Sie sind zu viert und kommen aus Albanien, Portugal, Bulgarien und von der Elfenbeinküste. Doch zusammen machen sie Balkanmusik in Hamburg: tanzbar und quirlig, dann wieder schräg und melancholisch. Im August spielt die Multikulti-Band Balkan Caravan in Altona.
(aus Hinz&Kunzt 210/August 2010)
Er hält die Augen halb geschlossen und legt den Kopf leicht in den Nacken. Von einem Verliebten singt er, der des Nachts durch die Straßen irrt, verzweifelt und völlig allein: „Rruges I Trishuar, Dikush Po Ecen“. Schmachtend, lang gezogen erklingt Niko Besnik Isufis Stimme auf Albanisch. Sachte schlägt er mit den Fingerspitzen den Rhythmus auf dem Tamburin, während sich seine Mitmusiker hochkonzentriert über ihre Instrumente beugen. Doch das nächste Lied legt ein ganz anderes Tempo vor, schnell und quirlig, und Niko hat jetzt die Augen weit offen: Ein Hochzeitslied – und aller Schmerz ist wie weggeblasen! „Balkan Caravan“ heißt die Band. Vor einem Jahr haben sie sich zusammengeschlossen, vier Musiker aus vier unterschiedlichen Ecken dieser Welt.
Heute sind sie in der Wohnung ihres Bassisten Joao de Menezes zusammengekommen, um zu proben, im Herzen von Ottensen. Alle wohnen sie hier in der Gegend, treffen sich auch sonst auf der Straße oder beim Einkaufen. Doch aufgewachsen ist keiner von ihnen in Deutschland. Niko Besnik Isufi kommt aus Durres, der wichtigsten Hafenstadt Albaniens, an der Adria gelegen. Er ist im Juli 1990 einer der Ersten, der in die Deutsche Botschaft in Tirana flüchtet. Überall in Osteuropa stürzen die autoritären Regime wie Kartenhäuser zusammen, nur in Albanien schlägt die dortige Regierung wild um sich und geht gewaltsam gegen die Bevölkerung vor. „Wir waren bald mehr als 1500 Menschen, in einem kleinen Haus mit Garten. Wir wussten nicht, ob wir wirklich würden ausreisen können. Ich wusste nur, jetzt einfach wieder zurück über den Zaun klettern und nach Hause gehen, das wäre keinesfalls gegangen.“
Mehr als eine Woche müssen sie ausharren. Die deutsche Regierung verhandelt erfolgreich mit den albanischen Behörden. Mit dem Schiff geht es erst nach Italien. Von dort aus fährt ein Zug mit nun anerkannten Flüchtlingen durch Deutschland, wird dabei immer kürzer: „Der Waggon, in dem ich saß, wurde in Hamburg abgekoppelt.“ Niko ist froh: Er hatte sich schon vorher überlegt, dass ihm Hamburg gefallen könnte – auch eine Hafenstadt. Mittlerweile war er schon öfter wieder in Albanien und die wirtschaftliche Lage würde sich dort nicht schlecht entwickeln. Aber er ist nun schon so lange weg und seine ganze Familie lebt längst in Italien. Was soll er in Albanien? Und trotzdem ist da ein Gefühl von Heimweh: „Aber ich möchte nicht Volkslieder aus Albanien einfach nachsingen. Jeder soll etwas aus seiner Kultur einbringen – damit etwas Neues entsteht.“
„Es gibt keine Arbeit in Bulgarien.“
In Albanien ist es gerade Mode, traditionelle Volkslieder auf dem Computer nachzuspielen; quäkend purzeln die Töne dabei wie Micky-Maus-Musik aus den Lautsprechern. Niko schüttelt fassungslos den Kopf.
Der Akkordeonspieler Marin Basilev wiederum kommt aus Bulgarien. Man findet ihn immer mal wieder in der Fußgängerzone nahe des Altonaer Bahnhofs. „Nur Ottensen“, sagt er, „nie Schanze.“ Sein Lebensweg ist ganz anders. Mit dem, was er an Spenden bekommt, wenn er mal griechische, mal türkische Lieder spielt, hilft er zu Hause seiner Familie, die er regelmäßig besucht. Das ist gar nicht so exotisch, wie es zunächst klingt: „Es gibt keine Arbeit in Bulgarien. Alle jungen Leute sind deshalb im Ausland. Geblieben sind nur die alten Leute – und die Kinder.“ Marin, der bulgarisch, türkisch, russisch und makedonisch spricht, ist Rom, und deshalb spricht er auch noch deren Sprache. Zur Musik kam er über seinen Vater, der neben der Arbeit auf Hochzeiten und in Kaffeehäusern spielte. „Er hatte leider nie Zeit, mir etwas zu zeigen oder mit mir zu üben. Ich hab mir alles abgeguckt. In meiner Kinderzeit gab es bei uns kein elektrisches Licht: Also saß ich bei einer Kerze und habe geübt – bis ich das Lied konnte.“ Dieser Methode ist er treu geblieben: „Du spielst ihm ein Lied vor, dann noch mal – und schon er kann es nachspielen“, erzählt Niko. Noten braucht Marin nicht.
