Filmfestival KinoHafen

Weltgeschehen im Nischenkino

Filmkunst aus Leidenschaft: Artem Zaidman (links), Elena Botchanov (Mitte) und Galina Ponomareva vom KinoHafen-Orgateam. Foto: Dmitrij Leltschuk
Filmkunst aus Leidenschaft: Artem Zaidman (links), Elena Botchanov (Mitte) und Galina Ponomareva vom KinoHafen-Orgateam. Foto: Dmitrij Leltschuk
Filmkunst aus Leidenschaft: Artem Zaidman (links), Elena Botchanov (Mitte) und Galina Ponomareva vom KinoHafen-Orgateam. Foto: Dmitrij Leltschuk

Das Filmfestival KinoHafen zeigt ein schillerndes Panoptikum osteuropäischer Filmkunst – und balanciert damit auch auf aktuellen Konfliktlinien.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Mitten in der Hamburger Innenstadt liegt das Metropolis-Kino versteckt in einer Seitenstraße, nebenan die Staatsoper, ringsherum Shopping. In dieser Nische, auf vier mal acht Metern Leinwand, wird sich Osteuropa ausbreiten – mit all seiner historischen Tiefe, seinen Facetten und Konfliktlinien. Zwei Tage lang, am 15. und 16. März, macht das Filmfestival KinoHafen das Metropolis zum Schaufenster postsowjetischer Filmkunst und öffnet den Raum für eine brandaktuelle Debatte: Kann Kunst politische Fronten überbrücken? Oder wird sie selbst zum Schlachtfeld?

Wenn im 1950er-Jahre-Kinosaal des Programmkinos Metropolis das Licht erlischt, soll die Kunst ihren großen Auftritt bekommen: Der KinoHafen zeigt Literaturverfilmungen wie „Der Meister und Margarita“, kritische Dokus, satirische und bewegende Kurzfilme, die meisten zum ersten und vielleicht einzigen Mal auf einer deutschen Leinwand. Viele der Filme haben in den Herkunftsländern ihrer Macher:innen keine Chance mehr auf ein großes Publikum, weil staatliche Zensur sie aus den Kinos verbannt. Ein Festival für cineastischen Widerstand also? Der KinoHafen sei in erster Linie Bühne für künstlerisch anspruchsvolle, hochwertige Werke und Branchentreffen osteuropäischer Filmschaffender, betonen Koordinatorin Elena Botchanov und ihre Kollegin Galina Ponomareva. Sie beide stammen aus Russland und sind überzeugt: Filmkunst hat die Kraft, Grenzen zu überbrücken. Man wolle Verständnis fördern, „jenseits jeglicher geopolitischer Ereignisse“. Diese Vision, erstmals formuliert bei Gründung des Festivals vor 15 Jahren, gelte immer noch.

„Es ist schwer, ohne politisches Kino auszukommen.“

Kurator Artem Zaidman

Aber kann das noch funktionieren in einer Zeit, die geprägt ist von Krieg, Flucht und Trauma?

„Ich glaube, es ist schwer, ohne politisches Kino auszukommen in der Realität, in der wir leben“, sagt Artem Zaidman, Kurator des Kurzfilmwettbewerbs beim KinoHafen. Wie alle im Organisationsteam hat er einen biografischen Bezug zu Osteuropa: Zaidman ist gebürtiger Russe, zog als Kind mit seinen Eltern nach Israel und emigrierte schließlich nach Deutschland. In Hamburg arbeitet er als Physiker am Teilchenbeschleuniger des DESY, die Filmkunst ist seine große Leidenschaft. „In den letzten Jahren wurde es deutlich schwieriger, Filme aus Russland oder Belarus in Europa zu finden“, sagt er. „Mir war es ein Anliegen, unter die Oberfläche zu tauchen und nach den Regisseuren und Künstlern zu suchen, die nicht mit dem Geld und im Sinne ihrer Kulturministerien arbeiten.“

Läuft beim KinoHafen: der Film „Der Meister und Margarita“ nach dem Roman des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow. Foto: Capelight Pictures
Läuft beim KinoHafen: der Film „Der Meister und Margarita“ nach dem Roman des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow. Foto: Capelight Pictures

Die künstlerische Qualität sei für ihn oberstes Kriterium. Doch als Kurator habe er noch eine weitere Verantwortung: „Es gibt schöne Filme, die aber einen großen Propaganda-Anteil in sich tragen. Das wäre für mich ein No-Go“, sagt er. Es sei ihm wichtig, Filme zu vermeiden, die bewusst Lügen verbreiten oder die Realität verzerren. Das wäre, trotz Meinungsfreiheit, gegenüber dem ukrainischen Publikum inakzeptabel, findet Zaidman. Gleichzeitig sei die Situation für russische Filmemacher:innen komplex: Von ihnen werde oft erwartet, dass sie sich kritisch zum Krieg äußern, während gerade solche Äußerungen ihnen aufgrund der Repressionen die Arbeit unmöglich machen. Aus Russland stammende Produktionen hätten so kaum eine Chance, im Westen gesehen zu werden. Der KinoHafen will diese Lücke schließen.

