Am vergangenen Samstag ist der Hamburger Künstler Artur Dieckhoff verstorben. Zur Erinnerung an ihn und sein Werk veröffentlichen wir erneut einen Text über seine „StadtElephanten“ aus dem Jahr 2012.
Artur Dieckhoff war 13 Jahre alt, als Lehrer Fischer mit der Klasse die Bremer Stadtmusikanten als Musical aufführte. Toll fand Artur das damals schon. Das Ganze hatte für ihn nur einen Haken: den, dass kein einziger Elefant darin vorkam. Elefanten sind nämlich die absoluten Lieblingstiere des Gelsenkircheners.
Nicht zuletzt deshalb, weil er im Zoo Bekanntschaft geschlossen hatte mit einem Dickhäuter, der mit dem Rüssel gerne ein Zehn-Pfennig-Stück nahm und es seinem Wärter in die Tasche steckte, um sich dann eine Mohrrübe zu angeln.
Und er blieb dran, der Artur. „Später durfte ich mal im Zirkus die Ködel von den Elefanten wegfegen“, sagt der heute 63-Jährige – und klingt immer noch begeistert. Immer wieder hat er sich mit Elefanten befasst. Holzschnitte, Bücher und animierte Filme gemacht. Beispielsweise über die Elefantin Mücke und Ronni, die Rote Rennschnecke, die sich Wettkämpfe rund um Hagenbecks Tierpark liefern. 1994 drehte er sogar einen achtminütigen Elefantenfilm – mit 50 Farbholzschnitten, die animiert wurden. In „toi, toi, toi“ geht ein alter, alter Elefant auf eine Abschiedstournee – eine einzige Liebeserklärung an seinen Lieblingselefanten aus Kindertagen.
Was aber noch fehlte war die ultimative elefantenlastige Antwort auf die Bremer Stadtmusikanten. Als Artur seinen Lehrer Fischer vor ein paar Jahren wieder einmal traf, erkundigte der sich danach. Für Artur der letzte Anstoß. Die Hamburger StadtElephanten entstanden: Holzschnitte, Drucke, ein aufwendig gestaltetes Märchenbuch.
Zwei brennenden Fragen wollte er dabei auf den Grund kommen: Was wurde eigentlich aus den Bremer Stadtmusikanten, die anno dunnemals ins Räuberhaus gezogen sind? „Was sollen sie geworden sein? Räuber natürlich“, sagt Artur Dieckhoff. Und das Räuberhaus steht im Jenischpark. „In der Ecke gibt es sowieso viele Räuber“, weiß der Künstler. Nicht wiederzuerkennen sind die ehemals Ausgestoßenen: Der alte, bemitleidenswerte Hund sieht bei Artur aus wie ein verschlagener Bruder von Lassie. Der Esel hat einen irren Blick, dem Hahn will man auch nicht über den Weg laufen – und die Katze macht ihrem neuen Beruf alle Ehre: Sie wurde zur Raubkatze.
Aufgespürt werden sie von den Hamburger StadtElephanten. Und das sind die derzeit armen Schweine. Da ist beispielsweise der traurige StadtElephant, der jahrelang dicke Baumstämme durch Hagenbeck transportieren musste und gerade von der Personalleitung in den Vorruhestand versetzt wurde. Die rote Elephantin, die bittere Tränen vergießt, weil sie zu lahm geworden ist und ihr Popo so runzlig, dass sie den Elefantentanz nicht mehr tanzen kann. Der unsichtbare Elephant, der von einem Zauberer weggezaubert wurde. Leiderhat der Zauberer danach die Formel vergessen … Und dann wäre da noch Drumbo, der Flugelephant. Er arbeitete auf dem Flughafen Fuhlsbüttel, aber leider fiel er der modernen Technik zum Opfer: „Im Zeitalter der Düsenjäger braucht man ihn nicht mehr“, sagt Artur. Die vier tun sich zusammen, erleben wundersame Abenteuer.
Die Sprache, in der Artur Dieckhoff die Geschichte erzählt, ist, so behauptet der Künstler, „eng an den Originaltext angelehnt“. Es gibt allerdings ein paar winzige Änderungen: Bei den Brüdern Grimm gab es noch keine „RäuberIn“. Die Rote errötet irgendwann „in Richtung Poporosa“. Und deftig wird es: Es wird nämlich gefurzt. Artur Dieckhoff behauptet steif und fest, das sei ganz in der Tradition der Brüder Grimm: „Es gab da eine Hexe, die geforzet hat.“ Auf jeden Fall sind nicht nur die Holzschnitte schön anzuschauen, sondern auch der Text witzig. Und die Rezepte … Schließlich gab es ja eine zweite brennende Frage: Was haben die Räuber eigentlich gegessen?
Da kommt Sarah Wiener ins Spiel, die hatte sofort Ideen für die Räubertafel. Die Starköchin kennt Artur nämlich, weil sie die Frau von Schauspieler Peter Lohmeyer ist – und mit dem wiederum hat er oft zusammengearbeitet. In Arturs Film „Schuss ins Blau“ beispielsweise. Eine Liebeserklärung an beider Lieblingsverein Schalke (Trikotfarbe ist Blau) und an den Künstler Yves Klein mit seinen blauen Bildern.
Jedenfalls hatte Sarah Wiener folgende Idee: „Nur Holztische, keine Gläser, nur Krüge, Bauernbrot und Brennnesselsuppe, danach Kalbsbrust mit Pilzen.“ Die Räubertafel gibt’s für die, die etwas Geld auf der Kante haben. 110 Euro kostet die Teilnahme. Aber man bekommt nicht nur ein tolles Menü: Dazu spielt die Neue-Deutsche-Welle-Band UKW – und jeder Teilnehmer erhält ein von Artur signiertes Exemplar der Hamburger StadtElephanten.
Aber natürlich sollen auch die das Happy End erfahren, die kein Buch erwerben und nicht an der Räubertafel teilnehmen: „Von nun an getrauten sich die Räuber nicht mehr in das Haus und beschlossen brave Bürger zu werden (was zugegebenermaßen auf den ersten Räuberblick nicht ganz einfach erschien)“, so endet Arturs Märchen. „Sie eröffneten jedoch ein Konto bei der HSH Nordbank, jeder kaufte sich einen Laptop und alle spielten nächtens voller Glück und Spannung mit allen Halunken der Welt Internet-Poker.“ Und die vier StadtElephanten? „Denen gefiel’s im Räuberhaus so gut, daß sie nicht wieder hinaus wollten. Und der das zuletzt erzählt hat, dem ist der Rüssel noch warm.“