Das Winternotprogramm bleibt auch weiterhin tagsüber geschlossen. Einen Antrag der Linken zur Öffnung ließ die Bürgerschaft abblitzen. Dabei sind die Argumente der Gegner in unserem Faktencheck längst widerlegt.
„Hamburg ist verpflichtet, unfreiwillig Obdachlose unterzubringen“ – das stellte Cansu Özdemir von der Linken in der Bürgerschaftssitzung am Mittwochabend gleich zu Anfang klar. In einem Antrag bekräftigte ihre Fraktion ihre Forderung, die auch Hinz&Kunzt teilt: Das Winternotprogramm für Obdachlose muss auch tagsüber geöffnet bleiben. Außerdem müssten auch dort Berater ansprechbar sein. Und die Tagesaufenthaltsstätten sollen mehr Geld bekommen – so viel, wie sie für ihre Arbeit brauchen, sagt die Linke.
Mit diesen Forderungen kam die Fraktion aber nicht weit: Mit großer Mehrheit ließ die Bürgerschaft den Antrag abblitzen. SPD und Grüne blieben bei den alten Scheinargumenten: Würde das Winternotprogramm tagsüber geöffnet bleiben, sei es kein Notprogramm mehr, sondern eine öffentliche Unterbringung mit anderen Rechtsgrundlagen. Dann müssten Kontrollen eingeführt werden, um zu prüfen, wer es überhaupt nutzen darf. Dass bisher jeder ohne große Fragen in die Quartiere reingelassen werde, sei eine Besonderheit des Hamburger Winternotprogramms, sagte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD), die sich in die Debatte einschaltete: „Wir wollen dieses Angebot weiter machen.“
Dabei könnte die Behörde auch bei einer ganztägigen Öffnung eine anonyme Nutzung ermöglichen – so stellen mehrere Rechtsanwälte es in einem Faktencheck klar, in dem Hinz&Kunzt die Argumente der Sozialbehörde überprüft hat. Die Ergebnisse haben wir vor der Bürgerschaftssitzung an die Fraktionen geschickt. Doch sowohl die Regierungsfraktionen als auch die Senatorin beharren auf ihrem Standpunkt.
Nachbarschaft bleibt tolerant
Den ganzen Tag Betrieb im Winternotprogramm – das würde wohl auch Protest in der Nachbarschaft bedeuten, mutmaßten Ksenija Bekeris von der SPD und Mareike Engels von den Grünen in der Debatte. Wir haben nachgefragt: „Es klappt richtig gut mit der Nachbarschaft“, sagt Susanne Schwendtke, Sprecherin von fördern & wohnen, Betreiber des Winternotprogramms. Die zuständige Mitarbeiterin habe das gute Verhältnis zu den Anwohnern gelobt und sei darüber auch sehr glücklich. Günter Westphal von der Stadtteilinitiative Münzviertel bestätigt: „Die Obdachlosen sind Teil des Viertels“, sagt er. „So, wie wir uns hier im Viertel verstehen, ist das auch kein Problem.“ Die Stadtteilinitiative fordert schon seit langem, dass das Winternotprogramm auch tagsüber geöffnet werden soll.
„Sie sollten aufhören, sich hinter diesen absurden Argumenten zu verstecken“, kritisierte die Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, Cansu Özdemir ihre Gegner. Sie bezog sich dabei immer wieder auf den Faktencheck von Hinz&Kunzt. Die Bürgerschaftsdebatte habe gezeigt, dass die Sozialbehörde zwar Möglichkeiten habe, das Winternotprogramm ganztägig zu öffnen – sie wolle aber offenbar nicht.
Einen gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen nahm die Bürgerschaft einstimmig an. Der geht jedoch über die bisherigen Zugeständnisse der Sozialbehörde nicht hinaus: Kranke Obdachlose sollen tagsüber im Warmen bleiben dürfen. Möglichst viele Menschen sollen vom Winternotprogramm in öffentlich-rechtliche Unterkünfte umziehen können. In diesen Unterkünften muss genug Platz sein. Außerdem sollen die Besucherzahlen in den Tagesaufenthaltsstätten und im Winternotprogramm ausgewertet werden, um für den kommenden Winter zu planen.
Text+Foto: Annabel Trautwein