Warum Opposition und Behördenmitarbeiter den Justizchef Roger Kusch zum Rücktritt bewegen wollen
(aus Hinz&Kunzt 141/November 2004)
Da sitzt ein Mann in seiner vom Bürgermeister der Stadt gemieteten Altbauwohnung am Hansaplatz in St. Georg und meint gar Ungeheuerliches beobachtet zu haben: einen Straßendeal. Flugs greift er zum Telefonhörer und teilt der Polizei aufgeregt mit, dass am Hansaplatz mit Drogen gedealt werde. Dann setzt er sich wieder an seinen Fensterplatz und wartet. Die Minuten verstreichen. Kein rotierendes blaues Lalülala, keine kreischenden Peterwagenbremsen, keine Polizisten in Uniform. So hat er das im Fernsehen aber nicht gelernt. Also ruft er noch einmal bei den Polizisten an und beschwert sich wutschnaubend. Kusch heiße er, Senator der Justiz dieser Stadt sei er, und die Verbrecher vor seiner Haustür seien immer noch nicht verjagt worden.
Nein, entgegnen ihm die Beamten. Die dorthin beorderten Kollegen in Zivil hätten schließlich festgestellt, dass der Dealer und sein Kunde sich wohl schon davon geschlichen hätten. Und Lalülala sei bei Drogeneinsätzen eher unüblich, weil zu auffällig. Diese Story war in der MoPo zu lesen.
So viel Unwissenheit über die Stadt und die Hamburger Ordnungshüter ist selten. Dass am Hansaplatz in St. Georg gedealt wird und Polizisten nicht mit lautem Tamtam ihre Ermittlungstätigkeit ankündigen, weiß in Hamburg wohl nahezu jeder, der sich mit den Themen dieser Stadt ein wenig beschäftigt hat. Justizsenator Roger Kusch hingegen wusste dies bis Sommer 2003 anscheinend nicht. Dabei wurde der 49-jährige Volljurist von Ole von Beust persönlich als christdemokratische Hardliner-Antwort auf Ronald Schill im Wahlkampf 2001 in die Stadt und die Reihen der Hamburger CDU geholt. Da war er schon mehr als zwei Jahre in der Stadt und hatte mit handfesten Skandalen, beharrlicher Ignoranz gegenüber den Fachleuten seiner Behörde und einer hartnäckigen Weigerung, aus seinen eigenen Fehlern zu lernen, so viel politisches Porzellan zerschlagen wie kein anderer christdemokratischer Senator.
Heute, gut 15 Monate nach diesem Vorfall, sitzt Kusch immer noch an einer der wichtigsten Schaltstellen der politischen Macht in Hamburg. Weil der Herr der Justiz neben seiner Ressorttätigkeit auch noch in alle Gesetzesvorhaben einer Regierung eingebunden ist, galt der Posten des Justizsenators zu sozialdemokratischen Zeiten in der politischen Arithmetik nach dem Bürgermeister und dem Finanzsenator als wichtigste Schlüsselfigur der regierenden Politik. Das ist seit Kusch anders.
