Elfriede Lohse-Wächtler

„Kraftvolle, mitfühlende Kunst“

So hat Elfriede Lohse-Wächtler den Hamburger Hafen eingefangen. Bild: Altonaer Museum

Einst als „entartet“ diffamiert und zwischendurch fast vergessen, gelten die Werke der Malerin Elfriede Lohse-Wächtler heute als große Kunst und empathische Zeitdokumente, auch über Armut in Altona und auf St. Pauli.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Ihr Werdegang war alles andere als eine Selbstverständlichkeit: Anfang des 20. Jahrhunderts ist Elfriede Lohse-Wächtler eine der ersten Frauen, die sich traut, Kunst zu studieren, und sich in einer absoluten Männerwelt durchsetzt. Sie gehört zur „Dresdner Sezession“, signiert zeitweise mit männlichem Pseudonym, trägt Kurzhaarschnitt und raucht in der Öffentlichkeit Pfeife. Ihre Malweise: direkt, rau, unverstellt. 1921 heiratet sie den Maler und Opernsänger Kurt Lohse, folgt ihm vier Jahre später nach Hamburg. Es wird eine unglückliche Ehe. Und dennoch hat sie in Hamburg ihre produktivsten Jahre – bis sie verarmt und psychisch angegriffen zurück nach Dresden geht. Ihre letzten Lebensjahre verbringt sie in einer Heilanstalt; im Juli 1940 wird sie von den Nazis in der sächsischen Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein umgebracht. Und ein Leben, das so hoffnungsvoll begonnen hat, endet gewaltsam; ihr Werk wird lange kaum mehr beachtet.

Dass das heute anders ist und das Ernst Barlach Haus nun zum 125. Geburtstag Lohse-Wächtlers eine große Werkschau zeigt, liegt auch an Rolf und Marianne Rosowski. Deren Geschichte beginnt damit, dass der damals 45-Jährige und seine Frau Marianne den jüngeren Bruder von Elfriede Lohse-Wächtler kennenlernen: Hubert Wächtler. Man freundet sich an.

Als Hubert Wächtler 1988 stirbt, vermacht er den Rosowskis seine Wohnung mit dem Nachlass seiner Schwester. Erst wollen sie das Erbe ausschlagen, nehmen es dann aber doch an. Nur findet sich in der Wohnung kein einziges Bild von Elfriede Lohse-Wächtler. Eines Tages werden sie von der Hausverwaltung auf einen Kellerraum angesprochen, um den sie sich nie gekümmert haben: Hier also steckt das Werk! „Es lag alles ungeordnet, nichts in Mappen sortiert“, erzählt Rolf Rosowski. Es ist ein großes Durcheinander.

Er möchte am liebsten alles entsorgen; er findet die Bilder nur düster, beklemmend und bedrückend. Aber seine Frau setzt sich durch. Doch was machen sie jetzt mit dem Nachlass?

Die Hamburger Herbertstraße in den Augen der Künstlerin. Bild: Altoner Museum

Bald lernen sie einen Kunsthistoriker kennen, der sich für die Malerin interessiert. „Der Mann war völlig verrückt nach den Bildern“, wundert sich Rolf Rosowski noch heute. Der Kunstkenner organisiert 1991 eine erste Ausstellung im Schloss Reinbek vor den Toren Hamburgs. Ordentlich gerahmt, hinter Glas, gut gehängt an weißen Wänden – die Bilder treffen noch immer nicht Rolf Rosowskis Geschmack, aber dass es gute Kunst ist – einverstanden. Wie soll es nun weitergehen?

Man verabredet, dass der Kunsthistoriker einen Teil der Bilder mitnimmt, sie katalogisiert, dann sehe man weiter. Die Sache geht schief. Warum? Darüber gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Jedenfalls: Die Rosowskis wollen die ausgeliehenen Bilder wiederhaben, der Kunsthistoriker will sie nicht rausrücken, will stattdessen für seine Arbeit bezahlt werden. Es wird ein heftiger Streit, einschließlich Gerichtsverfahren. Bis ein Freund der Rosowskis vermittelnd eingreifen kann. Man geht halbwegs gut auseinander.

In dieser Zeit klingelt eines Abends das Telefon. Am anderen Ende ist Boris Böhm, Leiter der Gedenkstätte Sonnenstein-Pirna bei Dresden; er hat über Umwege von dem Kunsthistoriker und einer kommenden Ausstellung gehört, von der wiederum die Rosowskis nichts wissen: „Zwei Tage später sind wir runter nach Dresden. Herr Böhm hat uns die Räume gezeigt, in denen man Elfriede Lohse-Wächtler und all die anderen Patienten damals mit Gas umgebracht hat, hat uns alles erklärt.“ Die Rosowskis sind nicht ahnungslos: „Wir kannten etwa die Gedenkstätte Auschwitz, aber wenn du an einem Ort stehst, wo jemand ermordet wurde, mit dem du dich sehr beschäftigt hast, dann ist das noch mal was anderes.“ Rolf Rosowski ist tief betroffen und nun endgültig auf Elfriede Lohse-Wächtlers Seite; seine Frau ja sowieso.

