Auch in diesem Jahr findet in Hamburg die „Faire Woche“ statt, auf der für fair gehandelte Produkte geworben wird. Auch für faire Blumen aus Afrika. Blumen aus Afrika – ist das sinnvoll?
(aus Hinz&Kunzt 235/September 2012)
Omari Mshana öffnet die Tür zum Kühlraum: Tausende Rosen stehen frisch geschnitten in Blechkübeln. Das Thermometer zeigt gerade mal zwei Grad Celsius an, die Luft ist feuchtkalt. Draußen dagegen herrschen wohlige 28 Grad. In Sichtweite erhebt sich der Kilimandscharo, der Gipfel von Wolken umhüllt.
„An normalen Tagen ernten wir hier 50.000 Rosen“, sagt Mshana von der tansanischen Blumenfarm „Kiliflora“. Er reibt sich fröstelnd die Hände: „In Spitzenzeiten wie vor dem Valentinstag verlassen täglich bis zu 200.000 Rosen unsere Farm.“ Am Anfang wurde die gesamte Ernte fast ausschließlich auf dem Großmarkt in Amsterdam verkauft; mittlerweile setzt man auf das Direktmarketing in verschiedene europäische Staaten, was höhere Einnahmen garantiert. Noch wichtiger: Kiliflora hat sich den sozialen Standards des fairen Handels verpflichtet – das bringt zehn Prozent höhere Preise. Entsprechend können höhere Löhne als sonst üblich auf den Blumenfarmen gezahlt werden. 1400 Arbeiter sind mittlerweile auf der Farm beschäftigt.
„Wollen wir nicht jetzt mal rausgehen?“, drängelt der Tansanier und verlässt nur zu gern den Kühlraum. In der Halle nebenan fällt hartes Neonlicht von der Decke. Etwa 120 Arbeiterinnen stehen an hüfthohen Arbeitstischen, an denen sie Rosen nach Stiellänge und Farben sortieren. Die Handgriffe sitzen, müssen sitzen, sollen doch die Rosen im perfekten Outfit die Käufer in Europa, in Köln, Amsterdam und Hamburg becircen.
Was viele Kunden nicht wissen: 80 Prozent aller Schnittblumen, die von Januar bis Dezember unsere Vasen füllen, kommen aus Afrika oder Lateinamerika. Aus Tansania, Kenia und Simbabwe; aus Kolumbien, Ecuador und Venezuela. „Es gibt für den Einzelhandel im Gegensatz zu Gemüse und Obst für Blumen keine Kennzeichnungspflicht, aus welchen Ländern sie stammen“, sagt Klaus Bengtsson, Sprecher des Hamburger Blumengroßmarktes. Was er in den letzten Jahren feststellte: „Es ist keinesfalls eine kleine Minderheit, die sich für fair gehandelte Blumen interessiert. Wir haben auf unserem Markt mehrere Großhändler, die offensiv damit werben, dass sie fair gehandelte Blumen im Sortiment haben und die haben ihre Kundschaft dafür.“ Ausdrücklich lobt er das gute, sehr professionelle Marketing der Fair-Trade-Unternehmen. Der Markt ist schließlich groß: Drei Milliarden Euro haben die Bundesbürger im vergangenen Jahr auf den Tisch gelegt, um sich an frischen Blumen zu erfreuen. Tendenz steigend.
Aber ist das nicht seltsam – Blumen zu kaufen, die per Flugzeug von Afrika nach Deutschland eingeflogen werden, so fair die Arbeiter vor Ort auch behandelt sein mögen? Immerhin muss die Blume innerhalb von drei Tagen beim Kunden in die Vase gelangen, entsprechend schnell und kühl transportiert werden – und das geht nun mal nur per Flugzeug. Ist das nicht Energieverschwendung pur, abgesehen vom CO2-Ausstoß? Doch die britische Cranfield Universität hat nachgerechnet und kommt in einer Studie zu folgendem Ergebnis: Die Klimabilanz der aus Afrika und Lateinamerika zu uns importierten Schnittblumen ist in der Regel sechsmal niedriger als die aus den Gewächshäusern in Holland, in denen das ganze Jahr über Blumen gezogen werden, selbstverständlich auch im Winter. Und das koste aufs Jahr gesehen mehr an Licht und Energie, als der Transport erfordere.
In Verruf gekommen sind die Blumenfarmen auch durch ihren enormen Wasserverbrauch – wo doch Wasser knapp ist. Also müssen zertifizierte Farmen von sich aus etwas für den Wasserschutz unternehmen: Und man setzt verstärkt auf erdlosen Anbau, nutzt die Hydrokultur – weil hier das Wasser immer wieder aufgefangen und wieder genutzt werden kann.
