Altonaer Spar- und Bauverein :
Gentrifizierung anno dazumal

Vor 120 Jahren trat der Altonaer Spar- und Bauverein auf den Plan und legte einen Grundstein für sozialen Wohnungsbau. Heute baut die Genossenschaft immer öfter teuer.

(aus Hinz&Kunzt 234/August 2012)

Holmer Stahncke hat der Altoba zum 120. Geburtstag eine CHRONIK geschrieben.

Schon vor 120 Jahren mussten in Altona Menschen mit geringem Einkommen um bezahlbaren Wohnraum kämpfen. Denn obwohl es einen Mangel an kleinen Wohnungen für Arbeiterfamilien gab, wollte die Stadt lieber pompöse Häuser mit großen Wohnungen für Wohlhabende bauen. „Der Altonaer Senat wollte die Stadt gentrifizieren“, sagt der Historiker und Journalist Holmer Stahncke. „Altona sollte das Wiesbaden des Nordens werden.“

Da hatte sich der Senat einiges vorgenommen, denn Altona war damals eine unattraktive Stadt. Viele Häuser faulten vor sich hin, in etlichen Straßen stank es nach dem Fisch aus den zahlreichen Fabriken. Viele Wohnungen waren dunkle Kellerwohnungen. Arbeiter wohnten dort, weil die Lebenshaltungskosten niedrig waren: Altona war bis 1889 Freihandelszone, auf importierte Lebensmittel mussten keine Abgaben gezahlt werden. Die damals noch eigenständige Stadt wollte aber lieber wohlhabende Bürger, die mehr Steuern zahlten. Nur: Die Wohlhabenden wollten gar nicht nach Altona ziehen.

Für die großen Wohnungen, die der Senat bauen ließ, interessierte sich kaum jemand. Teilweise zogen gleich mehrere Arbeiterfamilien in eine Wohnung ein. Eine alleine konnte sich die Miete nicht leisten, kleinere Wohnungen gab es zu wenige. 1892 gründete sich der Altonaer Spar- und Bauverein – kurz „Altoba“ –, um passenden Wohnraum für die ­Arbeiter zu schaffen. Anlässlich des 120. Geburtstags der Genossenschaft hat Holmer Stahncke ihr eine lesenswerte Chronik geschrieben: „Eine Genossenschaft und ihre Stadt“.

Auf 134 Seiten erzählt der Autor darin detailgetreu die Geschichte der Genossenschaft mit ihren Höhen und Tiefen anhand von Originaldokumenten und -fotos. Aktuelle ­Interviews mit Aktiven aus der Genossenschaft runden die historischen Berichte ab. Die Lebensgeschichten ausgewählter Mitglieder erzählt passend dazu die Ausstellung „Bei uns nebenan. Bauen und Wohnen in Altona“ im Altonaer Museum. Sie zeigt auch, dass die ­Genossenschaften, die nach einer Gesetzesänderung Ende des 19. Jahrhunderts vielerorts entstanden, der Vorläufer des sozialen Wohnungsbaus waren. Deutlich wird aber ebenfalls, dass es schon zu Beginn der Geschichte der Altoba häufig Konflikte zwischen der Stadt und der Genossenschaft gab.

Lange Zeit trat die Stadt ihm kein Bauland ab, sodass der Verein teuren Grund aus privater Hand kaufen musste. Mit hohen Grundsteuern trieb die Stadt die Mieten in die Höhe, in der Nähe eines Neubauprojekts genehmigte sie zunächst eine stinkende Fischtrankocherei. Erst eine Beschwerde beim ­Handelsminister in Berlin konnte den Verein vor diesen Bauplänen bewahren. Am Bahrenfelder Dreieck zwang die Stadt den Bauverein zur teureren „villenartigen ­Bebauung“. Eigentlich sollten dort die für den Altoba typischen Klinkerbauten entstehen. Nur wenn Sozialdemokraten wie Max Brauer das Ruder in der Hand hatten, kamen Stadt und Verein gut miteinander aus.

Am Anfang seiner Geschichte baute der Altoba gegen die Aufwertungspläne der Stadt an, heute baut er immer öfter mit. Es entstehen immer mehr genossenschaftliche Stadthäuser mit höheren Mieten, wie die in der Erdmannstraße. Bis zu 12,50 Euro zahlen die Mieter dort für den Quadratmeter. Warum die Wohnungen immer größer und teurer werden, erklärt Altoba-Vorsitzender Holger Kowalski in Stahnckes Buch: „Den kleinen Mann, für den unsere Vorgänger gebaut haben, gibt es in der Mitgliederschaft des Spar- und Bauvereins so nicht mehr.“ Unter den Genossen sind immer weniger Arbeiter: 60 Prozent der Mitglieder hätten Abitur oder sogar ein Studium absolviert, so Kowals-ki. Holmer Stahncke pflichtet ihm bei: Aufgabe einer Genossenschaft sei es nicht unbedingt, günstigen Wohnraum zu schaffen. „Ihre Aufgabe ist, für ihre Mitglieder zu bauen.“

 

Text: Benjamin Laufer
Foto: Mauricio Bustamante

 

Holmer Stahncke: „Eine Genossenschaft und ihre Stadt. Die Geschichte des Altonaer Spar- und Bauvereins“, Verlag Dölling und Galitz.

Tipps für die Gründung einer eigenen Genossenschaft gibt es in Bärbel Wegeners, Anke Piepers und Holmer Stahnckes Buch „Wohnen bei Genossenschaften“, Ellert & Richter Verlag.

Ausstellung: „Bei uns nebenan. Bauen und Wohnen in Altona“, noch bis 10.2.2013, Altonaer Museum für Kunst und Kultur­geschichte, Museumstraße 23.

Text: Benjamin Laufer

Foto: Mauricio Bustamante