioren“ geben sie bei Führungen ihr Wissen an Besucher des Hafenmuseums weiter. Dort haben sie auch Regisseur Michael Uhl kennengelernt. Der 43-Jährige wurde vom Ohnsorg-Theater engagiert, weil er viel Erfahrung mit biografisch-geschichtlichen Stoffen und der Arbeit mit Laien hat.
Es gab keinen Text, erzählt der Regisseur. Er hat lange Gespräche mit allen geführt. Daraus entstand am Ende „eine dichte Geschichte, deren Wurzeln vom Hafen aus tief in die Stadt hineinreichen“. Thematisiert werden in dem 75-minütigen Theaterabend nämlich nicht nur die jeweiligen Lebensgeschichten, sondern Ereignisse wie die große Sturmflut von 1962, die Veränderungen durch die Containerschifffahrt und die Elbvertiefung.
Den Hafensenioren gefällt das Ergebnis. „Ich bin begeistert, wie Michael Uhl die Geschichten zusammengestrickt hat“, so Karl-Heinrich Altstaedt. Dafür nimmt der Senior auch die anstrengende Probenzeit für das Theaterstück auf sich. Sieben Wochen lang hat das Team jeden Tag acht Stunden lang geprobt. „Das Lernen ist für uns ein Problem. Aber mit der Zeit kriegt man die Birne wieder ganz schön weich“, so Altstaedt. So einen gestandenen Hafenkerl haut eben so schnell nichts um.
Text: Sybille Arendt
Foto: Dmitrij Leltschuk/Sinje Hasheider
Tallymann un Schutenschubser: Eine Kooperation zwischen Hafenmuseum Hamburg und Ohnsorg-Theater, hochdeutsch, mit plattdeutschen Anteilen, 16. und 19.7., weitere Termine im September. Überfahrt mit der Barkasse (nicht barrierefrei), Treffpunkt 18 Uhr Ticketshop Barkassen-Meyer am Eingang der Überseebrücke, Beginn im Hafenmuseum um 19 Uhr, 20 Euro, Karten im Hafenmuseum und Ohnsorg-Theater unter Tel. 040/ 35 08 03 21 (Es gibt keine Karten an der Kasse des Hafenmuseums).