Seitdem ist vieles passiert. Ausstellungen werden gezeigt, es entsteht eine Werk-Monografie. Es gibt ein wachsendes Interesse an der zwischendurch fast vergessenen Künstlerin. Ein Förderkreis gründet sich, Rolf Rosowski ist ein paar Jahre dessen Geschäftsführer. Und immer wenn es so aussieht, als würde der nächste Schritt misslingen, organisiert er von irgendwoher Hilfe und vor allem Geld. Von Freund:innen, von Kolleg:innen, von Gleichgesinnten. Nun aber haben sich die Rosowskis von der Sammlung getrennt und sie an eine Stiftung übergeben. Sie sind schließlich nicht mehr die Jüngsten: Rolf Rosowski wird demnächst 90 Jahre alt.

Die Hamburger:innen können viele der Bilder ab dem 27. Oktober im Erst Barlach Haus sehen. Dessen Leiter ist von der Künstlerin schwer angetan. „Elfriede Lohse-Wächtler ist eine der bedeutenden Künstlerinnen des frühen 20. Jahrhunderts“, sagt Karsten Müller. Annähernd 100 Werke zeigen er und sein Team. „Sie war ehrgeizig, sie hatte Disziplin, sonst hätte sie nicht Hunderte von Pastellen und Aquarellen schaffen können“, sagt er.

Das gilt auch im Moment einer großen persönlichen Krise im Februar 1929: „Sie wird knapp zwei Monate in der Psychiatrie in Hamburg-Friedrichsberg untergebracht, dort malt sie oft den ganzen Tag; sie zeichnet vor allem ihre Mitpatientinnen, porträtiert sie offen und ohne Vorurteile. Die Zeit in der Klinik ist eine enorm produktive Phase“, erzählt Müller.

Als sie entlassen wird, hat sie nur Wochen später mit ihrer Serie der „Friedrichsberger Köpfe“ eine Ausstellung im Kunstsalon Maria Kunde im Bieberhaus: „Diese Galerie ist damals eine der führenden Hamburgs“, sagt Müller. Die Hamburger Presse betont ihr enormes Talent, die Hamburger Kunsthalle erwirbt zwei Werke. Im Herbst werden Arbeiten von ihr zusammen mit Bildern von Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky und Paul Klee gezeigt. Doch einige Tage später beginnt die Weltwirtschaftskrise. Auch der Kunstmarkt bricht zusammen. „Die Sammler und die Museen kauften nicht mehr, die Stadt vergab keine Stipendien mehr“, sagt Müller. Das habe Elfriede Lohse-Wächtler sicherlich zugesetzt.

Elfriede Lohse-Wächtler im Jahr 1928 in Hamburg. Bild: Sammlung Prinzhorn, Heidelberg

In den nächsten Jahren geht es für sie auf und ab. Ihre Ehe mit Kurt Lohse ist gescheitert. Sie arbeitet viel, verkauft wenig. Sie ist in Altona, am Hafen und auf St. Pauli unterwegs, in Bars, in Kneipen, in Kaschemmen. Beobachtet sie, oder ist es auch ihr Leben?

Ein Beispiel: Es gibt ein Bild, da zeigt sie mit kraftvollen Strichen einen Mann, der in einem Mülleimer wühlt. „Im Mai 1931 war Lohse-Wächtler vermutlich kurz obdachlos. Sie hat zwar wohl nicht selbst die Mülleimer nach Brauchbarem durchgesehen, aber sie zeigt das Geschehen auf empathische Weise“, sagt Karsten Müller.

Im Sommer 1931 geht sie zurück nach Dresden, erschöpft und finanziell am Ende. Eine nächste psychische Krise bahnt sich an. Ihre Eltern lassen sie in guter Absicht ein Jahr später in die sächsische Heilanstalt Arnsdorf einweisen. Sie ahnen nicht, was kommt. In Arnsdorf hält man sie fest, das NS-Regime übernimmt ab 1933 auch dort die Herrschaft. In Hamburg werden bald ihre Bilder, die etwa das Museum für Kunst und Gewerbe besitzt, als „entartet“ beschlagnahmt. Kurt Lohse, formal noch immer ihr Ehemann, lässt sich 1935 scheiden. So verliert sie jeden Schutz. Sie wird wegen „unheilbarer Geisteskrankheit“ entmündigt und zwangssterilisiert. Ende Juli 1940 wird sie nach Pirna-Sonnenstein deportiert.

„Mutmaßungen über ihre Hamburger Jahre, über Prostitution, Drogensucht und Abstürze, hat es in den letzten Jahrzehnten reichlich gegeben, Belege aber nicht“, sagt Museumsleiter Müller. „Schaut man ihre Bilder vom Hamburger Hafen an, ihre Porträts aus den Kneipen von St. Pauli, dann sieht man, wie souverän sie sich in diesem Milieu bewegt hat und welch kraftvolle, mitfühlende Kunst sie dort schuf.“ Auch deswegen sei sie für Hinz&Kunzt interessant: „Wo ein Maler wie Otto Dix, den sie persönlich aus Dresden kannte, oft einen gewissen Zynismus zeigt, wo er manchmal die Menschen bloßstellt, ist sie mit dem Herzen dabei.“

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Ausgabe 380

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