Hinz&Künztler Matthias Sell erzählt, warum er als zugewählter Bürger für die Linke in der Bezirksversammlung Wandsbek sitzt.
(aus Hinz&Kunzt 251/Januar 2014)
Viele Hinz&Künztler haben zu viele eigene Probleme. Sie können oder wollen sich politisch nicht engagieren. Sie denken: „Die da oben machen sowieso, was sie wollen.“ Aber wenn wir für arme Menschen Veränderungen wollen, müssen sich auch arme Menschen beteiligen. Gegen Armut setzen Großindustrielle sich halt nicht so ein. Die haben andere Interessen. Ich finde es wichtig, dass gerade jemand wie ich, der von Hartz IV und dem Hinz&Kunzt-Verkauf lebt, sein Recht in Anspruch nimmt, an der Politik teilzuhaben.
Ich bin zugewählter Bürger für die Partei Die Linke im Bezirk Wandsbek. Das heißt: Die Bezirksversammlung hat mich und andere ausgesucht, damit in allen Ausschüssen von jeder Partei, die in der Bezirksversammlung ist, jemand sitzen kann. Die Linke hat nur drei gewählte Vertreter in der Bezirksversammlung, dazu kommen 21 zugewählte Bürger wie ich.
Ich habe mir auf die Fahne geschrieben, etwas für die kleinen Leute zu tun. Im Mai, wenn Bezirkswahlen in Wandsbek sein werden, will ich vielleicht selbst offiziell kandidieren. Und dann habe ich mir vorgenommen, mich nicht „kaufen“ zu lassen, also keine Deals einzugehen. Alle starten ja eigentlich mit hohen Ansprüchen – und nehmen dann irgendwann doch das kleinere Übel in Kauf, kapitulieren quasi. Aber ich finde, das ist Verrat an denen, die auf sie hoffen und sie gewählt haben.
„Die Sanktionen vom Amt müssen ein Ende haben!“
Ich will möglichst viel erreichen, aber realistisch bleiben. Ich bin für eine Grundrente. Die Armut alter Menschen ist ein großes Problem, das schlimmer werden wird. Das liegt auch an Hartz IV. Ich finde, das muss abgeschafft und durch ein Grundeinkommen ersetzt werden. Denn du hast fast keine Chance, von Hartz IV wieder wegzukommen. Du kriegst da einfach einen Stempel, das ist ein richtiges Stigma. Dazu kommen die Sanktionen vom Amt. Das muss ein Ende haben. Dafür setze ich mich mit anderen in der Landesarbeitsgruppe Arbeit und Armut der Linken ein. Wir entwickeln dort auch Ideen, wie die Situation für „Hartz-IV-Geschädigte“ – wie wir sie nennen – verbessert werden kann und wer dafür ins Boot geholt werden kann.
Mit Hartz IV ringen wir schon, seit es das gibt. Es ist nicht nur ein menschenverachtendes System, es ist auch immer zu wenig – trotz regelmäßiger Erhöhungen, die sich angeblich an den Preiserhöhungen orientieren. Wenn es jetzt neun Euro mehr im Monat pro Person gibt, werden die aber gleich wieder aufgefressen. Mindestens! Wenn nicht von den immer höheren Nebenkosten und für Energie, dann von den teureren HVV-Fahrkarten. Die sind für Hilfeempfänger und andere arme Leute jetzt schon nicht bezahlbar.
„Ein echtes Sozialticket muss wieder her!“
Ich kann mir nur das billigste Ticket leisten: eine CC-Karte, mit der ich aber vom Geltungsbereich und zeitlich eingeschränkt bin. Will ich weiter fahren, muss ich eine Ergänzungskarte kaufen. In den Sperrzeiten brauche ich eine reguläre Fahrkarte, die ich voll zahlen muss. Eine Einzelfahrt im Großbereich kostet ab sofort drei Euro. Das ist ein Achtel von den gut 24 Euro, die im Regelsatz der Grundsicherung für Fahrtkosten für den ganzen Monat vorgesehen sind. Wie soll das funktionieren? Da hilft die Sozialkarte, mit der wir das Abo 19 Euro günstiger bekommen, auch nicht viel. Ein echtes Sozialticket, wie es das bis 2003 gab, muss wieder her. Eine bezahlbare Monatskarte, mit der arme Menschen – nicht nur Hartz-IV-Empfänger, sondern auch Geringverdiener oder Rentner – wirklich mobil sind.
Als Hartz-IV-Geschädigter kann man sich echt nichts leisten. Die politische Lage ist bei uns im Moment so: Bestenfalls bleibt die Situation für kleine Leute wie mich gleich schlimm. Aber das will ich nicht einfach so hinnehmen.
Protokoll: Beatrice Blank
Foto: Mauricio Bustamante