„Zehntausende Kilometer“, sagt Franck Trabinagone, Trommler der Band: „Doch, doch, zehntausend. Ich komme von am weitesten her.“ Genauer: von der Elfenbeinküste. Zunächst ging es nach Frankreich, nach Paris, ins Zentrum der einstigen Kolonialmacht, 14 Jahre ist er da alt, wird französischer Staatsbürger. Kam er mit seiner Familie? „Ich bin immer allein“, sagt er nur, „ich bin immer unterwegs.“ In Paris dreht er später Filme, spielt in wechselnden Formationen. Einmal tritt er im Vorprogramm der Rolling Stones auf. Die Deutsche Grammophon bietet ihm einen Vertrag an, holt ihn nach Hamburg. Eine Zeit lang unterrichtet er die Kinder der Kelly Family. Einmal tritt er vor Gerhard Schröder auf. Ja, vor dem Kanzler, in Hannover, kurz bevor der zu seiner ersten Afrikareise aufbricht. „Doch ich war nicht zufrieden, immer nur die Musik von anderen Leuten nachzuspielen.“ Er verlegt sich auf Straßenmusik. Das ist schwierig. Er arbeitet auch als Anstreicher, in einer Malerkolonne. Bis sein rechter Arm zu schmerzen beginnt, die Schmerzen nicht nachlassen. „Ich bin zu der Frau beim Arbeitsamt gegangen, mit meiner CD und all den Kritiken aus den Zeitungen, hab ihr das hingelegt und gesagt: ‚Ich hab kein Maler-Diplom. Ich bin Musiker!‘“ Seitdem hat man ihm keinen Malerjob mehr angeboten.
Joao de Menezes, zuständig für den E-Bass, kommt ursprünglich aus Portugal; 19 Jahre ist das jetzt her. „Ich musste damals mein Leben neu gestalten“, sagt er nur. Und warum ausgerechnet Hamburg? Er lacht verlegen: „Na ja, wegen einer Frau.“ Wenn er keine Musik macht, unterrichtet er Portugiesisch, hat öfter Jobs als Komparse beim Film, beim Fernsehen. Und er spielt in zwei weiteren Bands, zum Beispiel in der Surfpopkombo „Tod im Strandkorb“, die gleichfalls ihren Mittelpunkt in Altona hat und hier regelmäßig auftritt.
„Zur Balkanmusik gehören schräge Töne, Halbtöne“
So sind sie zusammengekommen, vereint durch ihren Willen, es als Musiker zu schaffen. Quirlig ist ihre Musik, manchmal hektisch und vorwärts preschend; dann sehr verhalten, lang gezogen die Töne, melancholisch die Stimmung. Um wieder zu wechseln ins Schnelle, ein Rhythmus, der sich festsetzt und nicht aufhören will, immer so weitergehen könnte. Musik nicht nur zum Zuhören, sondern weit mehr zum Tanzen. Und Marin hebt sein Akkordeon an, drückt ein paar kräftige Akkorde, Joao lässt den Bass schwingen, Franck hält den Rhythmus, steigert ihn. Sie spielen ein Romalied, treibend und flott, doch immer wieder durchsetzt mit kurzen Verzögerungen, als stocke das Tempo. „Zur Balkanmusik gehören schräge Töne, Halbtöne“, erklärt Niko. Und singt wieder, laut und kräftig, sodass auch die anderen zulegen müssen. „Ich kann nur laut singen“, erklärt er.
Es klingelt. Die vier schauen sich an. Joao zuckt mit den Schultern: „Vielleicht einer meiner Nachbarn, der mitspielen will“, scherzt er, legt seinen Bass beiseite. Geht an die Tür, schaut, ob sich vielleicht jemand beschweren will, dass sie hier mitten am Tag ihre quirlige Musik spielen. Doch niemand steht vor der Tür; niemand kommt die enge, hölzerne Treppe hinauf. „Vielleicht falsch geklingelt“, sagt Joao, hebt seinen Bass wieder hoch. Marin hatte in letzter Zeit öfter mal Probleme mit den Behörden, wenn er in der Ottenser Fußgängerzone saß und spielte. Einmal wurde ihm kurzzeitig sein Akkordeon weggenommen. Franck kennt das Problem: „Die Polizei kommt nie von selbst. Es sind Leute von irgendwoher, die Langeweile haben, die kein Herz haben, die sich von Musik gestört fühlen, selbst wenn der Straßenverkehr viel lauter ist. Die rufen die Polizei und die kommt, weil sie gerufen wurde und manchmal schicken sie dich weg. Wegen der Leute, aber von selbst – nein, nie.“ Er ist sich da ganz sicher: „Ich kenne mich da aus; ich mache Straßenmusik seit zwanzig Jahren, in Deutschland, vorher in Frankreich. Dort war es dasselbe.“
Doch jetzt greift Niko ein, will dem Klagen keinen Raum mehr geben. Eine gute Nachricht hat er: Sie können in Zukunft drüben auf dem Bauspielplatz deren Gruppenraum als festen Proberaum nutzen. Als Gegenleistung werden sie bei Kinderfesten spielen. „Wir müssen uns erst mal hier in Altona verbreitern“, sagt er. Eine Lokalgröße werden, bei Straßenfesten auftreten, dann langsam bekannter und immer bekannter werden, so könnte es gehen. Und hoffentlich kommen noch andere Musiker hinzu: „Wir könnten einen Klarinettisten gebrauchen, einen Saxofonspieler, einen Keyboarder.“ Nikos Traum ist es, vielleicht im nächsten Jahr ein kleines Festival auszurichten, eine „Balkanale“. „Balkanmusik ist bei den jungen Leuten sehr gefragt“, sagt er. Nicht nur, weil es mal etwas anderes ist, sondern weil Balkanmusik es schafft, bodenständige Folklore und leichten Pop gut zu vereinen. „So – lasst uns mal“, sagt Niko, schlägt in seinem Heft das nächste Lied auf. Die anderen nehmen ihre Instrumente wieder in die Hand und warten auf ihren Einsatz.
Text: Frank Keil
Foto: Roderick Aichinger
Balkan Caravan Hörproben unter www.myspace.com/balkancaravan