Wie die Stadt zweifelhaften Vermietern Steuergelder hinterherschmeißt
(aus Hinz&Kunzt 206/April 2010)
Jahrelang hat der Senat tatenlos zugeschaut, wie preiswerter Wohnraum in Hamburg knapp und knapper wird. Die Rechnung zahlen wir alle, mit unseren Steuergeldern, Monat für Monat: Weil die Stadt keine Alternativen hat, überweist sie Mondpreise für Bruchbuden, die als „Wohnungen“ an Hartz-IV-Empfänger vermietet werden. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Nachts hört sie die Ratten trappeln. Die Nager haben sich zwischen den Stockwerken eingenistet in dem Mietshaus in Ottensen, in dem Jana E. seit August vergangenen Jahres wohnt – wohnen muss, wie sie selbst sagt. Dutzende Wohnungen habe sie erfolglos besichtigt, sagt die 34-jährige Hartz-IV-Empfängerin. Schließlich landete sie „Am Sood“. Beim Einzug war die Ein-Zimmer-Wohnung frisch gestrichen, jetzt schimmeln die Wände. Die Badezimmerdecke ist nach einem Wasserschaden notdürftig ausgebessert worden, mit Spanplatten. Eine Heizung hat Jana E. nicht, nur einen Gasofen, für den sie die Gasflaschen eigenhändig in den ersten Stock schleppen muss. Immerhin reicht das Gerät aus, um die knapp 20 Quadratmeter im Winter zu wärmen.
Foto: Benne Ochs
300 Euro Kaltmiete zahlt die Arge monatlich für die Mini-Wohnung an den Vermieter, die Rauch&Veth GbR aus Berlin. Stolze 15 Euro pro Quadratmeter sind das – noch. Denn Jana E. hat einen Staffelmietvertrag unterschrieben, nach dem sich die Kaltmiete jedes Jahr um 10 Euro erhöht.
Teils marode Unterkünfte zu völlig überzogenen Preisen, bewohnt von Hilfeempfängern, bezahlt vom Amt: Das ist als das „Geschäftsmodell Kuhlmann“ in Hamburg bekannt, seitdem Hinz&Kunzt schon im Herbst 2009 und etliche andere Medien in den vergangenen Wochen über die Kuhlmann Grundstücks GmbH berichteten. Weil die Firma des Hausbesitzers, CDU-Politikers und Rennfahrers Thorsten Kuhlmann offenbar vielfach falsche Quadratmeterangaben in die Mietverträge mit Hartz-IV-Empfängern schrieb, hat die Arge im März Strafanzeige wegen des Verdachts auf Betrug und Mietwucher gestellt.
Sollte sich die Stadt dazu entschließen, nachhaltig gegen den zweifelhaften Vermieter vorzugehen, könnte am Ende eine stattliche Summe zusammenkommen. Für 300 Hartz-IV-Bezieher überweist die Arge Mietzahlungen direkt an die Kuhlmann Grundstücks GmbH. Allein im Namen eines Hilfeempfängers fordert der Mieterverein 5443,74 Euro zurück. Sollte der Vermieter bis Ende März nicht gezahlt haben, wollen die Mieterschützer das zu viel überwiesene Geld per Klage zurückholen.
Kuhlmann ist aber kein Einzelfall: Es geht um Millionen Euro Steuergelder, die seit Jahren in die Taschen fragwürdiger Vermieter fließen. Dass das mit Wissen und Billigung der Stadt geschieht, legt das Beispiel eines ehemaligen Studentenwohnheims an der Ifflandstraße in Hohenfelde nahe.
Schon 2002 berichteten das Hamburger Abendblatt und Hinz&Kunzt über René D. Zerbe, der bevorzugt an Hilfeempfänger vermietet. Kein Wunder: 287 Euro kalt kassierte seine „Bau-Service-Verwaltung“ schon damals Monat für Monat vom Amt für rund 14 Quadratmeter kleine „City-Appartements“. Die Sozialbehörde kündigte an, das Problem „strukturell“ zu lösen. Tatsächlich unternahm sie nichts.
