Meine Geschichte

„Endlich angekommen“

„Hinz&Kunzt war eine wichtige Station in meinem Leben“, sagt Christian. Foto: Dmitrij Leltschuk

Christian Krähnke verkaufte drei Jahre lang das Hamburger Straßenmagazin. Ende vergangenen Jahres und damit zwölf Jahre später stand er wieder bei Hinz&Kunzt im Vertrieb. Der Grund? Sein Traumjob beim Film.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Christian läuft durch das Obergeschoss des Backsteingebäudes in der Speicherstadt. Er springt auf ein umgebautes Trimmrad und tritt in die Pedale. Eine Lampe beginnt zu leuchten. „Hier funktioniert fast alles wirklich“, sagt der 34-Jährige stolz, nichts sei Attrappe. Er zeigt auf eine auf Holzbalken montierte Tafel. „Die
Pinnwand der Detektive: Hab ich alles vom Sperrmüll. ­Upcycling – absoluter ‚Pfefferkörner-Style‘“, erklärt er ­grinsend. Der Speicher ist das Hauptquartier der Kinder-Detektivserie „Die Pfefferkörner“, und Christian kennt alle Requisiten dort. Denn er liefert die Ideen dafür und bastelt die meisten selbst.

„Hier bin ich endlich angekommen, das ist mein Traumjob“, sagt er. Ein Satz, der früher undenkbar war. „In der Schule war ich aufgedreht und kreativer als die anderen“, erzählt Christian. Nicht nur seine Lehrer:innen, auch seine Mutter sei mit seiner aufgekratzten Art überfordert gewesen. „Sie hat mich dann mit zehn ins Heim gesteckt.“ Sechs Jahre lebte er dort und ging auf eine Förderschule. „Es war teilweise schwierig und teilweise okay“, sagt er ­achselzuckend. Er spricht nicht gerne darüber. Aber ob er „Die Pfefferkörner“ früher schon gesehen hat? „Na klar! Heute gucke ich sie auch noch.“ Er grinst – „natürlich rein beruflich“. 

Der Weg zum Traumjob war jedoch nicht gerade. Mit 16 Jahren begann Christian auf Norderney eine Ausbildung zum Koch. Er spricht schnell, wenn er von damals erzählt. „Mein Vater war auch Koch auf der Insel. Ich wollte ihm nah sein.“ Dabei war ihr Verhältnis kein gutes. Der Versuch, die Distanz durch räumliche Nähe abzubauen, scheiterte und Christian brach die Ausbildung ab.

Er zog nach Norderstedt auf einen Bauwagenplatz: „Ich wollte frei sein und mein Ding machen.“ Das fand er in der Hamburger Punkszene.

Von Bekannten erfuhr der damals 19-Jährige auch vom Straßenmagazin. „Hinz&Kunzt hat mir Stabilität und einen Alltag gegeben“, erzählt er. „Ich hatte etwas Sinnvolles zu tun.“ Das Team von der Sozialarbeit habe ihm beim Ausfüllen der Hartz-IV-Anträge und bei Ämtergängen geholfen. „Ich wusste, dass ich hier immer Unterstützung kriege.“

Als er seine damalige Freundin kennenlernte, zu ihr zog und die beiden ein Kind bekamen, hörte er als Verkäufer auf. Um seine Familie zu versorgen, hangelte Christian sich von Job zu Job. Nach fünf Jahren trennte sich seine Freundin jedoch, und er landete auf der Straße. „Das war eine richtig dunkle Zeit.“ Christians Blick wandert unruhig umher. Monatelang schlief er bei Bekannten. Dazu kam der Sorgerechtsstreit mit seiner Ex-Freundin. „Das hat mich völlig fertiggemacht. Ich bin depressiv geworden, hab auch viel getrunken.“ Warum er nicht zu Hinz&Kunzt ging? „Das hätte ich mal machen sollen, hätte mir bestimmt geholfen, um besser damit fertig zu werden.“

Er hat es anders geschafft. In einem Projekt für Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen konnten, setzte er die Koch-Ausbildung fort. Er fand eine Wohnung. Auch sein Kind sieht er seither öfter.

Der Beruf brachte ihn zum Filmcatering. Seinen ersten Auftrag hatte er ausgerechnet am Set eines Hollywoodfilms: „The Aftermath“ mit Keira Knightley. „Sie hat immer bei uns Essen geholt“, erzählt Christian grinsend. Irgendwann habe er etwas anderes sehen wollen als die Küche. Er habe am Set rumgefragt und so einen Job als „Setrunner“ gefunden, das „Mädchen für alles”, wie er erklärt, und arbeitete sich von dort hoch. Bei den „Pfefferkörnern“ ist er heute als Ausstattungsassistent für die Requisiten zuständig.

Genau deshalb stand er vor einem knappen Jahr auch wieder im Hinz&Kunzt-Vertrieb. Denn als Christian im Drehbuch der „Pfefferkörner“-Folge „Die einzige Chance“ von einer obdachlosen Frau las, habe er sich sofort
dafür eingesetzt, sie als Hinz&Künztlerin darzustellen. „Hinz&Kunzt liegt mir am Herzen. Es ist ein großartiges Projekt, und das kann man ruhig zeigen“, sagt er.

Damit im Szenenbild alles stimmt, bat er im Vertrieb um einen Verkaufsausweis als Requisite für die Schau­spielerin. „Ich hab die Plastikkarte angeschaut, meinen ­alten Ausweis rausgeholt und gesagt: ,Die sehen ja heute ganz anders aus!‘“, erzählt Christian. „Hinz&Kunzt war ­eine wichtige Station in meinem Leben, meinen Ausweis würde ich deshalb auch nie wegtun. Wer weiß, ob ich ohne ihn jemals angekommen wäre.“

Artikel aus der Ausgabe:

Happy Birthday: Die Hinz&Kunzt-Geburtstagssause

30 Jahre Hinz&Kunzt! In unserer neuen Ausgabe präsentieren wir das ausführliche Geburtstagsprogramm, schöne Erfolgsgeschichten und legen zugleich den Finger in die Wunde, weil in Hamburg nach 30 Jahren Hinz&Kunzt weiterhin etwa 2000 Menschen auf der Straße leben.

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Autor:in
Luca Wiggers
Luca Wiggers
1999 in Hannover geboren, hat dort Germanistik und Anglistik studiert und ist Anfang 2022 nach Hamburg gezogen. Seit Juni 2023 Volontärin bei Hinz&Kunzt.

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