Im ersten Halbjahr 2015 kamen so viele Flüchtlinge wie im gesamten Vorjahr nach Hamburg. Weil in den Aufnahmestellen nicht genügend Platz ist, müssen bis zu 500 Flüchtlinge jetzt im Hochsommer in Zelten nächtigen.
Immer mehr Menschen suchen in Hamburg Zuflucht und Schutz. Allein im vergangenen Monat brachte die Stadt 1400 Flüchtlinge unter. Damit erreichen die Flüchtlingszahlen bereits im ersten Halbjahr annähernd die Werte des gesamten Vorjahres. Während 2014 noch 5985 Flüchtlinge in Hamburg verblieben und untergebracht wurden, liegt die Zahl für die ersten sechs Monaten diesen Jahres bereits bei 5725.
„Angesichts der Zugangszahlen bitte ich um Verständnis dafür, dass wir auch auf kurzfristige Lösungen setzen müssen“, sagt jetzt Sozialsenator Detlef Scheele. Ende vergangener Woche hatte die Innenbehörde auf dem ehemaligen Parkplatz der Internationalen Gartenschau in Wilhelmsburg kurzerhand Zelte für etwa 500 Flüchtlinge aufstellen lassen und damit für Unmut unter den Bezirkspolitikern gesorgt. Die Zentralen Erstaufnahmen seien überfüllt gewesen, begründete Scheele bei der Landespressekonferenz die Entscheidung. Weitere Neuankömmlinge hätte ansonsten auf der Straße schlafen müssen, so der Sozialsenator.
Mehr als 3000 neue Plätze hat die Stadt alleine in den vergangenen sechs Monaten für Flüchtlinge bereit gestellt. Insgesamt stehen derzeit 86 Standorte mit knapp 19.000 Plätzen zur Verfügung. Doch das ist immer noch zu wenig. Die Armut in der Balkanregion und die Bürgerkriege in Syrien, Afghanistan und dem Libanon treiben immer mehr Menschen in die Flucht. Deswegen plant der Senat derzeit 38 neue Standorte mit 9000 Plätzen. Fertiggestellt werden bis zum Jahresende allerdings wohl lediglich 4000 Plätze.
Denn in Stadtteilen wie Poppenbütel oder auch Harvestehude regt sich Widerstand gegen Flüchtlingsunterkünfte. Anwohner in Harvestehude hatten per Klage den Bau einer Flüchtlingsunterkunft an den Sophienterrassen verhindert. Das Bezirksamt ändert nun den Bebauungsplan, um die Klage zu umgehen und lädt Anwohner heute zu einer Informationsveranstaltung ein. Anfang 2016 könnte schließlich die Unterkunft eröffnet werden.
Nach Schätzungen der Behörden fehlen allerdings für dieses Jahr noch 3000 Plätze. Deswegen werden vorrübergehend Flüchtlinge in Zelten auf Park-and-Ride-Plätzen untergebracht. Der rot-grüne Senat räumt damit ein, dass er den bislang gültigen Mindeststandard in den Unterkünften – ein Leben im Wohncontainer – künftig nicht mehr gewährleisten kann. Ziel sei es, den Menschen im Winter wieder ein Dach über dem Kopf zu bieten. Das wird sicherlich kein leichtes Unterfangen. Denn aktuell werden sogar die etwa 900 Plätze aus dem Winternotprogramm für Flüchtlinge genutzt. Diese müssen im Herbst wieder Obdachlosen zur Verfügung gestellt werden.
Deswegen ist der Senat bemüht viele neue Unterkünfte zu schaffen. Die zahlreichen Containersiedlungen und Unterkünfte werden das Stadtbild verändern, sagt Senator Scheele. Dass sich „bereits einen Kilometer rechts oder links von Ihrem Haus eine Flüchtlingsunterkunft befindet“, sei künftig gang und gäbe, sagt Scheele. Er hoffe, dass niemand sein parteipolitisches Süppchen zu kochen wage. In Richtung der Anwohner in Poppenbüttel und Harvestehude, die sich gegen Flüchtlingsunterkünfte in ihrer Nachbarschaft zur Wehr setzen, sagt Scheele: „Der Senat teilt die Meinung dieser Anwohner nicht.“ Es gäbe dort Widerstand, „sich menschlich und solidarisch zu zeigen“. Bereits im Hinz&Kunzt-Interview hatte Scheele erklärt: „Auch wohlhabende Menschen in Harvestehude können sich ihre Nachbarn nicht aussuchen, wenn die Not groß ist.“ Ausdrücklich lobte der Senator hingegen das ehrenamtliche Engagement in der Flüchtlingshilfe. „Ich danke allen ehren- und hauptamtlich Aktiven für ihre engagierten Leistungen.“
Klar ist auch: Die Kosten für die Unterbringung und Flüchtlingshilfe steigen. 68 Millionen Euro hat der Senat vor der Sommerpause bereits nachbewilligt. Weitere Kostensteigungen sind zu erwarten. Finanziert mit den zusätzlichen Mitteln werden aber auch 20 neue Mitarbeiter, die „sich um die Beendigung des Aufenthalts“ der Asylbewerber kümmern werden. Weniger als ein Prozent der Menschen aus der Balkanregion hätten einen Bleiberechtsanspruch, heißt es aus der Innenbehörde. Die 20 neuen Mitarbeiter werden sich folglich verstärkt um die Abschiebung von Roma und anderen Menschen aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Mazedonien und Bosnien der Balkanregion kümmern.
Text: Jonas Füllner
Foto: action press/Matthias Braun