Bis Ende September waren in den Messehallen 1200 Flüchtlinge untergebracht. Wir haben sie mit einer Gruppe von Hinz&Künztlern besucht. Eine schwierige Begegnung, die Spuren hinterlässt.
(aus Hinz&Kunzt 272/Oktober 2015)
Die Idee zu dem Ausflug war so einfach: Hinz&Künztler besuchen Flüchtlinge und lernen eine andere Seite der Wohnungslosigkeit kennen. „Die bekommen doch alles in den Arsch geschoben“, hatten immer mal wieder einige Verkäufer genörgelt. Der Grund: täglich neue Berichte über Flüchtlingsunterkünfte, die geplant oder eröffnet werden. Selbst das Argument, viele der Flüchtlinge würden nur in Zelten untergebracht, findet da kein Gehör. „Uns vertreiben die Bullen, egal wo wir unser Zelt aufbauen“, sagt Hinz&Künztler Sascha.
„Lasst uns mal gucken, wie es den Flüchtlingen tatsächlich geht“, lautete daher unser Vorschlag. Schnell hatten wir unsere kleine Reisegruppe zusammen. Jürgen aus dem Vertrieb und die Verkäufer Klaus, Torsten, Ronny, Sascha, Lisa und Justin.
Doch jetzt, hier vor dem Eingang Süd der Messehalle liegen die Nerven blank. Es geht um die Hunde. Die dürfen nicht rein. Aber keiner will deswegen draußen bleiben. Auch nicht Hundebesitzer Sascha. Alle wollen sehen, wie die Flüchtlinge „da drinnen“ leben. Torsten wiederum reicht es bereits. „Wir wollten uns doch auch noch mit Flüchtlingen unterhalten. So aggressiv? Das macht doch keinen Sinn“, sagt er und zieht ab. Am Ende erbarmt sich unser Fotograf Mauricio Bustamante und bleibt mit den Hunden draußen. Halb so schlimm: „Fotografieren ist in den Schlafräumen nicht gestattet“, lautete schließlich die Maßgabe der Messe.
Ein Mitarbeiter von fördern und wohnen holt uns ab, führt uns durch die Sicherheitskontrollen. Weit mehr als 25.000 Plätze für Wohnungslose betreut das städtische Unternehmen inzwischen. Lange Zeit galten gewisse Standards in der Unterbringung: höchstens zwei, manchmal auch drei Personen in einem Zimmer. Notunterkünfte sollten eine Ausnahme darstellen. Die Aufregung war groß, als im Winter vor zwei Jahren mehr als 30 Obdachlose zusammen in einer Turnhalle nächtigen mussten. Inzwischen sind Hallen und Zelte längst keine Ausnahme mehr. Massenunterkünfte sind die Regel.
Hinter der Sicherheitskontrolle wird immer noch diskutiert. Es geht um Hundeerziehung im Allgemeinen. Egal, wir müssen weiter. Rein in den Schlafsaal. Kaum sind wir drinnen, herrscht plötzlich betretenes Schweigen. 1200 Menschen sind in der gigantischen Halle untergebracht. Bauzäune mit dünnen Planen trennen den Raum in einzelne Parzellen. Etwa 20 Menschen werden jeweils zusammen untergebracht. Aber niemand hat hier auch nur das kleinste bisschen Privatsphäre. Zögerlich spazieren wir durch die Halle, ernten verwunderte, aber auch interessierte Blicke. Beklemmend. Verstörend. „So habe ich mir das nicht vorgestellt“, murmelt Ronny. Eine Gruppe spielt Karten. Andere dösen auf ihren Liegen. Daneben stillt eine Frau ihr Baby. „Guck mal, die schlafen ja auf dem Boden“, flüstert Lisa Sascha zu. „Da ist unser Zimmer im Pik As fast schon luxuriös.“
Wir atmen tief durch, als wir endlich wieder ins Freie treten. Ein Fehler. Auf der Fläche zwischen den Messehallen sind 30 Dixi-Klos aufgereiht – für 1200 Menschen. Trotz regelmäßiger Leerung stinkt es. „Und wo duschen die Menschen?“, fragt Klaus. Der f&w-Mitarbeiter verweist auf die Duschcontainer mit zwölf Duschen. Daneben gäbe es auch sechs Waschmaschinen. „Sechs Waschmaschinen für alle?“, hakt Klaus nach und schüttelt entgeistert den Kopf. „Ja, die laufen hier auf Dauerbetrieb“, lautet die Antwort.