Silke Peters, die früher beim Fairtrade-Unternehmen Flower Label Program e.V. tätig war und heute mit 2nd floor eine eigene Beratungsfirma für Nachhaltigkeit im Gartenbau betreibt, beschreibt die Wünsche der Kunden so: „Wir verlangen von den Produzenten der Länder des Südens einerseits, dass sie ihre Leute fest anstellen und sie ordentlich bezahlen – auf der anderen Seite haben wir unser Umweltproblem. Das ist ein Zielkonflikt.“ Sie holt tief Luft: „Und die Blume soll dann eine schöne, runde Blüte haben, die soll drei Wochen blühen – und so ganz teuer sein soll sie auch nicht.“
Und wie ist es mit den lateinamerikanischen Blumenfarmen, die von uns aus gesehen ja noch weiter entfernt sind als Kenia oder Tansania? Für die möchte sich Silke Peters besonders einsetzen: „In vielen Ländern Lateinamerikas bleiben den Frauen meist nur die üblichen Hausmädchenjobs, die auch noch hinter verschlossenen Türen stattfinden, wo also die Frauen oft großer Gewalt ausgesetzt sind. Auf gut kontrollierten Farmen haben die Frauen dagegen endlich eine reelle Jobmöglichkeit und können ihre Familie ernähren, was sehr wichtig ist, denn es gibt dort viele alleinerziehende Frauen, die kaum in den normalen Arbeitsmarkt hineingelangen.“ Noch etwas ist ihr wichtig: „Fair gehandelt, das ist nicht automatisch bio. Das war auch nie das Versprechen. Sondern uns geht es darum, menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, damit die Menschen ihr Leben selbstständig in die Hand nehmen können.“ Anders gesagt: Wer um sein tägliches Überleben kämpfen muss, weil er keinen sicheren Job hat, dem ist der Umweltschutz meist herzlich egal.
Zurück auf der Farm, fernab des europäischen Blickwinkels: Eine der Fließbandarbeiterinnen ist Janie Danel. Sie ist 23, macht den Job schon seit fünf Jahren. „Wenn sich das hier so weiterentwickelt, dann bleibe ich hier“, sagt die Mutter eines Sohnes. „Wieso nicht?“ Schwangerschaftsurlaub, relativ hohe Löhne, hohe Standards beim Schutz vor Pflanzenschutzmitteln sprechen fürs Verbleiben. Den ganzen Tag lang hingen Wolken über dem höchsten der afrikanischen Berge. Erst jetzt am Abend, nachdem der Himmel aufklarte, zeigt sich der Kilimandscharo in seiner ganzen Schönheit: mit weißer, schneebedeckter Bergspitze. Schnell senkt sich die Dunkelheit auf alles hinab.
In einer Kneipe an der Überlandstraße nach Arusha treffen wir Omari Mshana wieder, der hier den Feierabend verbringt. „Schau dich um, fast
jeder hier hat einen Job auf der Blumenfarm“, sagt er, „unser bisschen Wohlstand im Ort hängt von diesem Betrieb ab.“ Denn zusätzlich zu den vergleichsweise hohen Löhnen, konnte dank der Mehrerlöse ein Fördertopf eingerichtet werden. Hier entscheiden die Mitarbeiter, für welche kommunalen Projekte der Mehrerlös ausgegeben wird: Neue Dächer, eine Krankenstation und ein großes Wasserreservoir zeugen von Rosen, die mit einem Label in Europa verkauft wurden. Aber wer weiß, ob Europa der Hauptabnehmer bleibt: Vielleicht geht in ein paar Jahren die gesamte Blumenproduktion aus Tansania nach Indien, wenn man dort die Liebe zur Schnittblume entdeckt. Übrigens: Indische Firmen haben ihrerseits in letzter Zeit in Äthiopien große Flächen an Land gepachtet und züchten hier Schnittblumen – für den internationalen Markt. Die Globalisierung agiert eben weltweit. •
Die 11. Faire Woche findet vom 4. bis 28.9. bundesweit unter dem Motto „Zukunft gestalten. Fair handeln!“ mit Vorträgen, Workshops und zahlreichen Aktionen statt. Eine Auswahl: Sa, 15.9., 15 Uhr, „Immer der Nase nach“, Hafenrundfahrt, Anleger Vorsetzen; Fr, 21.9., 20 Uhr, „Black Tea for human development“ – eine Jugendinitiative, die fairen Tee aus Indien verkauft, stellt sich vor, Schenefelder Landstr. 38; Mi, 26.9., 19 Uhr, „Ethical Gold — Fairer Handel und Ökologie für Gold“, Vortrag und Ausstellung, St. Jacobi, Jakobikirchhof 22.
Weitere Infos: www.fairewoche.de; www.fairtradestadt-hamburg.de
Text: Dierk Jensen, Mitarbeit: Frank Keil
Foto: Jörg Böthling