Die Fotografen Susanne Katzenberg und Olaf Tamm haben dem alten St.-Pauli-Stadion ein Denkmal gesetzt. In Form eines Bildbandes, ein ordentlicher Schuss Melancholie inklusive. Tamm kickte sogar einst selbst für den Verein.
Sieben Jahre, das ist eine lange Zeit. Alle sieben Jahre erneuern sich unsere Zellen und wir werden wieder ein neuer Mensch. Sieben Jahre lang hat wiederum die Fotografin Susanne Katzenberg das alte Stadion des FC St. Pauli abgelichtet. „Ich bin St.-Paul-Fan und so war es nicht tragisch, mein Leben so lange auf die Heimspiele auszurichten“, sagt sie lakonisch. Im Jahr 2005 zieht sie also los, widmet sich dem Stadion am Millerntor. Das wurde in den 60ern erbaut, damals noch mithilfe der Fans, die am Wochenende oder nach Feierabend mit anpackten, die Maurerkelle in der Hand.
Und das nun Stück für Stück abgerissen wurde, nach und nach ersetzt durch einen Neubau. Größer, mächtiger, mit mehr Technik und mehr Besucherplätzen. Susanne Katzenberg liebt Langzeitprojekte, auch als Ant- wort auf die oft so fahrige Schnelllebigkeit unserer Zeit, wo das, was uns eben noch begeistert, im nächsten Moment kalter Kaffee sein soll. „Wenn du lange an etwas arbeitest, dann steigert das die Qualität“, ist sie überzeugt. Und außerdem mag sie es einfach, sich mit Orten zu beschäftigen, die im Verschwinden begriffen sind oder wo die Menschen fehlen, die hier einst lebten: „Ich bin schon als Kind gern in irgendwelche Ruinen eingestiegen.“ So fotografierte sie das Spielfeld vor dem Anpfiff, die Würstchenbuden, wo die Verkäufer während des Spiels auf Kundschaft warteten; die später wieder leeren Sitzreihen und die Anzeigentafel, auf der das Ergebnis am Ende unverrückbar feststand; Spiel für Spiel, Jahr für Jahr.
Obwohl – manchmal wurde auch ihr die Zeit lang: „Es gab Monate, da hab ich das Projekt verflucht. Denn irgendwann kannte ich jede Schraube, jeden Aufgang, jede Treppenstufe und jede noch so verborgene Ecke – alles hatte ich durchfotografiert.“ Als es ans Sichten der Bilder geht, liegen 4000 Negative vor ihr.
Vor drei Jahren kommt der Fotograf Olaf Tamm hinzu, ein Spezialist für Porträtaufnahmen. Er ist ein ebenso leidenschaftlicher Stadionbesucher wie Susanne Katzenberg – und er kennt den Verein und seine Fans noch mal aus einer ganz anderen, körperlichen Perspektive: in Fußballschuhen, Stulpen, kurzer Sporthose und dem braun-weißen Trikot. „Ich hab 15 Jahre bei St. Pauli gespielt“, erzählt er. „In einer der unteren Herrenmannschaften.“
Was die beiden auch verbindet: Sie fotografieren analog. Katzenberg mit einer Hasselblad, Tamm mit einer Rolleiflex aus den 60ern. Das ist nicht nur eine technische Frage, sondern mehr noch eine Frage der Haltung. „Du wirst als antiquierter Fotograf von den Fans ganz anders wahrgenommen als die Kollegen von der Sportpresse, wenn die mit ihren digitalen Autofokuskameras die Fans quasi im Sekundentakt vom Spielfeldrand her abschießen“, erzählt er. Er aber stand mitten unter ihnen. Zeigte sich. Hob in aller Ruhe seine Kamera, wählte den Bildausschnitt, stellte per Hand scharf. „Wenn ich dann entdeckt wurde, hieß es: ‚Wie – das gibt es noch? Damit fotografiert man noch?‘“ Im Nu war er mit den Fans, die sonst nicht so scharf darauf sind, abgelichtet zu werden, ins Gespräch vertieft.
Alles Weitere ergab sich wie von selbst. Ihn hat beeindruckt, wie unterschiedlich die Fans sind: „Es gibt den armen Schlucker, der sich seine Eintrittskarte vom Mund abgespart hat; es gibt das Ehepaar, das seit 1946 eine Dauerkarte hat, und es gibt Leute, die durchaus Geld haben, sich einen Sitzplatz zu leisten, die sich aber trotzdem in die Gegengrade stellen.“
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All das und noch viel mehr ist jetzt in einem Bildband zu betrachten – garniert mit kleinen Geschichten und Interviews, die der Sportjournalist Ronny Galczynski beisteuerte. Das Buch ist nicht nur zum Anschauen daheim auf dem Sofa gedacht: Es soll später auch den Mitarbeitern helfen, die die Stadionführungen machen und die die alten Zeiten nicht im- mer persönlich kennen. Wie überhaupt der Verein vor der Frage steht, wie er Vergangenheit und Zukunft solide ver- knüpfen kann. Immerhin: Ein Museum ist geplant, und es gibt neuerdings einen Beauftragten für Traditionsfragen. Susanne Katzenberg ist recht optimistisch, dass sich auch das neue Stadion mit Leben füllen wird, auch wenn es nicht allen Fans gefällt: „Der St.-Paul-Fan ist charakterstark.“
Olaf Tamm sagt dagegen nüchtern: „Wie schnell das neue Ding aus dem Boden wächst – das ist der Schritt in das moderne Fußballzeitalter.“ Er ist noch unentschlossen, wie sich das auf die Stimmung im Stadion auswirken wird: „Die Atmosphäre wird sich verändern, wenn die ganzen Oldies, die noch das alte Stadion miterlebt haben, nach und nach gehen und durch jüngere Fans ersetzt werden. Dann wird es eine normalere Atmosphäre werden.“ Wobei – es käme auch darauf an, in welcher Liga der Verein künftig spiele: „Steigt er noch mal ab, wird wieder der wahre Fan erkennbar.“ Das bekannte Paradoxon eines jeden St.-Pauli- Fans: Er wünsche dem Club viel Erfolg bis zum Aufstieg in die Erste Liga. Er hoffe, dass es genau dazu nicht kommt, damit der so typische St.-Pauli-Charme erhalten bleibe. Susanne Katzenberg dagegen denkt endlich mal nur an sich: „Ich freue mich darauf, mir in aller Ruhe mal wieder die Spiele vom Anfang bis zum Ende anzuschauen.“
Text: Frank Keil
Fotos: Susanne Katzenberg und Olaf Tamm
„Millerntor“, Fotografien von Susanne Katzenberg und Olaf Tamm, Texte von Ronny Galczynski, 160 Seiten, 120 Abbildungen, 29,95 Euro, Edition Braus, Berlin 2012, ISBN: 9783862280452. Erscheinungstag: 13. September