„Food and more“ heißt ein Projekt im Jugendclub Heimfeld, bei dem sich Jungs zum gemeinsamen Kochen treffen. Katharina Jetter hat sie besucht
(aus Hinz&Kunzt 167/Januar 2007)
Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Ich stehe im Flur des Heimfelder Jugendclubs wie bestellt und nicht abgeholt. Es ist 16 Uhr, und außer der Leiterin der Einrichtung, Tina Kratz, und zwei Mädchen, die mir den Weg in ihr Büro zeigen, ist niemand da. „Wann geht’s denn los? “, will ich von Tina Kratz wissen. „Das weiß ich nicht“, antwortet sie und schaut auf die Uhr. „Eigentlich müsste Eddy schon hier sein, er kocht mit den Jungs.“ „Aha“, sage ich etwas ratlos, mein Blick fällt auf die Hausordnung, die an der Wand hängt: „Keine Waffen, kein Alkohol“ und „Es wird deutsch gesprochen“ steht da unter anderem.
Hiphop wubbert durchs Haus. Die ersten zwei Köche des Nachmittags sind da und haben die Anlage im Partyraum angeworfen. Ohne Hiphop läuft hier nichts. Die beiden tragen passende Kappen, Ketten und Klamotten. Ich werde mit Handschlag begrüßt und mit der Frage, ob ich vom Jugendamt sei. Jetzt ist auch Lars Hennings, genannt Eddy, gekommen. Der Erzieher begleitet das Kochprojekt „Food and more“ und wohnt im Viertel. Mit seinen langen blonden Haaren und dem blauen Strickpullover hebt er sich schon äußerlich von den Jungs ab. Er ist nicht cool, er kümmert sich. Er war eben schon mit dem 17-jährigen Montana einkaufen. Sie stellen Tüten in der Küche ab.
„Wann kommen die anderen?“, frage ich hoffnungsvoll, Eddy muss es ja wissen. „Es gibt keine feste Anfangszeit“, enttäuscht mich der Erzieher. „Wenn wir hier zu viele Regeln aufstellen, kommt keiner mehr.“ Ich nicke verständig, bin aber in Wahrheit leicht genervt.
Wir sitzen in der Küche an einem kleinen Holztisch und gucken auf die weißen Fliesen, als ein Junge die Tür aufreißt. „Was gibt’s zu essen?“, brüllt er. „Gemüsepizza“, sagt Eddy und zu mir gewandt: „Wir kochen immer fleischlos, schon vom Glauben her. Die Familien der Jugendlichen kommen aus der Türkei, aus Marokko, aus Albanien, aus Indien.“ Der Jugendclub füllt sich jetzt überfallartig, auch fünf Mädchen sind gekommen. Sie wollen später mitessen. Bis dahin wird gekickert, geflirtet und vor allem unentwegt herumgelaufen. Nur in die Küche kommt keiner. Ich suche Kontakt, stelle mich vor, fange an zu fragen, aber sie weichen mir aus. Ich ändere die Strategie, mache mich möglichst unsichtbar und höre zu.
[BILD=#food2][/BILD]„Das ist schon ein echter Vertrauensbeweis, dass ich ihnen Geld zum Einkaufen in die Hand gebe“, meint Eddy leise. Die Jungs dagegen reden betont laut und sagen Sätze wie: „Ich wollte heute morgen in die Schule, ehrlich, aber ich war so besoffen gestern, ich hab bis neun Uhr gepennt.“ Sobald ich in ihre Nähe komme, verstummen sie. „Wann geht’s los? “ Die Frage kommt mir kaum noch über die Lippen. Eddy trommelt jetzt doch seine Köche zusammen. Paprika, Tomaten, Frühlingszwiebeln, Thunfisch-Dosen und Pizzateig-Backmischungen stapeln sich auf der Anrichte. Endlich sind alle in der Küche und schnippeln Gemüse. Eddy ist froh und ich auch. Ich finde heraus, dass eigentlich alle jeden Tag hier sind, wie lange, wissen sie nicht, seit wann, auch nicht. Eddy hilft: „Die sind mit uns aufgewachsen, wir sind praktisch deren Familie. Und für einige sind das die einzigen warmen Mahlzeiten in der Woche.“
Mir gegenüber am Tisch sitzt jetzt ein schmaler Junge mit braunen Kinderaugen und Akne auf den Wangen, die kurzen Haare stehen sorgfältig frisiert nach oben. Vor sich hat er eine Schüssel mit Tomaten. Alle paar Minuten fragt er bei Eddy nach: „Soll ich die Tomaten in Scheiben schneiden? Wie viele davon? Guck mal, so?“ Der Junge will alles richtig machen. Dann springt er plötzlich erschrocken auf und wäscht sich die Hände. Das hatte er vergessen. Ernst setzt er sich wieder hin.