Die „lächelnde Guillotine“, wie ihn einige Mitarbeiter der Justizbehörde titulieren, hat dem Bürgermeister wegen seiner selbstherrlichen Personalpolitik den bisher einzigen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in seiner dreijährigen Amtszeit eingetragen. Kusch selbst hat vor allem mit einer einzigartigen Strafvollzugspolitik von sich reden gemacht. Der Mann, der angetreten war, Hamburgs Gefängnisse sicherer zu machen, hat das genaue Gegenteil erreicht: Noch nie waren Hamburgs Gefängnisse durchlässiger als heute. Allein aus dem neuen Supergefängnis Billwerder, das als verpatztes Gesellenstück seiner Senatorentätigkeit in Hamburg gilt, sind seit Eröffnung vor einem Jahr bis heute fünf Gefangene entflohen. Trotzdem sich die Stadt das Supergefängnis fast 100 Millionen Euro hat kosten lassen, hat Billwerder damit einen neuen Ausbruchsrekord im Hamburger Strafvollzug geschrieben, der neue Spitznamen in der Hamburger Justiz geprägt hat: Weglauf-Knast beispielsweise oder Schweizer-Käse-Gefängnis. Grund für die hohe Anzahl an Flüchtigen dürfte die verlockend einfach gemachte Aussicht auf Freiheit gewesen sein. Als der Justizsenator das neue Gefängnis belegen ließ, konnten einige Fenster wegen noch fehlender Gitter einfach von innen geöffnet werden. Der Weg über die Gefängnisgrenze war auch nicht weiter schwer, denn die Gefängnismauer war noch nicht einmal gebaut. Nun ist auch noch ein zweites Gefängnis ins Gerede gekommen. Anfang Oktober wandten sich Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Vierlande an das Hamburger Abendblatt und offenbarten gravierende Sicherheitsmängel an ihrem Arbeitsplatz. Die Alarmknöpfe würden nicht mehr funktionieren, da die Wartungsverträge aus Spargründen gekündigt worden seien, einer der vier Wachtürme sei kaum besetzt, weil es nicht genug Personal gebe, und überhaupt „Wenn sich die Häftlinge einig wären, könnten sie innerhalb von Minuten alle draußen sein“, zitiert die Tageszeitung einen Mitarbeiter. Ursächlich für diese Entwicklung sei der Personalabbau in Hamburgs Justiz.
Genau diese Entwicklung hatten renommierte Hamburger Strafvollzugsexperten wie Gerhard Rehn immer wieder moniert. Wenn der Justizsenator aus Billwerder, das unter Rot-Grün als offene Vollzugsanstalt mit 400 Plätzen geplant worden war, einen geschlossenen Vollzug mit 800 Plätzen machen würde, fehlen im Strafvollzug gut 200 Stellen für Gefängnispersonal, so Rehn. Ergo würde die Sicherheit in Hamburgs Gefängnissen erheblich abnehmen. Außerdem werde mit dem Abbau der offenen Haftplätze Inhaftierten die Möglichkeit genommen, sich auf ihre Entlassung vorzubereiten. Diese würden, so hatten auch Strafvollstreckungsrichter gewarnt, anschließend vermehrt straffällig werden. Ein erfahrener Richter hatte den Justizsenator daraufhin sogar des Verfassungsbruchs bezichtigt, da das vornehmliche Ziel des Strafvollzuges eben nicht ein möglichst langes Wegschließen der Häftlinge, sondern ihre Behandlung und Vorbereitung auf die Freiheit sei. Darauf haben die Inhaftierten einen gesetzlichen Anspruch. Die Insassen der sozialtherapeutischen Haftanstalt Altengamme, in der Langstrafentäter sich schrittweise wieder in Freiheit erproben sollen, sind sogar bereit, für den Erhalt ihrer offenen Haftanstalt auf bisherige Leistungen zu verzichten. Viele von ihnen verdienen außerhalb des Gefängnisses Geld und würden ihre Nahrungsmittel, Hygieneartikel wie Zahnpasta und selbst Stromkosten lieber selbst zahlen, als dass ihre Haftanstalt geschlossen werde. Etwa 100.000 Euro könne man so einsparen, sagt Häftling Dennis Schumann: „Wir wollen nach einer langen Gefängnisstrafe in Zukunft straffrei leben.“
Doch den Justizsenator kümmert das Sparangebot der Häftlinge offenbar nicht. Wie auch die Gefangenen-Unruhen in Santa Fu im Dezember 2003 den Justizsenator und seine Parteimitglieder von der CDU nicht weiter zu interessieren scheinen. Auch die zunehmenden Beschwerden von Journalisten und Abgeordneten, sie würden nicht mehr in die Gefängnisse gelassen, um mit den Betroffenen der Strafvollzugspolitik à la Roger Kusch vor Ort zu reden, prallen an Kusch offenbar ab. Da klingen die wiederholten Rücktrittsforderungen von SPD und Grünen fast schon hilflos. Es scheint, der Bürgermeister persönlich hält weiterhin schützend die Hand über den Mieter seiner Wohnung am Hansaplatz in St. Georg.