Wuchtig, kantig, nordisch: So kennt man Charly Hübner in seiner Rolle als Kommissar Bukow im Rostocker Polizeiruf. Aber der Schauspieler kann auch leise: ein Gespräch über Hübners Kindheit in Mecklenburg-Vorpommern, Ärger über Pegida und seinen Ruhepol – die Elbe.
(aus Hinz&Kunzt 273/November 2015)
Gerade so passt er durch die Tür. Fast müsste er sich bücken, dieser große, kräftige Mann in seinen besten Jahren. Dann steht er da und vereinnahmt auf einen Schlag den ganzen Raum. „Hallo, ich bin Charly“, sagt lapidar einer der begehrtesten deutschen Schauspieler dieser Tage und reicht zur Begrüßung die Hand: Charly Hübner.
Den Schnauzbart trägt er für die Kinoverfilmung von Timm Thaler, den schweren Mantel über dem legeren T-Shirt, weil es jetzt kalt ist in Hamburg. Die Stimmung beim Gespräch ist das glatte Gegenteil von frostig, Hübner gibt sich freundlich und offen. Schnell ist klar: Charly Hübner ist einer, der gerne erzählt.
Und trotzdem hat es fast ein Jahr gedauert, bis dieses Gespräch zustande kam. Denn der 42-Jährige ist viel beschäftigt: Allein 2014 hat er sechs Filme gedreht, die alle in diesem Jahr Premiere feierten. Am Hamburger Schauspielhaus war er im Frühjahr in Tschechows „Onkel Wanja“ und Dostojewskis „Schuld und Sühne“ zu sehen, bald geht er mit „Schiff der Träume“ auf die Bühne. Neben Auftritten und Dreharbeiten bedeutet das viel planen, proben und dann präsentieren. Der Grund, warum wir so lange für ein Treffen mit Hübner anstehen mussten, ist aber ein anderer: die Familie.
Denn zwischen Drehs und Bühnenproben macht seine Familie häufig wochenlang nichts anderes, als Familie zu sein. Keine Termine, keine Interviews. „Das würde die Ruhe stören“, sagt Hübner. „Ich bin ein total guter Freihaber.“ Zusammen mit Kollegin und Ehefrau Lina Beckmann und deren Sohn lebt er inzwischen hochzufrieden in den Elbvororten. Ganz bewusst nehmen die drei sich so viel Zeit für sich, wie die Jobs von Charly und Lina es erlauben. Auch weil die Jobs es erlauben.
„wildeste Wälder“ und „glasklare Seen“
So wie seine Eltern will er es nicht machen, bei denen Familie oft nur zwischen Feierabend und Schlafengehen stattfand. „Das fand ich als Kind schon doof“, sagt Hübner. Nicht vorwurfsvoll, eher ein wenig enttäuscht. „Man verpasst so viel dadurch.“ Und schon driftet das Gespräch ab in Richtung Osten, hin zu seiner Kindheit draußen in der Natur an den Mecklenburgischen Seen.
Ganz schnell kommt Charly Hübner ins Schwärmen über die „wildesten Wälder“ und die „glasklaren Seen“ der Feldberger Seenlandschaft. Dort, mitten im Nirgendwo, erlebt er fast beiläufig das zähe Ende der DDR. Wirkliche Rebellion ist dem jungen Charly damals noch fremd, die Unzufriedenheit mit der Staatsführung begreift er erst spät. Einen Moment des Aufbegehrens gab es aber doch: Einmal trugen er und eine Handvoll anderer zur Einschulung weiße T-Shirts statt der vorgeschriebenen blauen FDJ-Hemden. Doch wogegen sich ihr Protest richtete, weiß Hübner heute nicht mehr.
Aber der junge Hübner entdeckt auf geschmuggelten Kassetten erst Punkmusik, dann Heavy Metal und später Klassik für sich. Subkultur im besten Sinne: „Ace of Spades“, das Kult-Album der Metal-Band Motörhead, hört er zum ersten Mal in der Schule, als ein Mitschüler es über die Lautsprecheranlage laufen lässt. Auch ein bisschen Rebellion. Eine, die ihn bis heute prägt.
Aus der Ferne beobachtet Charly Hübner, wie der Unmut in der Bevölkerung wächst. Wie sich zum Beispiel aus Dresden Tausende aufmachen in Richtung BRD. „Gerade Dresden!“, sagt Hübner und hebt dabei zum ersten Mal die Stimme. „Das waren Flüchtlinge, die wollten in den Westen flüchten!“, sagt er und ärgert sich darüber, dass die Stadt elbaufwärts seit einem Jahr durch Pegida für Stimmung gegen Flüchtlinge steht.
„Bitte, Dresden, zeige dich!“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Dresdner Pegida-Anhänger und -Sympathisanten sind. Ich vermisse eine medial präsente Gegenhaltung zu Pegida. Sollte es aber so sein, dass ganz Dresden die Sorgen und Gewaltbereitschaft – man denke nur an die reservierten Galgen für Frau Merkel und Herrn Gabriel – der Pegida teilt, dann ist eine Größenordnung an Fremdenhass und Abschottungsfantasien erreicht, über die man besorgt sein muss.“ Und er ergänzt: „Bitte, Dresden, zeige dich!“
Auch Freunde von Charly Hübner versuchen 1989 das Land zu verlassen. Aber er bleibt bis 1992. „Ich habe für mich keinen Weg da raus gesehen“, sagt er. Sein Leben spielt ganz bei seinen Eltern an den Feldberger Seen. Er beschreibt es als unspektakulär: „Sozialistisch, kleinbürgerlich und gesund.“ Unaufgeregt, aber eben: mitten in der Natur! Sie hat es ihm angetan. „Eine paradiesische Welt“, sagt Hübner über seine frühere Heimat, auf die er immer wieder zu sprechen kommt. „Drei Häuser, sieben Wälder.“ Seine Beschreibungen untermalt er mit ausladenden Gesten, und man fragt sich, warum er eigentlich nicht dort geblieben ist, so wie ihn das alles noch fasziniert.
