Seit 1. November läuft das Winternotprogramm. Die begehrten Containerplätze für Obdachlose waren gleich zu Beginn vergeben. Inzwischen wird der Platz aber auch in den weiteren Notunterkünften rar.
(aus Hinz&Kunzt 262/Dezember 2014)
Als er mittags die Tagesaufenthaltsstätte (TAS) in der Bundesstraße verlässt, strahlt Bruno über das ganze Gesicht. „Endlich kann ich wieder eine Tür hinter mir zumachen“, sagt der gelernte Facharbeiter für Mechatronik. Seit den frühen Morgenstunden des 1. Novembers stand er an, um am Ende einen von insgesamt 104 Schlafplätzen in Wohncontainern zu erhalten.
Bruno ist erleichtert. Seit Jahren lebt der Mittfünfziger auf der Straße. Den Sommer über war er mit einem selbst gebauten Lastenfahrrad unterwegs, „von Altona bis Görlitz“. Zuletzt verbrachte er die Nächte am Altonaer Balkon in einem kleinen Zelt. Jetzt endlich hat Bruno eine feste Bleibe. Wenn auch nur vorübergehend. Im April werden die Container wieder abgebaut. Trotzdem nennt der Obdachlose seinen Schlafplatz einen „Lottogewinn“.
Brunos Begeisterung kann nur nachvollziehen, wer das Hamburger Hilfesystem kennt. Seit 1992 bietet die Stadt Obdachlosen von November bis April Zuflucht nach der Devise: Kein Obdachloser muss draußen schlafen. Wirklich beliebt sind allerdings nur die Container. Sie stehen auf Kirchengrundstücken. Mitglieder der Gemeinden kümmern sich um die Gäste. Höchstens drei Obdachlose wohnen jeweils in einem Container, der nicht nur Wärme, sondern eben auch Schutz und Ruhe bietet. In den Genuss eines solchen Containerplatzes kommen 2014 allerdings nur 104 Obdachlose. Dabei suchen mehr als 2000 Menschen jedes Jahr in der kalten Jahreszeit für mehrere Monate oder auch nur für einige Tage Zuflucht im Winternotprogramm.
Die Alternative – zwei Massenunterkünfte in ehemaligen Grundschulen in Horn und Marienthal – stößt bei vielen Obdachlosen auf Ablehnung. Stefan, der ebenfalls vor der TAS auf einen Containerplatz wartet, erzählt, dass ihm dort der Brustbeutel abgeschnitten wurde, als er schlief. Und sein Freund Denis ergänzt: „Im Container weißt du, dass deine Sachen sicher sind.“
In den ehemaligen Schulen hingegen gibt es keine Schließfächer, keine Privatsphäre. 600 Schlafplätze richtete der städtische Unterkunftsbetreiber fördern und wohnen (f&w) kurzfristig in diesen Notunterkünften her. Obdachlose teilen sich einen Klassenraum mit bis zu 19 anderen Menschen. Toiletten und Duschen befinden sich außerhalb in Sanitärcontainern. Alkohol ist zwar in den Gebäuden verboten. Manche alkoholkranke Obdachlose kommen allerdings schon betrunken in die Notunterkunft. Der Umgang untereinander ist rau, bestätigen uns immer wieder Hinz&Künztler. Und bleiben können die Obdachlosen nur über Nacht. Morgens geht es für alle wieder raus in die Kälte.
Die beiden Hinz&Künztler Marian und Michal sind trotzdem zufrieden. „Jetzt ist es besser. Der vergangene Winter war schlimm“, erzählt Marian, der die Nächte in der Schule in Marienthal verbringt. 2013 hatte f&w die Schulen lediglich mit Feldbetten ausgestattet. „Die Liegen sind furchtbar unbequem. Sie wackeln, und von unten zieht die Kälte hoch“, klagte damals Hinz&Künztler Deyan.
Bei der Sozialbehörde hat man die Problemlage erkannt und gezielt die Qualität der Unterbringung angehoben. Dazu gehört auch, dass Freiwillige jeden Morgen und Abend in der Schulküche in Marienthal Essen für die Obdachlosen zubereiten. „Abends gibt es immer etwas Warmes zu essen“, freut sich Michal.
Schwer haben es aber weiterhin Obdachlose mit Hund. Für sie ist in den Schulen kein Platz. Nur in fünf Containern sind Tiere erlaubt. Hinz&Künztler Ferenc wollte deswegen auf Nummer sicher gehen: Bereits acht Tage vor der Containervergabe schlug er mit Hund Ricky sein Lager gegenüber der Tagesaufenthaltsstätte auf, um einen Platz zu ergattern.
Sein Warten hat sich gelohnt. Andere gingen bei der Containervergabe leer aus. In den Schulgebäuden hingegen hielt sich bei Temperaturen um 18 Grad plus der Andrang zum Start des Winternotprogramms in Grenzen. Viele Obdachlose bleiben lieber auf ihrer Platte, solange es die Temperaturen zulassen.
Trotz weiterhin relativ milder Temperaturen hat sich die Situation bis Mitte November verschärft. In der Notunterkunft in Horn waren am 17. November fast alle Betten belegt. Insgesamt lag die Auslastung laut Sozialbehörde bei 90 Prozent. Im Notfall stünden allerdings zusätzliche „Reserven“ bereit,
erklärt Marcel Schweitzer, Sprecher der Sozialbehörde.
Noch vor Heiligabend will auch f&w Containerplätze auf einer Freifläche an der Amsinckstraße eröffnen. „Wir sind zuversichtlich, dass das gelingt“, so Schweitzer. Mit diesem weiteren Standort stünden insgesamt 850 Plätze zur Verfügung. Es wird das größte Winternotprogramm, das die Stadt jemals aufgelegt hat. Und schon jetzt ist klar, dass jeder Platz dringend benötigt wird.
Text: Jonas Füllner und Simone Deckner
Foto: Dmitrij Leltschuk