Der Zentralrat der Asozialen will auf Opfer des Nationalsozialismus aufmerksam machen, die als „Asoziale“ verfolgt und ermordet wurden.
Es gibt einen Zentralrat der deutschen Katholiken. Und es gibt einen Zentralrat der Juden in Deutschland und einen Zentralrat der bei uns lebenden Roma und Sinti. Es gibt ebenso einen Zentralrat der Armenier und einen der Yeziden. Und es gibt einen Zentralrat der deutschen Muslime und auch einen der Ex-Muslime. Und nun gründet sich in Hamburg der Zentralrat der Asozialen in Deutschland. Der Asozialen?
Gründungsort ist die Kampnagel-Fabrik, und das Ganze versteht sich entsprechend als ein „politisches Kunstprojekt“. Allen genannten Zentralräten ist gemein: Sie setzen sich für die Belange ihrer jeweiligen Gruppe ein, sie vertreten sie und sie werben für gesellschaftliche Akzeptanz. Das Anliegen des Zentralrats der Asozialen in Deutschland (abgekürzt: ZAID) formuliert Sprecher Tucké Royale – Performancekünstler aus Berlin – so: „Wir sind ein Ort des Zusammenhalts und der Freundschaft, in dem verschiedene Erfahrungen gesellschaftlicher Randständigkeit moralisch unbewertet vorkommen.“
Das hat einen mehr als ernsten Hintergrund: In den zwölf Jahren des Nationalsozialismus wurden zig-Tausende von Menschen verfolgt, die von der Polizei, der Gestapo, aber auch von den Sozialbehörden verdächtigt wurden, „asozial“ zu sein. Dazu zählten angebliche oder tatsächliche so genannte Landstreicher ebenso wie Menschen, die angeblich oder tatsächlich keiner geregelten Arbeit nachgingen. Familien oder Einzelpersonen, die Fürsorge bezogen (wie man damals Sozialhilfe nannte), waren ebenso gefährdet wie Jugendliche oder Jungerwachsene, die sich dem Drill der Hitlerjugend zu entziehen suchten. Nicht wenige von ihnen landeten schließlich in Arbeitslagern und KZs, dort zu erkennen am schwarzen Winkel, den sie tragen mussten. In der Lagerhierarchie waren sie die unterste Gruppe.
Kaum einer von ihnen wurde nach 1945 für erlittenes Unrecht entschädigt. Auch berichtete kaum einer über das Erlebte, oft aus der Angst heraus, das Stigma „asozial“ nicht mehr loszuwerden. Kurzum: die so genannten „Asozialen“ kann man als eine weitgehend vergessene Opfergruppe bezeichnen.
Entsprechend formuliert die Gruppe um Tucké Royale das Ziel des künftigen Zentralrates so: „Wir setzen uns ein für die Vervollständigung einer Geschichtsschreibung, in der die Stigmatisierung von Landstreicher_innen, Bettler_innen, Vagabund_innen, Prostituierten, Gelegenheitsdieb_innen und „liederlichen Weibsbildern” ebenso miterzählt wird, wie die Erfolgsgeschichten in der europäischen Kultur von Händler_innen, Philosoph_innen und Machthaber_innen.“ (1)
Vom 18. bis 21. März finden auf kx Gespräche, Vorträge und Aktionen, jeweils von 18 Uhr an. Geplant ist unter anderem ein Tortenessen mit der Hartz-IV-Rebellin Inge Hannemann; eingeladen ist auch der ehemalige Oberstaatsanwalt Dietrich Kuhlbrodt, der etliche Verfahren gegen Verantwortliche des NS-Regimes auf den Weg gebracht hat. Außerdem will die Gruppe überall in der Stadt schwarzen Klee pflanzen: in Form eines Winkels. Ein Busshuttle von der „Künstlerischen Mission gegen die Kälte“ beim Pik As in der Neustädter Straße 31 hin zur Kampnagel-Fabrik ist eingerichtet. Abfahrt jeweils gegen 16 Uhr.
Die Gründungsveranstaltung: Mittwoch, 18. März, ab 18 Uhr in kx auf Kampnagel.
Text: Frank Keil
Fotos: Selim Sudheimer
1) Der mit einem Unterstich markierte Gender Gap findet seit einigen Jahren Verwendung und soll durch die Leerstelle alle Menschen einzubeziehen, die sich nicht in das übliche Zwei-Geschlechter-Modell einordnen.