895 Container hat die Stadt eingelagert – für teures Geld. Wenn man diese nutzen würde, wären viele Hamburger Obdachlose auf einen Schlag untergebracht. Aber das will der Bürgermeister wohl nicht, nicht mal zum G20.
Wer während des G20-Gipfels in Hamburg im Freien schlafen darf, war in den vergangenen Wochen hoch umstritten. Die Gegner des Gipfeltreffens hatten Camps in Stadt- und Volkspark angemeldet, die ihnen verboten worden waren. Zunächst von den Bezirksämtern, dann von der Polizei.
Gegen die Verbote zogen die Aktivisten vor Gericht – nicht ohne zu betonen, dass sie ihre Zelte notfalls „überall in der Stadt“ aufstellen würden. Was die Polizei zum Anlass nahm, eine „Null-Toleranz-Politik“ gegen wildes Campen auszurufen.
Und mittendrin die Obdachlosen. Sie haben ohnehin einen schlechten Stand, ihre Zelte und Platten werden von den zuständigen Bezirksämtern häufig nur zähneknirschend geduldet – wenn überhaupt. Wie sehr sie die angekündigte Null-Toleranz-Politik treffen wird, ist unklar. Man werde Protestler und Obdachlose schon auseinanderhalten können, heißt es aus der Innenbehörde. Die Sorgen vor Vertreibung seien unbegründet.
Das zu glauben fällt vielen schwer, zum Beispiel Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer. „Selbst ich hätte meine Schwierigkeiten, Obdachlose von Aktivisten zu unterscheiden“, sagt er. Wie schon im Mai fordert er von der Stadt Unterkünfte oder eine Ausweichfläche für alle Obdachlosen, die wegen des G20-Gipfels ihre Platten räumen müssen.
Diese Forderung hat Hinz&Kunzt im Juni noch einmal unterstrichen – mit einem offenen Brief an den Ersten Bürgermeister Olaf Scholz, Sozialsenatorin Melanie Leonhard und Innensenator Andy Grote (alle SPD).
„Der Gipfel löst bei Normalbürgern ja schon Unsicherheit und Ängste aus“, schreibt Chefredakteurin Birgit Müller darin. „Vielleicht können Sie dann ermessen, welche Verunsicherung und Ängste das zu erwartende Polizeiaufgebot und die Vorkehrungen bei Menschen auslösen können, die physisch wie psychisch an der Wand stehen.“ Müllers Wunsch: Die adressierten Politiker mögen ein Zeichen setzen, „indem Sie zeigen, dass Hamburg sich gerade jetzt um seine schwächsten Bürger kümmert“.
Zumal das ganz einfach wäre: Das Winternotprogramm am Schaarsteinweg steht leer – und die Stadt lagert derzeit 895 Container ein. „Wenn man die nutzen würde, hätte Hamburg nahezu keine Obdachlosen mehr“, sagt Sozialarbeiter Karrenbauer.
„Die Obdachlosen müssen beim Gipfel besser geschützt werden“
Mehr Schutz der Obdachlosen zum G20, mit dieser Forderung steht Hinz&Kunzt nicht alleine da. Das City Management, ein Zusammenschluss von Hamburger Geschäftstreibenden sieht nun Handlungsbedarf: „Die Innenstadt ist auch ein Lebensraum für Obdachlose“, sagt Geschäftsführerin Brigitte Engler im Gespräch mit Hinz&Kunzt. Sie seien den Auswirkungen des Gipfels unmittelbar ausgeliefert und müssten deshalb besser geschützt werden.
„Diese Menschen können nicht schnell reagieren, einfach aufstehen, ihre Tasche nehmen und gehen“, sagt Engler. „Sie benötigen eine Unterkunft ähnlich dem Winternotprogramm, die auch schon in den Tagen vor dem Gipfel geöffnet hat.“
Eine Forderung, der sich auch der Runde Tisch St. Jacobi anschließt. An ihm kommen regelmäßig zahlreiche Akteure aus der Innenstadt zusammen. Astrid Kleist, Hauptpastorin von St. Jacobi, sagt: „Wir haben gemeinsam in der Stadt dafür Sorge zu tragen, dass sich auch die Wohnungslosen in ihren berechtigten Ängsten und konkreten Befürchtungen im Blick auf die Tage rund um den G20-Gipfel ernst genommen und gehört fühlen.“
Dabei geht es nicht nur um Sicherheitsvorkehrungen, von denen Obdachlose betroffen sein könnten. Auch möglichen Ausschreitungen wären sie schutzlos ausgeliefert. Das City Management rechnet für den Bereich um die Mönckebergstraße zwar nicht mit Krawallen, auch weil die Polizei dort alle Demonstrationen verboten hat. „Mindestens für den Bereich Reeperbahn gehen wir allerdings davon aus, dass die Obdachlosen besser geschützt werden müssen“, sagt Engler.
Es wird individuelle Lösungen geben– Timo Zill, Polizeisprecher
Ähnlich sehen es auch die Unterzeichner eines Aufrufs, den Bettina Reuter von der Beratungsstelle Ambulante Hilfe initiiert hat. „Die Vertreibung und Ausgrenzung derjenigen Menschen, die ohnehin schon als ‚Verlierer‘ unserer Gesellschaft gelten, stehen einer weltoffenen und toleranten Stadt schlecht zu Gesicht“, befinden zahlreiche Träger der Wohlfahrtspflege wie Diakonie, Caritas und Partitätischer Wohlfahrtsverband Hamburg. Sie fordern vom Senat: „Auch für die Zeit nach dem G20-Gipfel müssen dauerhafte Lösungen geschaffen werden!“
Werden diese Stimmen gehört? In unserer Juni-Ausgabe erklärte Polizeisprecher Timo Zill, es würden „individuelle Lösungen“ für Obdachlose gefunden, die sich in Sicherheitsbereichen aufhielten.
Sozialbehörde: Im Pik As gibt es „ausreichend Plätze“
Was an den hartnäckigen Gerüchten dran ist, dass die Platten an Kennedy- und Kersten-Miles-Brücke zum Gipfel geräumt werden, beantwortet die Polizei nicht eindeutig. In der Sozialbehörde geht man trotz der Unsicherheiten davon aus, dass der Gipfel auf Obdachlose „geringe“ Auswirkungen hat. Für eine zusätzliche Unterkunft gebe es „keinen Bedarf“, sagt ein Sprecher. In der Notunterkunft Pik As gebe es „ausreichend Plätze“. Mitte Juni waren dort 90 Betten frei, bis zum Gipfel könnten es noch etwas mehr sein.
Alle Experten gehen dagegen davon aus, dass im Gipfel-Einzugsbereich rund 200 bis 300 Obdachlose schlafen. Und wenn die Polizei ihre „Null-Toleranz-Politik“ gegen Wildcamper durchsetzt, könnte es wesentlich mehr Obdachlose treffen, die eine „individuelle Lösung“ brauchen. Mal eben schnell.