Zwischen Italien und Deutschland werden Hunderte Flüchtlinge zum Spielball der Politik. Etwa 300 Afrikaner, die aus Libyen über Italien in die EU eingereist sind, leben in Hamburg schutzlos auf der Straße. Jetzt zeichnet sich eine Notlösung für sie ab.
Nirgendwo konnte Friday Emitola bleiben: In Nigeria nicht, in Libyen nicht, in Italien nicht. Und in Hamburg wohl auch nicht.
Seine beschwerliche Reise beginnt 2008 in der Wüste von Nordnigeria auf einem Viehtransporter, erzählt er. Versteckt zwischen Kühen, verlässt der 31-jährige Christ seine Heimat, weil er von militanten Moslems bedroht wird. Das Leben stellt ihn vor die Wahl: sich mit Waffen zu verteidigen oder das Weite zu suchen. Das waren seine Optionen, sagt Emitola: „Ich bin aber kein Soldat!“ Deswegen musste er weg aus Nigeria. „Ich wollte nicht kämpfen, also musste ich fliehen.“
Drei Jahre lang lebt er im libyschen Bengasi. Dort habe er als Kfz-Mechaniker gearbeitet, wie schon früher in Nigeria. Dann kam der Krieg und Emitola musste wieder um sein Leben fürchten. „Überall flogen Raketen und Gewehrkugeln durch die Luft“, erinnert er sich. Zwei Wochen lang habe er sich in einem Keller versteckt und es dann geschafft, nach Tripolis zu gelangen. Von dort aus muss er weiterfliehen. Wohin, weiß er nicht, es ist ihm auch egal: Hauptsache weg. „Ich bin dann in einem Boot auf dem Mittelmeer gelandet.“
Das Boot irrt einige Tage auf See umher. Alle überleben die riskante Überfahrt, aber das ist reine Glücksache: Mehr als 2000 andere Flüchtlinge sind dabei 2011 gestorben, so die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl.
Friday Emitola und seine Begleiter schaffen es bis auf die italienische Insel Lampedusa. Jetzt ist er in der Europäischen Union, wird als politischer Flüchtling anerkannt. Das bedeutet Sicherheit, glaubt er anfangs. Die Behörden bringen ihn dahin, wo andere Urlaub machen: in die Toskana. Fast zwei Jahre lang lebt er dort in einem Flüchtlingslager. Wie Urlaub ist das nicht: „Wir haben in Italien wie Gefangene gelebt“, sagt Emitola. Erst nach fünf Monaten habe er etwas Taschengeld bekommen, 75 Euro im Monat. Eine Arbeitserlaubnis hatte er zwar. „Aber Arbeit gab es nicht.“
Von Italien ins Winternotprogramm nach Hamburg
Dann muss Emitola wieder weiter. Die italienischen Behörden hätten ihm 500 Euro in die Hand gedrückt und ihn weggeschickt, sagt er. „Sie haben mir gesagt, ich soll in irgend ein anderes Land gehen“, berichtet er. „Und sie haben mir gesagt, ich kann mit meinen Papieren in ganz Europa arbeiten.“ Emitola kauft sich ein Flugticket nach Hamburg. Dass er hier als Tourist gilt und nicht arbeiten kann, habe er erst in Deutschland erfahren.
Jetzt also Hamburg. Seit Anfang April ist er hier, kam anfangs in den Notunterkünften unter, die die Stadt den Obdachlosen im Winter zur Verfügung stellt. Am 15. April musste er auch die verlassen, wie alle anderen auch. Seitdem schläft er auf der Straße. Friday Emitola hat schon viel erlebt, aber obdachlos war er noch nie. „Dafür gibt es keine Rechtfertigung“, sagt er. „Wir sind doch auch Menschen!“
Emitola ist nicht allein. Auf 300 schätzt die Flüchtlingsorganisation Karawane die Zahl der Flüchtlinge aus Libyen, die seit Mitte April auf Hamburgs Straßen leben. Ursprünglich kommen sie aus verschiedenen westafrikanischen Ländern: Ghana, Mali, Burkina Farso. „Es gibt dort mannigfache Gründe zu fliehen“, sagt der Europareferent der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Karl Kropp: Folter, Vertreibung oder fehlende Meinungsfreiheit gehörten dazu. „Viele waren auch zum Arbeiten in Libyen und wurden dort Opfer von Krieg, Gewalt und Rassismus.“
In Deutschland haben sie etwas gemeinsam: Einen Anspruch auf Unterbringung haben sie hier nicht, arbeiten können sie mit ihren Papieren auch nicht. Die Behörden fordern sie auf, wieder nach Italien zu gehen, dort liege die Zuständigkeit.