Streit gab es auf dem Festival allerdings auch schon: Als nach dem Tod von Kreml-Kritiker Alexej Nawalny eine Dokumentation über ihn ins Programm aufgenommen werden sollte, zogen zwei ukrainische Filmemacher ihre Filme zurück. Die Begründung: Nawalny hatte 2014 gesagt, die Krim gehöre zu Russland, und damit die russische Annexion in der Sache gerechtfertigt. Die Filmemacher hätten wohl auch befürchtet, von den eigenen Landsleuten gecancelt zu werden, vermutet Galina Ponomareva. In Reaktion darauf habe das Team eine Erklärung der ukrainischen Regisseurin Valeri Sochyvets verlesen, deren Film „La Palisiada“ zur Eröffnung gezeigt wurde. Die Regisseurin, die selbst nicht kommen konnte, habe darin erklärt, warum sie ihr Werk nicht zurückgezogen habe: um an die Situation ihrer Landsleute im Krieg zu erinnern und zur Reflexion anzuregen. Der Fall zeigt: Politische Konflikte treten auch im Kino bisweilen aus dem Hintergrund und mitten auf die Bühne.

Botchanov und Ponomareva finden das schwierig. Sie möchten das Publikum für künstlerische Qualität gewinnen und jedem Film den Erfolg ermöglichen, der ihm gebührt – zumindest hierzulande. Werken wie „Der Meister und Margarita“ etwa, das im Programm des KinoHafens den Headliner-Platz belegt: In Russland löste der russisch-amerikanische Regisseur Michael Lockshin mit seiner Verfilmung von Bulgakows Kultroman einen Sturm auf die Kinokassen und begeisterte Kritiken aus – bis kurz nach der Premiere. Doch dann wurde ihm der Erfolg zum Verhängnis: Der Film, der unterschwellig auch staatliche Zensur kritisiert, landete auf dem Index und verschwand von der Bildfläche.

Wer in Russland einen regimekritischen Film produziere, werde nicht gleich ins Gefängnis geworfen, erklärt Elena Botchanov. „Aber sie bekommen keine Filmlizenz, sie werden nicht gezeigt, und wenn propagandistische Journalisten auf ihre Filme aufmerksam werden, bekommen die Regisseure Probleme.“ In Belarus seien die Repressionen teilweise noch schärfer. Manchmal treffe es sogar Filme, in deren Abspann das Logo des russischen Kulturministeriums steht. „Es gibt Filme, die eine symbolische Ein-Prozent-Finanzierung des Ministeriums bekommen“, erklärt Zaidman. „Das heißt aber nicht immer, dass Einfluss auf das Szenario oder die Machart des Films genommen wird.“ Auch der Film „Snowflakes in my Yard“, der im Festivalprogramm läuft, bekam Geld vom russischen Staat. Ob er nach der Premiere dort gezeigt werde, bleibe abzuwarten, sagt Botchanov. Dass er unter dem Radar der Zensur bleibe, sei nicht zu erwarten: Unabhängige Kritiker feierten ihn bereits als einen der besten Filme des Jahres.

Laut Botchanov haben die besten russischen Filmschaffenden das Land bereits verlassen, um im Westen nach besseren Arbeitsbedingungen zu suchen. Hier möchten die Macher:innen des Hamburger Kinoforums Starthilfe leisten: Orientierung geben in der hiesigen Förderlandschaft, Zugänge zu Unis und Hochschulen erleichtern, Netzwerke knüpfen. Der Anspruch des Teams, neue Perspektiven zu ermöglichen und Verständnis zu fördern, sei auch ein Angebot an das Kinopublikum, sagt Ponomareva: „Alle sind herzlich eingeladen, mit uns zu reden. Wir sind bereit für jede Meinung und jeden Austausch.“

Artikel aus der Ausgabe:

Kein Bargeld, kein Problem?

Die Gesellschaft wird bargeldloser – was bedeutet das für Arme und Obdachlose? Eine Spurensuche in Schweden. Außerdem: Wie Sie Hinz&Kunzt mit dem Handy bezahlen können, wo Sie in Hamburg Filmkunst aus Osteuropa sehen können und worunter die Psyche von Geflüchteten leidet.

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Autor:in
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein
Annabel Trautwein schreibt als freie Redakteurin für Politik, Gesellschaft und Kultur bei Hinz&Kunzt - am liebsten über Menschen, die für sich und andere neue Chancen schaffen.

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