Aber er kommt ja oft zurück. Bis heute reist Charly Hübner immer wieder an seine Seen, um dort Ruhe zu tanken. Und auch in seiner neuen Heimat Hamburg entflieht er täglich einmal der Hektik der Großstadt. Auf dem Weg zur Arbeit macht er stets halt am großen Fluss. „Wie steht das Wasser? Ist es blau, ist es grau, ist es rau, ist es weich?“ Jeden Tag muss Charly Hübner das überprüfen. „Die Elbe ist mein Ruhepuls“, sagt er.
Als Hübner 2002 nach Hamburg kommt, ist die Elbmetropole die einzige Stadt in Deutschland, die ihn interessiert. „Berlin wurde mir auf einmal zu hip“, sagt er. Die sterile Bebauung des Potsdamer Platzes und das, wofür sie steht – nicht Hübners Welt. Nicht mehr authentisch genug. Anders Hamburg: „Das Heiligengeistfeld ist für mich der Potsdamer Platz des Nordens“, sagt er. Eine riesige Freifläche mitten in der Stadt, die auch von niemandem ernsthaft infrage gestellt wird. Nicht so wie in Berlin. „Da finde ich die Hamburger total cool.“
Lässig findet Charly Hübner die Haltung vieler Hamburger. Ihm gefällt, was er kaufmännisch nennt: „Diese unterkühlte, aber trotzdem anteilnehmende Art.“ Weil da auch Platz sei für Distanz. „Aber wenn es drauf ankommt, sind die Hamburger sehr treu.“ Und sie schnacken viel, so wie Hübner es als Norddeutscher gewohnt ist, sagt er. Vertraut war das, als er herkam. „Ein guter Grund, hier zu leben.“
Hübner vermisst die Subkultur
Kurz lebt Hübner auf St. Pauli, bis er Ottensen entdeckt. Oder sich „erobert“, wie er sagt. Der Altonaer Stadtteil hat es ihm sofort angetan: „Das war Anfang der 00er-Jahre ein total interessanter Kiez.“ Vor allem aufgrund seiner Bevölkerungsstruktur, mit taxifahrenden Politologen aus Persien, Hamburger Werftarbeitern und türkischstämmigen Familien. Und mittendrin Künstler wie Fatih Akin oder eben Charly Hübner. Da hat er sich wohlgefühlt. Fast ein bisschen wehmütig resümiert er heute: „Durch die Gentrifizierung hat sich das leider alles ein bisschen verändert.“
Mit der systematischen Aufwertung der Stadtteile hat er so seine Probleme. Als Ikea nach Altona kam, war Hübner strikt dagegen. Das leer stehende Hochhaus, das dort vorher stand, hat ihm besser gefallen. Weil es dort Raum für Kunst und Subkultur gab, die er so sehr schätzt.
Auch heute noch, als angesehener Künstler, lässt er sich gerne von jenseits des Mainstreams inspirieren. In Hamburg fällt ihm das aber immer schwerer: „Die Subkultur verkleinert sich und ist nicht mehr spürbar“, sagt Hübner. „Ich bekomme keine Anreize mehr.“ Mehr und mehr gehe es heute ums Geld, auch in der Hamburger Kulturszene. Ein bisschen sei das wie in der DRR: „Damals ging es darum, eine Ideologie zu predigen“, sagt Hübner. „Heute ist die Ideologie eben Geld.“
Begeistert vom Schauspielhaus
Inzwischen holt sich Charly Hübner seine Anreize zum Spielen im Hamburger Schauspielhaus. Seit der Spielzeit 2013/14 gehört er zum Ensemble von Karin Beier, die seitdem das Theater als Intendantin leitet. Das Publikum ans Haus zu binden, sieht Hübner bei der Arbeit an der Kirchenallee als die größte Herausforderung. „Das ist ein langfristiges Ding“, sagt er.
Ein Theater neu zu erfinden, das gehe eben nur, wenn man über die nächste Spielzeit hinausdenke. Und die übernächste. Und die danach. Charly Hübner kann sich gut vorstellen, über lange Jahre dem Schauspielhaus die Treue zu halten. So wie er von seinen leidenschaftlichen Auftritten hier schwärmt, dürfte ihm das nicht sonderlich schwer fallen. „Spiel einmal auf dieser Bühne“, sagt Hübner zum Abschluss, „und du willst nie wieder woanders spielen!“
Charly Hübner am Deutschen Schauspielhaus, Kirchenallee 39:
„Schuld und Sühne“, Do, 5.11., 19 Uhr, und So, 22.11. , 16 Uhr, 10–37 Euro
„Schiff der Träume“, Premiere: 5.12., 20 Uhr, Karten: ab 10 Euro
Text: Benjamin Laufer
Fotos: Daniel Cramer