Italien bietet keine Perspektive
Seit 2003 nehmen Deutschland und andere EU-Länder in der Regel keine Flüchtlinge mehr auf, die die Europäische Union über ein anderes Land betreten haben. Das regelt die sogenannte Dublin-II-Verordnung. Für Länder mit EU-Außengrenze wie Italien ist das ein Problem, weil sie mit den Flüchtlingen, die über das Mittelmeer kommen, überfordert sind. Die Zustände dort seien zum Teil menschenunwürdig, sagt Kropp: „Italien ist kein Land, in das man Flüchtlinge schicken sollte.“
2011 forderte Pro Asyl die Bundesregierung auf, Flüchtlinge aus Libyen in Deutschland aufzunehmen – knapp 200 durften daraufhin einreisen. Das Tauziehen begann: Inzwischen sind über Italien viel mehr in die Bundesrepublik eingereist, denn Italien sieht sie als Belastung und hat sie weitergeschickt. Und Hamburg will sie jetzt wieder zurückschicken. Davor warnt Pro Asyl: „Sie haben keine Perspektive in Italien!“, sagt Kopp. Für die Flüchtlinge aus Arabien waren zusätzliche Lager errichtet worden. Inzwischen seien diese geschlossen worden. „In Italien landen sie auf der Straße. Wenn sie Glück haben, bekommen sie einmal am Tag eine warme Suppe von der Caritas.“
In Hamburg werden sie zwar im Mai auch nicht anders behandelt, trotzdem wollen die Flüchtlinge sich nicht schon wieder wegschicken lassen. Die Flüchtlinge wollen sich nicht schon wieder wegschicken lassen. Jetzt wollen sie ihre Situation hier in Deutschland verbessern. Ein geregeltes Leben in Hamburg ist ihr Wunsch. „Wir wollen nicht gezwungen werden, Drogendealer zu werden“, sagt Aname Kofi Mark. Der 34-Jährige kam aus Ghana über Libyen und Italien nach Hamburg. Seine Frau und seine beiden Kinder hat er in Ghana zurückgelassen und ihnen aus Libyen Geld geschickt. Jetzt hat er nichts mehr, was er seiner Familie schicken könnte, weil er keine Arbeit bekommt. Aber betteln möchte der frühere Bauarbeiter auch nicht, dafür ist er zu stolz: „Das wäre auch unfair, ich bin ein junger Mann und kann arbeiten.“ Deswegen fordert er ein Dach über dem Kopf und vom Staat die Erlaubnis, hier zu arbeiten. Das und den Zugang zum Gesundheitssystem, mehr will er gar nicht. „Das ist unser Ziel, dafür kämpfen wir.“
Kämpfen für Menschenwürde, das sind die Afrikaner inzwischen gewohnt. Als es im Mai wieder kalt und regnerisch in Hamburg wird, werden die Flüchtlinge unruhig. Ihre Unzufriedenheit bringt viele dazu, sich öffentlich zu Wort zu melden. Sie veranstalten Demonstrationen, errichten ein Infozelt am Steindamm und geben der Presse Interviews. „Wir haben nicht den Nato-Krieg überlebt, um auf Hamburgs Straßen zu sterben“ ist ihre Parole. Einmal gehen sie auch ins Rathaus, um mit Olaf Scholz zu sprechen. Aber der Bürgermeister ist nicht da und sein Büroleiter kann ihnen auch keinen Gesprächstermin verschaffen.
Behörde will Rückreise „unterstützen“
Pro Asyl fordert die Stadt Hamburg auf, die Flüchtlinge kurzfristig aufzunehmen. „Wenn man ein gemeinsames Europa will, müsste man für die Menschen eine humanitäre Lösung in Hamburg finden“, sagt Karl Kropp. Gäbe es den politischen Willen dazu, würden sich auch juristische Möglichkeiten finden. „Die Chancen dieser Menschen sind in Hamburg generell schlecht“, erwidert zunächst Sozialsenator Detlef Scheele (SPD). Er empfiehlt den Flüchtlingen, sich an das kommunale Flüchtlingszentrum zu wenden: „Dort wird alles dafür getan, sie bei der Rückreise zu unterstützen – zum Beispiel in Form von Fahrkarten.“
Die Einsicht, dass hier vor Ort Nothilfe benötigt wird, wächst Ende Mai. Sozialbehörde, Diakonie und Flüchtlingszentrum führen Gespräche über den Umgang mit den Afrikanern. „Wir dürfen hier keine falschen Erwartungen wecken“, sagt Senator Scheele. „Dennoch wollen wir im möglichen Rahmen helfen.“ Im Gespräch ist nach Hinz&Kunzt-Informationen eine temporäre Unterbringung der Flüchtlinge in Hamburg.
Die Flüchtlinge klagen indes über vermehrte Krankheitsfälle, die Arztbesuche notwendig machten. „Bei anhaltendem kalten und nassen Wetter wird die gesundheitliche Situation vieler immer ernster“, schreiben Sie auf ihrer Homepage. „Die Erkrankungen werden durch das erzwungene und andauernde Leben auf der Straße verursacht.“ Viele besitzen weder Winterjacke noch Schlafsack, der sie in den kalten Nächten wärmen könnte. Schnelle unkomplizierte Hilfe vom Senat können die Flüchtlinge allerdings nicht erwarten, heißt es aus der Sozialbehörde.
Text: Benjamin Laufer, Jonas Füllner
Foto: Mauricio Bustamante