Unser Rundgang geht weiter, vorbei an der Speiseecke. Die Flüchtlinge haben Glück, da sie vom Messe-Caterer versorgt werden. Wir erreichen die letzte Station: die Kleiderkammer. Tonnenweise stapeln sich in der Halle B7 inzwischen die Kartons. Hunderte Helfer schwirren herum und sortieren Kleidung, Kinderwagen und andere Spenden. Die Hilfsbereitschaft rund ums Karolinenviertel hat bundesweit Schlagzeilen gemacht. Auch die Hinz&Künztler sind beeindruckt.
„Alter, ist das viel!“, ruft Ronny aus, als wir die Halle betreten. „Was wollen die denn mit so viel Kram?“ Ein bisschen Neid schwingt in seiner Stimme mit. In diesem Moment kommt jedoch Dominik. Er sei für die Auslieferung an andere Standorte zuständig. „Sagt Bescheid, wenn ihr etwas braucht.“ Flüchtlinge und Obdachlose, da gebe es für ihn keine Konkurrenz. Er selbst sei gerade ohne Wohnung. „Ich penne bei Bekannten oder auf der Straße.“ Angeblich kein Problem für ihn. „Ich bin eh fast rund um die Uhr hier.“
Helfer schieben sich an uns vorbei. Wir stehen im Weg. Also schnell raus. Zeit für einen Kaffee, Zeit für unser Gespräch mit Odai, einem jungen Syrer. Klaus fragt den 24-Jährigen, wie er Ende August nach Hamburg kam. Odai erzählt, dass er Film studiert habe. Als der Krieg ausbrach, wurde sein Haus zerstört. Er floh in die Türkei. Nur weil ein Bekannter ihm Geld lieh, gelangte er mit dem Schiff nach Europa. Deutschland erreichte er mit einem Transporter. Jetzt will er in Hamburg bleiben, gerne als Fotograf arbeiten.
„Die haben sein Haus weggebombt. Das ist schon was anderes als das, was wir hier erleben“, sagt Justin ein paar Tage später. „Kein Wunder, dass er sein Land verlassen hat.“
Als Odai seine Erzählung beendet, blickt er in betretene Gesichter. „Gemeinsam schaffen wir das“, sagt er auf Englisch und versucht so, die Stimmung aufzuhellen. Nur was? Und wie? Jeder hat mit seinen Problemen schon genug zu tun. Odai wartet auf seinen Bescheid aus der Ausländerbehörde. Er hat immer noch keine Gewissheit, ob er bleiben kann. Und der 34-jährige Ronny und der 24-jährige Justin machen weiterhin Platte. Und das schon seit Jahren. Sascha und Lisa wiederum sind in einer Notunterkunft. Sie erhielten mit ihren Hunden einen Platz im Pik As. Nur Klaus und Jürgen haben eine Wohnung.
Ein paar Tage nach unserem Besuch spricht mich Ronny an. „Schon krass, wie die da leben“, sagt er. „Und der Winter kommt ja erst.“ Auch Jürgen ist „erschrocken“, wie die Menschen in der Messehalle untergebracht sind. Andererseits kämen ja jetzt immer mehr Flüchtlinge nach Hamburg, sagt Ronny. „Heute am Hauptbahnhof, da sind jetzt megaviele Flüchtlinge.“ Und, wie um sich zu beruhigen, fügt er an: „Aber ich habe gehört, die reisen ja weiter nach Schweden.“
Text: Jonas Füllner
Fotos: Mauricio Bustamante
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