Fab Labs

Stadt der vielen Ideen

Tüftler wie Sebastian-Alejandro Beckhaus Behncke arbeiten in den Hamburger Fab Labs an der Stadt von Morgen. Foto: Mauricio Bustamante

Hamburg ist Teil der „Fab City“-Initiative. In offenen Werkstätten und Laboren tüfteln Bürger:innen an einer nachhaltigen und sozialen Kreislaufwirtschaft. Kann das klappen? Ein Besuch.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Suve Nisa Ramakrishnan und Rijuta Bagchi wundern sich, warum sie hier unter den Erfinder:innen mal wieder die einzigen Frauen sind. Die beiden Mittzwanzigerinnen studieren an der Technischen Universität Hamburg und haben gemeinsam mit ihrem Kommilitonen Varun Gonsalves überlegt, wie sich die prekäre Trinkwassersituation in ihrem Heimatland Indien möglichst einfach überwinden ließe. Dank ihrer Idee bräuchte jeder Mensch nur einen Aufsatz für seine Trinkflasche, der durch einen Schmutzfilter und UV-Licht sämtliche Schadstoffe aus dem Wasser nimmt. Außerdem soll eine App zeigen, ob das Wasser trinkbar ist, man muss es dafür nur mit der Handykamera scannen. „Bisher funktioniert das schon in 80 Prozent der Fälle“, sagt Ramakrishnan.

Um ihre Idee weiterzuentwickeln, treffen sich die drei Studierenden regelmäßig in einem der Hamburger „Fab Labs“. Das sind Werkstätten, die alle Bürger:innen nutzen können. Und in denen, im besten Fall, viele gute Ideen für die Allgemeinheit entstehen.

An diesem Dezembernachmittag ist auch ein Physiker dabei, der beim Friseurbesuch einen interessanten Einfall hatte. Außerdem zwei Baristas, die aus Kaffeesatz Schönheitsprodukte herstellen, sowie ein Abiturient, der seiner Schule ein digitales Gewächshaus baut. Ein IT-Spezialist, der die Pflanzenzucht revolutionieren möchte. Und eine Gruppe aus Wilhelmsburg, die mit einer Litfaßsäule gegen die großen Kommunikationsportale aufbegehren will.

Sie alle wohnen in Hamburg und hatten eine Idee. Als die Stadt Hamburg und der Fab City Hamburg-Verein im April die „Maker Challenge“ ausriefen, wurden 95 Vorschläge eingereicht. Eine Jury wählte die 20 besten aus. Diese Ideen wirkten besonders innovativ, sozial und nachhaltig. Die Ideengeber:innen bekamen ein Budget von 250 Euro, den Zugang zu Geräten sowie eine:n Mentor:in an die Seite – und sechs Monate Zeit, um einen Prototyp zu entwickeln und ihre Erfindung öffentlich vorzustellen.

Heute treffen sie sich im Fab Lab der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Wandsbek. Jeden Dienstag ist die Werkstatt offen für alle, man kann vorbeikommen und an seinen Ideen arbeiten, an 3-D-Druckern, Fräsern und Lasern. Mehrere junge Menschen sitzen vor ihren Laptops, andere bedienen Maschinen, sägen oder zeichnen vor sich hin.

Solche offenen Werkstätten gibt es mittlerweile überall in Hamburg. Sie sind das Herzstück der Fab Cities, zu denen sich auch die Hansestadt seit rund zwei Jahren zählt. Das weltweite Netzwerk teilt eine gemeinsame Vision: Im Jahr 2054 wollen sich diese rund 50 Städte weitgehend selbst versorgen können. Bürger:innen in Barcelona, Paris oder Costa Rica tüfteln dafür in offenen Werkstätten, stellen Produkte selbst her und teilen ihr Wissen mit der Allgemeinheit.

So soll eine neue Art des Wirtschaftens und Zusammenlebens entstehen – nachhaltig und sozial organisiert. Die Fab Cities wollen dabei möglichst viel regional herstellen, die Ideen dazu aber global austauschen. So kann eine Idee aus einem Lab in Barcelona auch in Hamburg funktionieren, die Ressourcen sollen dann aber aus der Stadt selbst kommen. Es geht um große Ideen mit möglichst einfachen Mitteln.

