367 Tage saß der Journalist Deniz Yücel ohne Anklageschrift in einem türkischen Gefängnis. Seine Kollegin und Freundin Yasemin Ergin hat ihre persönlichen Gedanken zu Deniz’ Haft für uns aufgeschrieben.
An einem Abend Ende Juli 2016 saßen Deniz und ich zusammen in seiner Istanbuler Wohnung. Wir tippten eifrig Texte in unsere Computer und unterhielten uns nebenbei. Es waren hektische Zeiten. Der Putschversuch lag nur zwei Wochen zurück und die „Säuberungsaktionen“, mit denen das Erdogan-Regime auf den versuchten Staatsstreich reagierte, waren in vollem Gange. Tausende Staatsbeamte und Oppositionelle waren entlassen oder verhaftet worden. Ein paar Tage zuvor war der Ausnahmezustand in Kraft getreten, der es Erdogan noch einfacher machen sollte, Kritiker hinter Gitter zu bringen.
Es sah nicht gut aus für die Türkei.
Deniz war dennoch optimistisch und ich ließ mich von ihm anstecken. Wir sprachen darüber, wie sich die in den Tagen nach dem Putschversuch so gedrückte Stimmung langsam wieder zu normalisieren schien, wie schwer die Menschen in der Türkei sich einschüchtern ließen und dass vielleicht ja doch nicht alles den Bach runtergehen würde.
Der „Welt“-Korrespondent blieb zunächst optimistisch
Kurz darauf schrieb Deniz einen Text dazu für seine Zeitung. Er plädierte gegen zu viel Schwarzmalerei und argumentierte mit Hinweis auf Erdogans Pragmatismus und die Ausdauer des säkular-urbanen Milieus, dass vielleicht ja doch alles gut oder zumindest nicht schlechter werden würde. Viele Leser kritisierten, dass so viel Optimismus in so schweren Zeiten fehl am Platz sei.
Seine damalige Freundin und heutige Ehefrau Dilek habe ihm damals vorgeworfen, die Dinge zu rosig zu sehen, weil er so in sie verliebt sei, sagte Deniz in einem taz-Interview, das er im vergangenen November aus dem Gefängnis gab.
Deniz schrieb über totalitäre Tendenzen des Erdogan-Regimes
Über den Ernst der Lage war Deniz sich aber selbstverständlich bewusst. Neben ein, zwei vorsichtig optimistischen Kommentaren erschienen von ihm in jenen Monaten ja auch unzählige brisante, gewissenhaft recherchierte, beunruhigende Artikel über die Entwicklungen im Land. Er schrieb über die nicht enden wollende Verhaftungswelle gegen Oppositionelle und Journalisten, über den immer wieder aufflammenden Terror, über die zunehmend totalitären Tendenzen des Erdogan-Regimes.
Er verlor dabei bloß nicht den Blick dafür, was er an seinem Berichtsland so sehr liebte. Wenn die Menschen, die für eine freiere Türkei kämpften, trotz aller Widerstände Mut und Hoffnung nicht verloren, dann wollte er das auch nicht tun.
Einschüchterungsversuchen zum Trotz
Der Regierung war er zu jener Zeit schon längst ein Dorn im Auge. Versuche, ihn einzuschüchtern, hatte es schon mehrfach gegeben, aber daran die Türkei zu verlassen, dachte Deniz nicht. Er glaubte, als deutscher Korrespondent trotz allem weniger zu riskieren als seine türkischen Kollegen.
Die Bestürzung hält unvermindert an, hinzu kommt täglich neue Fassungslosigkeit.
Wie schwer der Schock ihn und seine Familie getroffen haben muss, als er am 27. Februar 2017 nach zwei Wochen in Polizeigewahrsam inhaftiert wurde, das kann ich nur erahnen. Ich selbst weiß noch genau, wo ich war und was ich tat, als ich von seiner Verhaftung erfuhr. Diese Bestürzung hält unvermindert an, hinzu kommt täglich neue Fassungslosigkeit. Darüber, dass er noch immer ohne Anklageschrift in Haft ist, dass die Klagen beim türkischen Verfassungsgericht und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bisher keine Wirkung hatten und vor allem darüber, dass die deutsche Regierung nur so wenig für ihn ausrichten kann oder will.
Seit gut einem Jahr sitzt Deniz nun im Hochsicherheitsgefängnis Silivri in einer Einzelzelle, bis vor Kurzem noch komplett isoliert von seinen Mithäftlingen. Sich vorzustellen, wie es Deniz, einem der gesprächigsten, geselligsten Menschen, die ich kenne, in dieser Situation geht, das tut weh.
Neues Buch von Deniz Yücel
Er klingt fast so wie immer
Dass er dennoch seinen Humor und seinen Mut bewahrt zu haben scheint, gibt Hoffnung. Seine Frau Dilek erzählt, dass er bei ihren wöchentlichen Besuchen oft lache, dass er guter Dinge sei, weil er wisse, dass er in seinem Job, den er über alles liebe, alles richtig gemacht habe. Auch in seinen Briefen und Artikeln, die über seine Anwälte gelegentlich den Weg nach draußen finden, klingt Deniz fast so wie immer. Welche langfristigen Folgen die Haft auf ihn haben werde, das könne er nicht einschätzen, sagte er selbst in seinem ersten Interview aus dem Gefängnis.
Klar ist, dass die Haft nicht nur sein Leben verändert hat, sondern auch das seiner Angehörigen. Seine Schwester Ilkay und seine Ehefrau Dilek stehen seit seiner Verhaftung in der Öffentlichkeit und engagieren sich unermüdlich für seine Freilassung. Sie sind wie viele seiner Freunde und Kollegen zu Aktivisten für die Pressefreiheit geworden.
Unzählige Soliveranstaltungen hat der Freundeskreis #FreeDeniz im vergangenen Jahr organisiert, immer neue Aktionen sind in Planung. Dass dieses Engagement ihn erreicht und ihm Mut macht, ist das Wichtigste daran. Nebenbei hilft es aber auch gegen die eigene Hilflosigkeit, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen.
https://www.facebook.com/FreundeskreisFreeDeniz/videos/245907472547806/
Bei einer Kundgebung für die Freiheit von Deniz im Park Fiction im Frühjahr 2017 sprach auch die Autorin
Damals im Sommer 2016, knapp zwei Wochen, nachdem der eingangs erwähnte optimistische Lagebericht von ihm erschien, gönnte Deniz sich übrigens eine kleine Auszeit und flog mit Dilek an die Westküste der Türkei. Statt Kommentaren zur politischen Situation in der Türkei postete er ein paar Fotos von aufblasbaren Flamingos auf der Ägäis und von Bootstouren. Deniz liebt das Meer, nach dem seine Eltern ihn benannt haben. Ich hoffe jeden Tag, dass er es bald wiedersieht.