Was haben Jugendliche aus Bahrenfeld mit Straßenkindern im indischen Mumbai gemeinsam? Gar nicht so wenig, stellen die Hamburger Schüler beim Rollenwechsel für ein Theaterstück fest.
(aus Hinz&Kunzt 255/Mai 2014)
Montagmorgen. Früher Montagmorgen. Schule. Schule? Na ja, man könnte jetzt auch was besseres tun. Aber Schüler gehen nun mal zur Schule und so schlecht ist es nicht, was ihnen bevorsteht: ihr Theaterprojekt. Allerdings ist die Aula besetzt! Also keine Bühne, kein Licht, auch keine Requisiten. „Und nun?“, fragt eine der Schülerinnen.
Seit einem Jahr proben Schüler des Theaterkurses an der Stadtteilschule Bahrenfeld das Stück „Shelter“, das wiederum von der Hilfsorganisation Terre des Hommes entwickelt wurde. Es erzählt von Straßenkindern in der indischen Metropole Mumbai, die dort ums nackte Überleben kämpfen. Bevor sie sich ans Proben machten, haben sich die zwölf Schüler intensiv mit dem Umfeld des Stückes auseinandergesetzt. Was wissen sie von Indien? Wie sieht Armut in Deutschland aus? Und was würden sie mit auf die Straße nehmen, verlören sie ihr Zuhause? Also nur mal theoretisch, also ausgedacht. Mittlerweile hat jeder seine Rolle gefunden, spielt etwa das naive Mädchen, das hofft, dass es bei dem älteren Herren, der es mitnehmen will, eine Zukunft hat; schlüpft in die Rolle des Schuhputzerjungen, der sich mit Klebstoff in eine bessere Welt träumt.
„Legt die Texthefte weg, improvisiert, kommt ins Spielen“, sagt Lehrerin Daniela Jacoby, wenn der Text noch nicht richtig sitzt. „Geht in die Konzentration!“ Und: „Energie! Mehr Energie!“ Das klappt, und die Schüler finden sich ein in ihr Stück; ziehen durch die Straßen Mumbais, legen sich des Nachts auf dem Teppichboden zum Schlafen. Kein Problem mehr, dass sie in einem schlichten Raum proben, mit Schultischen und Regalen und einer verlorenen Topfpflanze auf der Fensterbank. Und bald gibt es diese kurzen, aber sehr berührenden Momente, wenn die Schüler vergessen, dass sie Schüler sind und wenn sie ganz einfach Theater spielen. Die etwas müde Stimmung am Anfang ist wie weggeblasen.
Nach einer Stunde intensiven Spiels hat der Schulalltag die Gruppe wieder. Denn die nächsten drei Montage fallen die Theaterproben aus. Wegen Ostern, wegen Prüfungen, wegen irgendwas. „Wir müssen jetzt sehr genau miteinander absprechen, wer was noch zu arbeiten hat“, sagt Daniela Jacoby. Denn sie wollen gut vorbereitet sein, wenn es in die Endprobe geht: Für ein Wochenende steht ihnen das Altonaer Lichthof Theater zur Verfügung. Dort werden sie bald ihren großen Auftritt haben. „Ihr wart prima, wir sind sehr weit gekommen“, sagt die Lehrerin noch. Dann setzen sich alle an den großen Tisch und schreiben auf, was sie noch zu tun haben.
Text: Frank Keil
Foto: Dmitrij Leltschuk
„Shelter“: Lichthof Theater, Mendelssohnstraße 15b, Mo, 19.5., 18.30 Uhr, 3 Euro. Weitere Infos unter www.lichthof-hamburg.de