Welche Ideen in Hamburg gerade besonders unterstützenswert sind, wählte in der Maker Challenge nicht nur eine fachkundige Jury aus; im Netz konnte ganz Hamburg abstimmen. Martin Peters ist bei diesem „Community-Voting“ auf Platz eins gelandet. Peters ist 58 Jahre alt und hat Physik studiert. Seit vier Jahren ist er arbeitslos, er sagt: Wenn man sich immer wieder bewirbt, aber fünf Minuten später eine Absage komme – da frage man sich irgendwann: „Was kannst du noch?“ Nur steckt in Peters, einem sehr großen Mann mit grauem Professorenhaar und runder Brille, eben immer noch der Physiker oder, wenn man ihn fragt, vor allem der generell interessierte Mensch: „Es ärgert mich einfach, wenn ich etwas nicht verstehe“, sagt er. Als Peters im Frühjahr beim Haareschneiden war und seine Friseurin über die steigenden Preise für Energie und Warmwasser klagte, überlegte er, ob sich hier nicht etwas machen ließe. Er entwarf einen Abwasserwärmespender, der im Grunde durch ein Kupferrohr das warme Abwasser vom Haarewaschen noch einmal nutzt und verhindert, dass die Wärme einfach in die Kanalisation gespült wird. Rund 35 bis 40 Prozent des Warmwassers könne ein Friseursalon damit einsparen, meint Peters. Der Spender besteht aus wenigen Teilen, die man in jedem Baumarkt finden kann. Nun wird Peters im Februar das erste Modell im Laden seiner Friseurin einbauen, um vor Ort zu sehen, ob die Idee funktioniert. Peters ist davon überzeugt: „Das ist Physik, das kann nur funktionieren.“

Als Letzter findet sich an diesem Tag noch Sebastian-Alejandro Beckhaus Behncke im Lab ein. Er ist 36 Jahre alt und eigentlich IT-Anwendungsentwickler, hier allerdings eher als Pflanzenexperte unterwegs. Für so vieles, sagt er, gebe es schon Ideen und Möglichkeiten, warum nur werden sie nicht genutzt? Mit Hydroponik lassen sich Pflanzen ohne Erde anbauen; er möchte eine solche Anlage selbst basteln und zeigen, wie sich damit die Stadt der Zukunft gestalten ließe: Wenn in U-Bahnen und auf Häuserdächern plötzlich überall das Grün sprießt, sich Tomaten und Salate ohne Erde anpflanzen lassen.

Ein Projekt hat er zusätzlich übernommen, von einer Schülerin, die ihre Idee selbst nicht weiterführen konnte. Ein kleiner Stecker, das „Kleine Pflanzenhelferlein“ habe sie es genannt. Man steckt es in die Erde und oben in einem Display erscheint dann ein Smiley. Der Stecker misst die Feuchtigkeit und zeigt, ob es der Pflanze gut geht oder nicht. Es ist eine ziemlich simple Idee, die laut Beckhaus Behncke aber schon jetzt auf große Begeisterung stoße. Und die zumindest für Hamburgs Topflanzen bereits eine neue Form des Zusammenlebens einleiten könnte.

Artikel aus der Ausgabe:

Was die Welt jetzt braucht

Schwerpunkt Erfindungen: Wir stellen Erfindungen vor, die in den Hamburger Fab Labs entstehen, haben mit dem Social Impact Lab über Sozialunternehmen gesprochen und waren beim Erfinder-Stammtisch zu Gast. Außerdem: Die Parteivorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, spricht im Interview über das neue Bürgergeld. Und: Private Initiativen leisten, was die Stadt nicht leisten will: Sie bringen Obdachlose ganztägig in Containern und Hotels unter.

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Autor:in
Anna-Elisa Jakob
Anna-Elisa Jakob
Ist 1997 geboren, hat Politikwissenschaften in München studiert und ist für den Master in Internationaler Kriminologie nach Hamburg gezogen. Schreibt für Hinz&Kunzt seit 2021.

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