Wie der Fotograf G.M.B. Akash aus Bangladesh Armut in Deutschland erlebt
(aus Hinz&Kunzt 176/Oktober 2007)
Der Fotograf G.M.B. Akash macht mit seinen Bildern auf Missstände aufmerksam. Weil er deswegen in seiner Heimat Bangladesch Probleme bekam, lebt er derzeit auf Einladung der Stiftung für politisch Verfolgte in Hamburg. Auch hier fotografiert er Menschen in Situationen, die er für unzumutbar hält. Zum internationalen Weltarmutstag am 17. Oktober zeigt Hinz&Kunzt Arbeiten des 30-Jährigen zum Thema Armut in Deutschland.
Zum ersten Mal besuchte ich Deutschland 2006. Ich war nur für drei Tage hier, nach der Verleihung des World Press Foto Award in Amsterdam, also mehr auf der Durchreise. Ich war damals im Gruner+Jahr-Gebäude, am Hamburger Hafen und in Blankenese, alles wirkte vornehm und todschick auf mich. Ich hatte keine Ahnung, dass es hier auch arme Menschen gibt.
Als ich hier den ersten Obdachlosen begegnete, war ich zunächst verwirrt. Es war im Januar dieses Jahres, etwa eine Woche, nachdem ich auf Einladung der Stiftung für politisch Verfolgte in Hamburg eintraf. Unter der Lombardsbrücke sah ich mehrere Menschen, die dort offenbar schliefen. Ich fragte eine Bekannte: „Wer sind die?“ Dass es sich um Obdachlose handelte, hat mich geschockt. Warum gibt es die hier? In einem der reichsten Länder der Welt!
Ich komme aus Bangladesch, einem der ärmsten Länder der Welt, und ich sehe es als meine Aufgabe an, mit meinen Fotos denen eine Stimme zu geben, die sonst keine Chance haben, auf ihre Lebensumstände aufmerksam zu machen. So war es für mich selbstverständlich, mich auch hier in Deutschland mit Armut zu befassen. Normalerweise verbringe ich viel Zeit mit den Menschen, die ich fotografieren will. Erst wenn sie mir wirklich vertrauen, entstehen Bilder, die sie in intimen Situationen zeigen. Hier in Deutschland schaffe ich es nicht, ein solches Vertrauensverhältnis aufzubauen. Ich komme aus einem anderen Land, spreche die Sprache der Menschen nicht. Aber ich mache Gesten, ob ich fotografieren darf. Ich schüttle ihre Hand, auch wenn sie sehr schmutzig ist. Ich zeige ihnen die Bilder, ob sie einverstanden sind.
Einmal, als ich hier in Hamburg einen Obdachlosen auf der Straße fotografiert habe, wurde ich von Polizisten angesprochen: „Warum fotografierst du die?“, fragten sie. „Warum willst du die schlechten Seiten von Deutschland zeigen?“ Ein Déjà-vu-Erlebnis: In meiner Heimat wurde ich von Freunden, Verwandten, Bekannten und anderen Fotografen oft gefragt: Warum zeigst du nur die schlechten Seiten von Bangladesch? Aber das ist gar nicht meine Intention. Wenn du einen Sohn hast, der auf die schiefe Bahn gerät, musst du hart zu ihm sein, um ihn vor dem Schlechten zu bewahren. Das tust du, weil du ihn liebst. So empfinde ich es auch mit Bangladesh: Ich liebe mein Land, und ich zeige, was schiefläuft, in der Hoffnung, eine Situation zu verändern.
Manche Menschen, die ich hier in Deutschland auf der Straße angetroffen habe, sehen wirklich arm aus, wirklich allein, wirklich niedergeschlagen. Und trotzdem geht es hier einem Obdachlosen noch 100 Mal besser als in Bangladesch. Allein einen Hund bei sich zu haben, gilt in Bangladesch als der pure Luxus. Viele Arme bei uns haben einfach nichts, nicht einmal die Möglichkeit, drei Mal pro Tag etwas zu essen.
Trotzdem wirken die Menschen in Bangladesch auf mich oft weniger bedrückt. Zwar besitzen die Armen nichts. Aber wenn du sie siehst, spürst du, wie stark sie im Innersten sind. Sie haben Würde, sie beklagen sich nie. Nie würdest du die Armut in ihren Augen entdecken. In Deutschland haben die meisten Menschen fast alles. Und trotzdem beschweren sie sich über fast alles.
Vielleicht ist es die Einsamkeit, die man hier in den Gesichtern vieler Armer sieht. In Bangladesch leben wir ganz anders. Es wohnt immer die gesamte Familie zusammen, wir sind viel weniger allein. Hier in Hamburg kennen meine Frau und ich natürlich nicht so viele Leute, meine Familie ist weit weg. Das ist sehr ungewohnt für uns, und ich kann ein wenig nachempfinden: Einsamkeit macht krank.
Ich weiß nicht viel über die Hintergründe von Armut und Obdachlosigkeit in Deutschland. Aber was auch immer dahinter steht: Das bettelnde Kind, das ich zusammen mit seinem Vater in der Sternschanze getroffen habe, hat mich sehr betroffen gemacht. Wie ist so etwas möglich in diesem Land? Es kam völlig unerwartet für mich.
Ich glaube, dass man hier, mit dem vielen Geld im Hintergrund, vielen Menschen einen Job, Fürsorge und Unterstützung geben könnte. Wer zum Beispiel Zeitungen wie Hinz&Kunzt verkauft, muss nicht betteln. Wer bettelt, kann kein Selbstbewusstsein aufbauen und hat keine Perspektive.
Für mich war es sehr gut, für ein Jahr hier in Deutschland zu sein und all die Kontraste erleben zu dürfen. Wenn ich im Dezember nach Bangladesch zurückkehre, kann ich zweierlei viel besser beurteilen als zuvor: Ich sehe, wie arm meine Heimat wirklich ist. Aber ich sehe auch, wie stark die Menschen bei uns sind.
Annette Woywode
Mehr infos über G.M.B. Akash unter www.gmb-akash.com