Plötzlich ist eine Familie um 80.000 Euro reicher – und doch bleibt vieles beim Alten
(aus Hinz&Kunzt 139/September 2004)
Gewonnen. Die Kinder jubeln und tanzen durch die Wohnung. „Ich konnte es nicht fassen: 79.500 Euro nur dafür, dass man ein Geräusch erkennt.
Bei 7.900 hätte man noch gesagt: schön, toller Urlaub. Aber bei dieser Summe war mir nur schlecht, tagelang war mir schlecht, ich konnte nicht schlafen.“ Zudem sei es ihr etwas peinlich gewesen, weil andere bereits sehr ähnliche Tipps abgegeben hatten, sagt Sabine Bauer und schenkt zwei Tassen Kaffee für die Möbellieferanten ein, die den neuen Wohnzimmerschrank aufbauen. Mittlerweile hat sich die 37-Jährige von dem Schock erholt, freut sich und lacht herzhaft.
An einem Tag im März war Sabine Bauer bei der Arbeit. Sie hat einen speziellen Minijob: Sie näht Klappen für Kinderbrillen, ein Hilfsmittel, um ein erkranktes Auge abzudecken. Weil sie diesmal ihre Musik-CDs vergessen hat, hört sie Radio und erfährt von dem Gewinnspiel. Sie ist sicher, das Geräusch erkannt zu haben. Später, von zu Hause, ruft sie an. 38 Mal. Als sie endlich durchkommt, bedeutet das noch gar nichts: Sie gibt ihre Daten und ihren Tipp ab. Die Menschen vom Radio sagen ihr, dass sie vielleicht zurückgerufen wird. Ihre Daten kommen in einen Zufallsgenerator, und nur wenn der sie ausspuckt, klingelt ihr Telefon.
Hätte sie eine Ahnung von den Hindernissen und Hürden gehabt, hätte sie es gar nicht erst probiert, sagt sie heute. Jeder Anruf kostet 49 Cent. Kein Wunder also, dass die Gewinnsummen aus den Erlösen der Telefonhotline stammen – ein sich selbst fütterndes System.
Sabine Bauer hat Glück, sie gewinnt. Sie weckt ihren Mann, der wegen Schichtdienst tagsüber schläft. Seine ersten Worte sind: „Wie kommen wir ran an das Geld?“
Der private Radiosender macht aus der Übergabe eine PR-Aktion. Die Gewinnerin soll wie Dagobert Duck im Geld baden, in einer Badewanne. Doch 80.000 Euro machen selbst in kleinen Scheinen einen eher kümmerlichen Eindruck – aus dem Baden wird eher ein Draufsitzen. Die Kinder haben ihren Spaß und lassen das Geld durch die Gegend flattern. Die Scheine segeln in die Dekoration, den Sicherheitskräften steht der Schweiß auf der Stirn.
Am Anfang scheint die Summe riesig. Jetzt, ein paar Monate später, schmilzt sie dahin. Ein bisschen Geld schenken sie einem arbeitslosen Verwandten. Was noch übrig ist, liegt auf der Bank und ist angelegt. Von Anfang an war klar, dass ein Zehntel an die Gemeinde geht; Familie Bauer ist in der Pfingstgemeinde. Für die Kinder erwerben sie Anteile bei einer Baugenossenschaft, damit die später mal Anspruch auf eine günstige Wohnung haben. Wenn sie die nicht wollen, können sie sich die Anteile auszahlen lassen. Ein bisschen Geld schenken sie einem Verwandten, der schon seit langer Zeit arbeitslos ist. „Damit auch der mit seiner Familie mal wieder Urlaub machen kann“, sagt die Gewinnerin und verschränkt zufrieden die Arme vor der Brust.
Kurz nachdem das Geld auf dem Konto gutgeschrieben ist, macht die dreifache Mutter mit einer Freundin ein Verwöhn-Wochenende auf einer Beautyfarm, aber das ist ein Reinfall: Knallrot wird ihr Gesicht von der ayurvedischen Behandlung und überhaupt ist das nichts für sie. In diesen Sommerferien macht die Familie dann das erste Mal eine Flugreise: 14 Tage in die Türkei. Es gefällt ihnen gut, sie fühlen sich verwöhnt, nur bei 49 Grad ist es zu heiß. „Fliegen war cool“, sagt Markus. Der Elfjährige, sein Zwillingsbruder Lukas und der 13-jährige Daniel verbringen die zwei Wochen mehr oder weniger im Pool der Ferienanlage. „Wir waren schon mal außerhalb von Deutschland, in Österreich, aber noch nie an der Grenze zu einem anderen Kontinent“, sagt Daniel.
Im Gegensatz zu Sabine Bauer wissen ihre Söhne auch gleich konkrete Dinge, die sie sich wünschen: die lang ersehnten HSV-Trikots und ein Gameboy advanced. Die Frau mit den vielen blonden Zöpfen hingegen steht im Drogeriemarkt, dreht die Wimperntusche für 7,95 Euro dreimal zwischen den Fingern und stellt sie dann doch wieder weg. „Weil das so drin ist“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Arm habe sie sich vorher nicht gefühlt, aber mit drei Kindern und einem Verdiener mussten sie immer aufs Geld achten. Sie kennt es nicht anders, sie selbst ist das jüngste von vier Kindern. Doch Sorgen habe sie sich nie gemacht; sie waren immer versorgt. Mit Mann und Kindern lebt sie im Erdgeschoss eines zweistöckigen Altbaus in Hamburg Fuhlsbüttel. „Ich kann mit Geld nichts anfangen; ich bin kein Mensch, der viel mit Geld umgeht“, sagt sie. Diesen Sommer kauft sie sich dann ein paar mehr neue T-Shirts als sonst.
Alle, mit denen sie darüber spricht, gönnen es ihr. Es habe die Richtigen getroffen, war die einhellige Meinung. Kein Neid, keine Missgunst. Und niemand pumpt sie an. Alle, die gratulieren, nutzen die Gelegenheit, laut darüber nachzudenken, was sie selbst sich wünschen würden. Wenn sie alleine wäre, würde sie eine Weltreise machen. So viel möchte sie sich ansehen in der Welt, schwärmt die Gewinnerin. Mit der Familie werden sie irgendwann vielleicht nach Amerika reisen. Eine Freundin ist dorthin ausgewandert. Doch so etwas geht mit drei Kindern nicht sofort, und ob das Geld dafür noch reicht?
„Unser Leben hat und wird sich nicht grundsätzlich verändern“, resümiert sie. Dafür ist es zum einen nicht genug Geld. Zum anderen ist das auch gut so, denn sonst hätte schon vorher etwas nicht gestimmt, glaubt sie. Wohlstand hat für sie nichts mit Geld zu tun, sondern mit Zufriedenheit.
Die Renovierung des Wohnzimmers ist fast abgeschlossen. Der neue Schrank steht. Der alte ist 20 Jahre alt geworden, und doch findet Sabine Bauer: „Ein neuer Schrank, das ist Luxus, wäre ja nicht unbedingt nötig gewesen.“