Fast acht Jahre später bescheren Hilfeempfänger dem Vermieter weiterhin gute Einkünfte. Die Behörde will erneut von nichts gewusst haben: Auf Nachfrage von Hinz&Kunzt erklärt sie Mitte März, der Fall und das Haus seien ihr „nicht bekannt“. Just in diesen Tagen klingeln Mitarbeiter der Arge (angeblich in „enger Abstimmung“ mit der Sozialbehörde) an den Türen der Bewohner, messen Wohnungen aus und sammeln Verträge ein. Ob die dabei gewonnenen Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaft übermittelt wurden, wollte Arge-Sprecher Horst Weise nicht verraten: „Wir wollen nicht die Wölfe scheu machen!“
Rückblende: September 2009. Eine Hinz&Kunzt-Verkäuferin kommt in die Redaktion und berichtet von der „Wohnung“, in der sie mit ihrer Freundin und deren Tochter wohnt: ein feuchter Keller am Roßberg in Eilbek, der gar nicht als Wohnung vermietet werden darf. Die im Mietvertrag angegebene Größe: „ca. 70 Quadratmeter“. Hingegen die tatsächliche Größe: 56 Quadratmeter. Die Miete: 720 Euro warm. Der Vermieter: die Kuhlmann Grundstücks GmbH.
Hinz&Kunzt fragt nach. Hört sich bei den Bewohnern des Hauses am Roßberg, fast ausschließlich Hartz-IV-Empfänger, um. Vernimmt Klagen, vermisst einige Wohnungen. Und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen: Wohnungen, die laut Mietvertrag 40 Quadratmeter groß sein sollen, messen tatsächlich nur 21. Der Effekt: Die Kuhlmann Grundstücks GmbH bekommt deutlich mehr Geld als angemessen von der Arge, die die Mieten bezahlt. Die Behörde spielt die Hinz&Kunzt-Recherchen herunter, spricht von „Einzelfällen“ und sieht keinen Anlass, gegen den Vermieter vorzugehen (siehe H&K Nr. 200 und 201).
Das ändert sich erst, als der Fall bundesweit Aufmerksamkeit erregt. Im Februar berichtet das Nachrichtenmagazin Der Spiegel über das Haus am Roßberg und Kuhlmann. Und in der Folge die Hamburger Morgenpost und mehrere TV-Sender. Was vorher angeblich unmöglich war, macht nun der Pressesprecher der Arge vor laufender Kamera: Die Behörde misst „verdächtige“ Wohnungen aus. Elf Mieter treffen die Amtsmitarbeiter zum Beispiel am Roßberg an. Elf Mal stimmen Mietvertrag und Realität nicht überein.
Dass Kuhlmann und Co. mit ihrem Geschäftsmodell Erfolg haben, hat vor allem einen Grund: Es fehlen Wohnungen für diejenigen, die kaum einer als Mieter haben will. „Wir wüssten nicht, wohin wir die Menschen sonst schicken sollten“, sagt ein Helfer, der die Kuhlmann Grundstücks GmbH mit Kundschaft versorgt. Er will ungenannt bleiben, aus Angst, der Hartz-IV-Vermieter könnte die Zusammenarbeit beenden. „Keine Frage, die Wohnungen sind nicht in gutem Zustand“, sagt er. „Aber die Menschen sind froh, ein Dach über dem Kopf zu haben.“
Die Arge ließ wissen, ihre Mitarbeiter würden von den Hilfeempfängern oftmals nicht in die Wohnung gelassen. Siegmund Chychla vom Mieterverein hat eine Erklärung: „Der Hartz-IV-Bezieher ist am Ende oft der Dumme.“ Zwar zahlt die Arge Betroffenen die Beiträge für den Mieterverein, damit dieser zu viel gezahlte Gelder eintreiben kann. Doch den Ärger haben im Zweifelsfall die Hilfeempfänger. Viele fürchten den Rausschmiss – auch wenn der rechtlich gar nicht möglich ist. „Wo soll ich dann wohnen?“, sagt ein Kuhlmann-Mieter zu Hinz&Kunzt stellvertretend für viele. „Ich hab ein Jahr nach dieser Wohnung gesucht, vorher auf der Straße gelebt!“ Die Vermieter Kuhlmann, Zerbe und Rauch&Veth GbR ließen Fragen von Hinz&Kunzt bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Verantwortliche der Kuhlmann Grundstücks GmbH. Und die Sozialbehörde prüft, inwieweit Hilfeempfänger ihre etwaigen Mietminderungs- und Rückzahlungsansprüche an die Arge abtreten könnten. Aber warum die Stadt keine bezahlbaren Wohnungen baut, obwohl das Problem der Wuchermieten bei Hartz-IV-Empfängern seit Jahren bekannt ist, erklärte sie nicht.
Zahlt die Arge auch Ihrem Vermieter eine Wuchermiete? Dann melden Sie sich bei uns: ulrich.jonas@hinzundkunzt.de