Kolumnistin Nele Gerber hat Bekanntschaft mit einem Breitmaulnashorn gemacht.
Man mag über Zoos denken, was man will. Ich selbst bin unsicher. Schon öfter dachte ich im Tierpark, man sollte die Gefangenen lieber in die Freiheit entlassen. Den Nordchinesischen Leoparden bei Hagenbeck zum Beispiel, der bei meinem letzten Besuch völlig verhaltensgestört am Zaun seines Geheges hin und her lief. Andererseits leitet Hagenbeck das Europäische Erhaltungszuchtprogramm dieser stark gefährdeten Art. Allerdings werden für Zoos noch immer Tiere aus freier Wildbahn entnommen – besonders für Aquarien. Aber es gibt auch Arten wie die Säbelantilope. Die gilt in der freien Natur als ausgestorben. In Zoos ist sie dagegen recht häufig. Und die Hoffnung, dass der Mensch sein Verhalten ändert, sodass Tiere in ihren natürlichen Lebensräumen überleben, habe ich fast aufgegeben.
Einmal durfte ich in einem Zoo einem Breitmaulnashorn richtig nah sein. Ganz allein stand ich im Stall. Vor mir: armdicke Eisenstangen, die die Boxen verriegelten. Stecken Sie die Hand nicht durch die Gitterstäbe, wurde mir geraten. Die Tiere könnten sie zerquetschen. Ich konnte mich gut beherrschen. Es roch nach Pferd, aber die schweren Türen sollten zweifellos gewaltigeren Kräften als Pferdestärken trotzen.
Vorsichtig spähte ich zwischen den Stangen hindurch: Ein gigantischer Körper stand dort, reglos, grau und faltig. Der riesige Kopf des Nashorns ruhte wie ein fünftes Bein auf dem Boden. Doch es fühlte sich beim Dösen gestört. Der Koloss setzte sich in Bewegung. Ein lebender Fels.
2,5 Tonnen Muskeln und Fleisch, so schwer wie zwei VW-Golf, kamen direkt vor mir zum Stehen. Der Atem des Breitmaulnashorns blies mir entgegen wie ein Föhn. Seine Haut zerfurcht, die breiten Lippen unförmig und runzlig, als hätte es vergessen, sein Gebiss einzusetzen. Das Urvieh gurgelte und knurrte – Geräusche, die aus dem tiefsten Erdinneren zu kommen schienen. Dann steckte es sein Horn durch die Eisenstangen und begann, an der Tür zu ruckeln. Dadurch konnte ich am Hornansatz viele einzelne, fest verklebte Haare erkennen.
Schließlich wendete sich der Koloss gelangweilt von mir ab. Als er seinen Hintern gegen die Eisenstangen drückte, wagte ich, das Tier zu berühren: Hart und knochentrocken fühlte es sich an. Wie Baumrinde, nur unerwartet warm. Wie zum Dank für meine ungebetene Annäherung fing das Nashorn an zu strullen. Ein kräftiger Strahl traf den Boden, floss unter den Eisenstangen hindurch zu meinen Schuhen, benetzte meine Hosenbeine. Ich hatte genug erlebt.
Selig nahm ich die Bahn und fuhr nach Hause. Zusehends leerte sich der Waggon. Beim Aussteigen fielen mir Menschen auf, die zuvor in meiner Nähe gesessen hatten. Sie blickten mich an. Ich grinste, beglückt von meinem Zooerlebnis. Wahrscheinlich wirkte ich leicht irre.
Zu Hause ging ich erst mal duschen. Zurück in meinem Zimmer traf mich fast der Schlag: Der Gestank meiner Kleidung war bestialisch! 1000 Nashornhintern schienen an ihr abgewischt worden zu sein. Erst mehrere Wäschen später war der Gestank neutralisiert.
Ich bin einfach unsicher: Ohne den Zoobesuch wäre mir der Geruch des Breitmaulnashorns definitiv entgangen. Andererseits: Ich hätte es gut verkraftet.