Marco mit dem strahlenden Lächeln und den dunklen, halblangen Locken dagegen weiß genau, was er zu tun hat. Während er Paprika schneidet, erfahre ich, dass hier nur gesunde Sachen verarbeitet werden, dass er Kochen liebt und mittlerweile zehn Rezepte beherrscht. Gerade werden die ersten zwei Pizza-Bleche in den Ofen geschoben. Pause. Die Gruppe zerstreut sich und klumpt dann am Tischfußballautomaten erneut zusammen. Irgendwie schaffen es alle, mir dabei den Rücken zuzuwenden.
Die Leiterin des Jugendclubs, Tina Kratz, zeigt mir die Räumlichkeiten. Der Mädchenraum liegt geschützt im oberen Stockwerk, darin rote Sofas und ein flacher Tisch. Gespendete Möbel, die sich in einem großen Spiegel an der Wand doppeln. Alles ist sauber, ordentlich und von den Mädchen selbst gestaltet.
Am Schluss der Führung stehen wir im Jungsraum. Das kleine Zimmer stinkt nach feuchten Turnschuhen, Matratzen bedecken den Boden, alte Klamotten liegen herum. „Wir räumen den Jungs nicht hinterher“, kommentiert Tina Kratz freundlich das Chaos und geht wieder in ihr Büro. Sie hat nur eine 28,5-Stunden-Stelle und noch viel zu tun.
Im Flur ist ein Vater aufgetaucht. Er will wissen, ob morgen die Mathe-Nachhilfelehrerin in den Jugendclub kommt. Dann redet er eindringlich mit seinem Sohn. „Du gehst da hin, du hast es mir versprochen.“ Der nickt betreten. Als der Vater wieder weg ist, feixen die anderen. „Ey, du Opfer!“, schreit einer zu dem Jungen rüber. „Halt’s Maul“, antwortet der und grinst. Es wird freundschaftlich gerempelt.
[BILD=#food3][/BILD]Plötzlich kippt die Stimmung. Es spricht sich rum, dass ein Freund beklaut wurde, Handys werden gezückt, Wut schwappt hoch, die ersten machen sich schon Richtung Ausgang auf, um das Opfer zu rächen, aber dann geht doch keiner los, denn: Das Essen ist fertig.
Jeder nimmt sich einen Teller und ein Stück Pizza aus der Küche und setzt sich damit ins Esszimmer an den langen, schmalen Tisch. Auch die Mädchen essen mit. Für kurze Zeit ist es ruhig. „Das ist der Moment, in dem wir die Jugendlichen erreichen können“, erzählt mir Eddy später.
Ich unterhalte mich mit der 17-jährigen Gabriela. Zu Hause sind sie zu elft. Für ihre neun Geschwister und ein Baby, ihren Neffen, sorgt ihre Mutter. „Ich finde, dass Marco sehr gut kochen kann“, sagt sie unvermittelt. Der sitzt ihr gegenüber und strahlt.
Gabriela hat eine Idee. „Wie wäre es, wenn wir Heiligabend zusammen essen? Wir könnten ein Buffet machen.“ Sie guckt enttäuscht als sie erfährt, dass ihre zweite Heimat an Weihnachten geschlossen ist. Dann steht sie auf und bringt, wie alle anderen, ihren Teller in die Küche. Ein Gruppenfoto wollen die Jugendlichen am Ende des Tages nicht von sich machen lassen. „Da schreibt ihr nur drunter, wir hätten keine Eltern“, befürchtet einer.
Inzwischen räumt Eddy die Spülmaschine ein. Um 20 Uhr schließt der Club. Die Jugendlichen werden jetzt weiter zum Heimfelder Bahnhof ziehen. Was sie da machen? „Keine Ahnung“, Eddy zuckt mit den Schultern. „Aber morgen sind sie alle wieder hier. Ganz sicher.“