Aus dem Hinz&Kunzt-Haus

Ein Weihnachtsbaum für die eigenen vier Wände

Hinz&Kunzt-Hausbewohner Marian, Dorel, Markus und Jens (von links) mit den frisch geschlagenen Weihnachtsbäumen. Foto: Dmitrij Leltschuk

Vorweihnachtliche Stimmung im Hinz&Kunzt-Haus: Wir waren mit einigen Bewohnern Christbaumschlagen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Am Ende geht es ganz schnell. Markus und Jens halten den Baum zur Seite, Dorel legt die Säge an. Wenige Schnitte später ist die gut zwei Meter hohe Tanne von ihren Wurzeln getrennt. Eine knappe halbe Stunde zuvor sind Marian, Jens, Markus und Dorel durch die Felder der Familie Rosenau gelaufen, die bei Trittau, kurz vor den Toren Hamburgs, Nadelbäume züchtet. Das Objekt der Begierde: ein Weihnachtsbaum für den Hinz&Kunzt-Vertriebsraum – und für alle, die wollen, auch einer für die eigene Wohnung. Alle vier Männer sind ehemals Obdach- oder Wohnungslose und leben seit etwas mehr als einem Jahr im Hinz&Kunzt-Haus in St. Georg – wo sie nun endlich Weihnachten in den eigenen vier Wänden feiern können.

Fachmännisch werden die Tannen begutachtet: Nicht zu klein soll der perfekte Baum sein. Aber auch nicht zu groß – schließlich muss er nicht nur ins Auto, sondern auch in die Wohnung passen und sollte zudem die weniger weihnachtsaffinen Mitbewohner nicht allzu sehr einschränken. Einigermaßen gleichmäßig gewachsen soll er sein. Dass ein sattes Grün Voraussetzung ist, versteht sich von selbst. Marian wird als Erster fündig. „Der ist perfekt“, sagt er und zeigt auf eine kleine Nordmanntanne am Rande der Schonung. Der Pole zieht sich seine mitgebrachten Handschuhe über und nimmt mit der Bügelsäge Maß. Kurze Zeit später hält er den perfekten Weihnachtsbaum in der Hand, wirft ihn über die Schulter und posiert breit grinsend für den Fotografen. Zu Hause wird er den Baum erst mal auf den Balkon in einem Eimer Wasser lagern, erklärt Marian – damit er schön frisch bleibt. „Vor Weihnachten kommen dann alle zusammen und wir machen ihn schick.“

Nun fehlt nur noch ein Baum für den Vertriebsraum. Für Dorel ist es noch zu früh für Weihnachtsschmuck in der Wohnung, Markus und Jens sind froh, wenn der Baum nur den Vertrieb und nicht die eigene Wohnung voll­nadelt: Irgendjemand muss die WGs schließlich sauberhalten. „Außerdem wollen meine Mitbewohner keinen Baum“, meint Jens: „Dann ist es ja blöd, wenn ich einen besorge und ihn in der Wohnung aufstelle.“

Eine gute WG funktioniert schließlich nur, wenn alle Rücksicht aufeinander nehmen. Einige Meter weiter wird die ­Gruppe nach kurzer Diskussion fündig. Nachdem er mit dem Sägen fertig ist, klopft Dorel noch ein wenig Laub aus den Zweigen und schaut zufrieden. „Sehr guter Baum“, sagt er. Als alle bei Punsch und Lebkuchen im Kreis ­stehen, ist es dann auch Dorel, der für vorweihnachtliche Stimmung sorgt: Aus einer kleinen Box, die er für sein Handy mitgebracht hat, läuft „Oh Tannenbaum“. Wie sieht es aus mit Plänen für Weihnachten? „Ich weiß es noch nicht“, gibt Marian zu. Die vergangenen Jahre hat er in Volksdorf bei einem Freund gefeiert. Den kennt er, weil er dort sechs Jahre in einem Container lebte. Dieses Jahr kann er endlich mal wieder zu sich nach Hause einladen. „Ein schönes ­Gefühl ist das.“ Sein Freund hat schon angekündigt, dass er vielleicht bei ihm vorbeikommt, um gemeinsam zu feiern.

Jens wiederum, der vor einem guten Jahr direkt aus dem Hotelprojekt für Obdachlose, das vom Straßenmagazin und anderen sozialen Trägern während der Pandemie ins Leben gerufen wurde, ins Hinz&Kunzt-Haus zog, wird Heiligabend in der Jacobikirche verbringen – um dort Magazine zu ­verkaufen. Aber auch weil es ihm als gläubigem Christ wichtig ist, Weihnachten in der Kirche zu sein. „Ich halt nicht viel von Weihnachten“, meint hingegen Markus. „Als meine Großeltern noch lebten, haben wir gefeiert. Aber seit die Familie auseinander ist, nicht mehr. Vielleicht wird das in der neuen Wohnung aber wieder anders. „Letztes Jahr haben wir schon alle gemeinschaftlich gekocht.“ Das ist auch dieses Jahr der Plan. „Wahrscheinlich gibt es wieder Ente mit Rot­kohl und Kartoffelknödeln“, so der Hinz&Künztler.

Und überhaupt, Weihnachten hin oder her: „Wir haben echt ein gutes Los gezogen.“ Nachdem alle zusammen die Bäume in den Kofferraum des Kombis gehievt haben, geht es zurück zum Hinz&Kunzt-Haus und der letzte Programmpunkt des Tages steht an: Der Baum muss noch geschmückt werden. Während sich Marian und Dorel elegant in ihre Wohnungen zurückziehen, bleiben Jens und Markus am Ball. „Eigentlich ist das mit dem Schmücken ja nicht so meine Sache“, meint Markus. Dann legt er aber doch los, und nach und nach zieren bunte Kugeln, Bänder und Sterne den Baum – und natürlich eine Spitze. Die gehört einfach dazu, meint Markus und kommt dann doch ein wenig in Weihnachtsstimmung. Und Kerzen? „Lieber nicht“, sagt er und grinst: „Sonst fackelt uns noch das Haus ab und ich bin wieder obdachlos. Das brauche ich nicht noch mal.“

Artikel aus der Ausgabe:

Wie gehen Sie mit Bettlern um?

Schwerpunkt Betteln: Was hilft? Gespräche mit Politik, Sozialarbeit – und den Menschen auf der Straße. Außerdem: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Interview. Ein Porträt des Hamburger Rappers Disarstar. Und: So feiern unsere Hinz&Künztler Weihnachten.

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Autor:in
Lukas Gilbert
Lukas Gilbert
Seit 2019 bei Hinz&Kunzt. Zunächst als Volontär, seit September 2021 als Redakteur.

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