Unser Kolumnist Benjamin Laufer schließt im Winter die Gartenpforte. Aber vorher übt er sich noch in Demut, denn vielleicht sind er und sein Garten Teil eines Problems.
Wenn Sie gerne Latte macchiato trinken und in einem Stadtteil leben, in dem die einst sehr günstigen Mieten inzwischen sehr teuer sind, hat das eine vermutlich etwas mit dem anderen zu tun. Denn so funktioniert die sogenannte Gentrifizierung: Ehemals ärmliche Viertel werden interessant für eine zahlungskräftigere Klientel, eben weil es plötzlich unter anderem Latte macchiato zu kaufen gibt. Daraufhin steigen die Mieten, die Filterkaffeetrinker:innen können die sich irgendwann nicht mehr leisten und müssen Platz machen für Besserverdienende. Okay, das ist jetzt zwar stark vereinfacht, aber so in etwa läuft das ab.
Damit wären wir schon in Hamburgs Kleingärten: Auch hier ist ein massiver Wandel angesagt. Zwischen 2003 und 2015 hat sich die Zahl der Pächter:innen mit einem Netto-Haushaltseinkommen von 4000 Euro und mehr von 1,3 auf 11,6 Prozent fast verzehnfacht, Abitur hatten 2003 nur 7,2 Prozent, im Jahr 2015 waren es stolze 44,6 Prozent. Mit der ursprünglichen Idee der Armen- und Arbeitergärten aus dem 19. Jahrhundert hat das Ganze nun wirklich gar nichts mehr zu tun. Woran das liegt? Ich kann nur spekulieren. Vielleicht auch daran, dass in den Kleingartenvereinen immer mehr Leute unterwegs sind, die betonen, wie blöd und spießig sie die etablierte Gartenkultur finden. So wie ich.
Ich habe als Allererster in meiner Familie das Abitur gemacht. Der Soziologe Pierre Bourdieu, den ich im Studium schätzen lernte, würde mich einen Bildungsaufsteiger nennen. Er würde auch sagen, dass Geschmacksfragen immer auch Fragen der sozialen Herkunft sind. Kurz gesagt fand er heraus: Wer wenig Geld und andere Ressourcen hat, braucht zur Befriedigung seiner Bedürfnisse nur das Nötigste. Eben Filterkaffee statt Latte macchiato – oder halt einfach Rasen statt Etepetete-Naturgarten.
Bildungsaufsteiger:innen wie ich, auch das erkannte Bourdieu, lassen ihren Aufstieg besonders gerne raushängen, indem sie anderen ihre Vorlieben madigmachen. Ich bin ertappt und bekenne mich schuldig! Zur Winterpause meiner Kolumne will ich es mal anders versuchen: Sie mögen akkurate Rasenkanten und pflanzen gerne Stiefmütterchen? In meinem Garten halte ich es bekanntlich anders, aber beides ist okay! Schönheit liegt immer in den Augen der Betrachtenden. Hauptsache: Alle werden in ihren Gärten glücklich! Alle Pöbeleien aus dieser Reihe sind hiermit zurückgenommen. Nur die Deutschlandfahne neben der Laube werde ich nicht gutheißen. Das können Sie vergessen!