Ukrainische Skateboardkids

Rollen der Hoffnung

Mit solchen gebrauchten Skateboards trainieren die ukrainischen Kids in der Skatehalle „Gleis D“ in Hannover. Foto: Thomas Girondel
Mit solchen gebrauchten Skateboards trainieren die ukrainischen Kids in der Skatehalle „Gleis D“ in Hannover. Foto: Thomas Girondel
Mit solchen gebrauchten Skateboards trainieren die ukrainischen Kids in der Skatehalle „Gleis D“ in Hannover. Foto: Thomas Girondel

Der französische Fotograf Thomas Girondel begleitete über ein Jahr lang das Projekt des ukrainischen Skaters Yurii Korotun: kostenloser Skateunterricht für geflüchtete Kinder und Jugendliche aus Yuriis Herkunftsland.

Hinz&Kunzt Randnotizen

Freitags informieren wir per Mail über die Nachrichten der Woche:

Ich habe 2014 in der Ukraine mein erstes fotografisches Langzeitprojekt gestartet, es ging um die Aus- und Nachwirkungen der berühmten Maidan-Revolution. Als ich dazu 2018 wieder in Kiew weilte, fiel mir nahe des Maidan-Platzes eine Gruppe Skater auf und darunter besonders einer von ihnen – das war Yurii Korotun. Es stellte sich heraus, dass Yurii zu den Besten seines Landes gehörte. Ich war selbst mal Skater, wir mochten uns gleich, tauschten unsere Kontaktdaten aus und schrieben uns hin und wieder.

Im Frühjahr 2022 intensivierte sich unser Kontakt. Yurii, damals 26, hatte den Einmarsch der russischen Armee in seine Heimat vorausgeahnt. Kurz zuvor setzte er sich mit seiner deutsch-ukrainischen Freundin Angelina nach Hannover ab, wo schon ihre Mutter untergekommen war. In Hannover kamen in den folgenden Wochen zahlreiche Geflüchtete aus der Ukraine an. Viele von ihnen wurden zunächst in der Messehalle 27 untergebracht, darunter auch viele Kinder und Jugendliche. Yurii litt unter der Situation und wollte nicht nur stillsitzen und abwarten, sondern unbedingt etwas tun – auf seine Weise. Anfang April meldete er sich bei mir und sagte: „Thomas, ich habe da was, das dich interessieren könnte.“

„Auf dem Board fühle ich mich frei.“

Erika

Yurii hatte einen Spendenaufruf gestartet, mehrere Unterstützer gefunden und ein Projekt gestartet, das ich „Wheels of Hope“ taufte – Rollen der Hoffnung. Zweimal die Woche gaben Yurii und andere Freiwillige der lokalen Skate-Community den jungen Geflüchteten aus der Messehalle kostenlosen Unterricht, in der „Gleis D Skatehalle“ im Norden von Hannover. Die Idee dahinter: positive Ablenkung schaffen für seine traumatisierten jungen Landsleute, die fern der Heimat und nach oft verstörenden Fluchterlebnissen vor einer völlig ungewissen Zukunft standen und kaum etwas hatten, was ihnen Freude bereitete.

Ich habe schon immer gerne mit jungen Menschen gearbeitet, und wir Skater:innen sind ja ohnehin so etwas wie eine globale Gemeinschaft. Es gibt unter uns eine vorurteilsfreie Solidarität, wie man sie sonst im Leben kaum findet. Um „Wheels of Hope“ zu dokumentieren, reiste ich nach Berlin, wo ich seit zehn Jahren mehrere Monate im Jahr lebe, und fuhr von dort aus immer wieder mit dem Zug nach Hannover zum Fotografieren.

Nach einem etwas schwerfälligen Start sprach sich das Projekt bald in der Messehalle herum, immer mehr Jungen und Mädchen zeigten Interesse und wollten Teil davon sein. Die meisten von ihnen redeten nicht über das, was sie an Sorgen mit sich herumtrugen oder was sie an Grausamkeiten erlebt hatten. Aber ich konnte spüren und in ihren Augen sehen, wie gut ihnen dieses pure Sein nur im Moment auf dem Brett tat. Skaten verlangt absolute Konzentration, wenn du an etwas anderes denkst, dann wirst du unweigerlich stürzen. Das war es also, was Yurii und seine Helfer:innen den Kindern schenken konnten: kostbare Freiheit im Kopf, unschuldige Stunden des Loslassens, des inneren Friedens. Skaten als Therapie.

Während Makar aus Dnipro um sein Gleichgewicht kämpft, hebt Trainer Yurii Korotun unter den neugierigen Blicken von Karina, Abdullah und Svyatoslav mit seinem Board ab. Foto: Thomas Girondel

Es sind nun mehr als zwei Jahre vergangen. 2023 war ich noch einmal in Hannover – das Projekt läuft noch heute. Yurii ist inzwischen aus privaten Gründen nach Lissabon weitergezogen, er kommt aber nach wie vor zweimal im Monat nach Hannover, um den Kids weiter Unterricht zu geben. So wie Erika aus Dnipro, die vom Start weg dabei ist. Sie hat mir gesagt: „Hier kann ich Dampf ablassen, auf dem Board fühle ich mich frei.“ Auch mir hat das Projekt geholfen: Ich habe gemerkt, dass ich viel zu viele Projekte fotografiert hatte, die mich traurig gemacht haben – das will ich ändern. Und ich habe wieder mit dem Skaten angefangen.

Artikel aus der Ausgabe:

Ist das Heimat?

Was Heimat für unsere Verkäufer:innen bedeutet, wieso Heimatvereine als Gegengewicht zum Senat galten und was am Heimat-Begriff kritisch ist, erfahren Sie im Schwerpunkt. Außerdem: Spatzen von St. Pauli und ukrainische Kids auf dem Skateboard.

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Autor:in
Jochen Harberg
Seit über 40 Jahren im Traumberuf schreibender Journalist, arbeitete festangestellt u. a. für Stern und Welt am Sonntag. Seit 2019 mit großer Freude im Team von Hinz&Kunzt.

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