Zehn Jahre lang stand Dirk Ahrens (61) an der Spitze der Diakonie in Hamburg. Zum Sommersemester wechselt der scheidende Landespastor als Dozent an die Evangelische Hochschule am Rauhen Haus.
Hinz&Kunzt: Mit der neuen Herausforderung an der Hochschule endet auch Ihre Herausgeberschaft von Hinz&Kunzt.
Dirk Ahrens: Unsere Treffen waren mir eine große Freude. Wenn wir gemeinsam geguckt haben, wie die nächsten Magazine aussehen werden, war das immer besonders. Hinz&Kunzt hat ja zwei Aufgaben: Das Magazin veröffentlicht Inhalte, die in Hamburg sonst niemand so publiziert, und der Verkauf verhilft den Verkäufer:innen zu einem kleinen Einkommen. Deshalb wünsche ich mir so sehr, dass Hinz&Kunzt nicht nur gekauft, sondern auch gelesen wird. Sie als Redaktion machen nämlich eine wirklich gute Zeitung.
Als Hinz&Kunzt gegründet wurde, war die Diakonie treibende Kraft. Bei neuen Initiativen wie dem Kälte- oder dem Duschbus ist sie außen vor.
Wir betreiben schon lange den Mitternachtsbus, ich würde also eher von einer Aufgabenteilung sprechen, die gut ist. Ich glaube, dass die Diakonie mit ihrer Professionalität stärker aufgerufen ist, wirklich verändernde Maßnahmen anzustoßen. Deswegen engagieren wir uns im Bereich Housing First. Das läuft richtig gut und wir hoffen, dass das Projekt einen Vorbildcharakter entfaltet und bald der normale Weg wird, wie man Obdachlosen hilft. Der Schlüssel zu aller Hilfe aber sind bezahlbare Wohnungen. Deshalb baut die Diakonie jetzt im Münzviertel ein Haus, in dem auch Menschen leben sollen, die vorher wohnungslos waren.
Housing First wird zu großen Teilen von der Sozialbehörde finanziert. Wohingegen auch Sie sich mit der
Forderung nach einer Tagesöffnung des Winternotprogramms die Zähne an der Behörde ausgebissen haben.
Das ist ein frustrierendes Thema. Viele sind gesundheitlich angeschlagen. Nicht nur ein Schlafplatz, sondern auch durchatmen und sich erholen können ist wichtig. Ich wünsche mir da mehr Barmherzigkeit.
In Hamburg leben mindestens 2000 Menschen auf der Straße. Dabei wollen die Regierungskoalitionen die Obdachlosigkeit bis 2030 abschaffen.
Ich frage mich, wie das gelingen soll. Die Wohnungsnot hat in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen. Das finde ich erschreckend. Die Bundesrepublik muss den sozialen
„Wir brauchen mehr Barmherzigkeit.“– Dirk Ahrens
Wohnungsbau grundlegend anders angehen. Eine bezahlbare Wohnung zu haben ist eine so grundlegende Gerechtigkeitsfrage, dass sie mit darüber entscheidet, welches Vertrauen ich zu diesem Staat habe.
Zum Zeitpunkt Ihres Amtsantritts lebten in Hamburg weniger als 15.000 Menschen in städtischen Unterkünften. Die Zahl hat sich durch viele Schutzsuchende seitdem verdreifacht.
Das ist richtig, und das ist an vielen Orten eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Trotzdem sind im Bereich Migration in den letzten Jahren sehr positive Dinge passiert. Deutschland nimmt sich endlich als Einwanderungsland ernst. Integration wird gesteuert und führt weit überwiegend zum Erfolg. Ohne die vielen zugewanderten Menschen würden in Hamburg kaum noch Busse oder S-Bahnen fahren, die Pflege läge am Boden, ein Drittel aller Ärzte fehlten und viele Betriebe wären nicht mehr arbeitsfähig.
Sie haben in der Diakonie für eine interkulturelle Öffnung gestritten.
Wir sind heute interkulturell und divers aufgestellt. Das ist ein enormer Schritt, den wir in den vergangenen Jahren gemacht haben. Wichtig dafür waren auch Veränderungen im Arbeitsrecht. Noch zu Beginn meiner Amtszeit durften nur Kirchenmitglieder bei der Diakonie arbeiten. Das haben wir geändert. Und gleichzeitig fördern wir sehr viel bewusster das diakonische Profil unserer Einrichtungen und Projekte. Das werte ich auch als ganz persönlichen Erfolg.
Trotzdem verliert die evangelische Kirche hierzulande Mitglieder. Auch an Bedeutung?
Als Diakonie spüren wir die schwindenden Kirchensteuermittel, und das schränkt unsere Arbeit ein. Ich würde aber nicht sagen, dass die Diakonie an Bedeutung verliert, weil wir für dieses Land einen wichtigen Beitrag leisten. Die Kirche hat zudem eine verbindende Aufgabe in dieser zunehmend zerrissenen Gesellschaft. Sie hat eine Botschaft, die tragfähiger ist als die Frage, wo ich politisch stehe. Die Kirche kann als Mittlerin sehr unterschiedliche Gruppen an den Tisch holen.
Sie spielen auf den aktuellen Rechtsruck an?
Ja. Es wird wichtig sein, dass die demokratischen Kräfte die politischen Unterschiede überwinden, gemeinsam die Demokratie schützen und die Vielfalt bewahren. Die Faschisten wollen sie vernichten. Das ist eine zerstörerische Illusion. Es wäre unmenschlich und unchristlich und unser Land würde das kulturell und wirtschaftlich nicht überleben. Wir brauchen mehr Gemeinsinn und Solidarität, damit der Laden nicht vor die Wand fährt. Wenn wir uns dafür einsetzen, sind wir alle die Brandmauer gegen rechts.