Seit 15 Jahren schreibt Hinz&Kunzt-Verkäufer Erich Heeder an Politiker – jetzt macht er ein Buch daraus
(aus Hinz&Kunzt 185/Juli 2008)
Erich Heeder schreibt an Bürgermeister Henning Voscherau. Erich Heeder schreibt an Bürgermeister Ortwin Runde. Erich Heeder schreibt an Bürgermeister Ole von Beust. Briefe an Fraktionsvorsitzende und Bezirks-amtsleiter, an Sozialsenatorinnen und Bundesminister. An Zeitungen, Unternehmen und Verbände. Heeder ist Hinz&Kunzt-Verkäufer. Seine politische Korrespondenz aus 15 Jahren bringt der 55-Jährige demnächst als Buch heraus – 600 Seiten stark.
Vor dem wachen Hartz-IV-Empfänger ist kein Thema sicher: Drogenhilfe und Stadtteilprojekte, Transrapid und U4, Bauwagenplätze und Mindestlohn. Heeder greift Missstände zwischen Billstedt und Bagdad auf. Soziale Gerechtigkeit ist der rote Faden in seinen Briefen und Eingaben. Oft unterzeichnet er sie als „Mensch im öffentlichen Raum“ oder „Stadtteilkünstler“. Manchmal gibt es noch ein selbstgeschriebenes Gedicht oder einen Aphorismus dazu („P. S.: Der größte Feind des Menschen ist sein Machtanspruch“).
Heeder lebt seit 1984 in Hamburg. Der gelernte Heizungsbauer und Schweißer ist Mitglied des Offenen Ateliers in Mümmelmannsberg, seit 20 Jahren gehört er zum Sanierungsbeirat im Stadtteil. In ungezählten Initiativen und Aktionsgruppen ist er aktiv. 1993/94 war er nach seiner Scheidung ein Dreivierteljahr wohnungslos – und wurde Verkäufer des gerade gegründeten Straßenmagazins Hinz&Kunzt. Inzwischen hat Heeder eine Wohnung in Kirchsteinbek, darf aber als ehemals Obdachloser das Magazin weiter verkaufen.
„Man darf nicht lockerlassen“, sagt Heeder. Er glaubt daran, dass sich das Bewusstsein von Politikern ändern kann, wenn man nur beharrlich anklopft. Er nimmt Bürgerbeteiligung ernst: „Ich finde einige Sachen schlecht, und das muss geklärt werden. Da muss man miteinander reden.“[BILD=#erich2][/BILD][BILD=#ercih3][/BILD]
Den Erfolg seiner direkten Demokratie schätzt Heeder nüchtern ein: Manchmal ändert sich was, manchmal nicht. Und wenn sich was ändert, war es vielleicht gar nicht wegen Heeders Briefen. Oder etwa doch? Jedenfalls freut sich der H&K-Verkäufer über jede Forderung, die verwirklicht wird – auch wenn Jahre vergehen. So wie beim HVV-Sozialticket, das der schwarz-grüne Senat nun wieder einführen will.
Heeders Briefe haben ihre eigene Rechtschreibung. Manchmal vergreift er sich im Ton. Und nicht immer kommt er gleich auf den Punkt. Aber er weiß, dass er andere nerven muss – um der gerechten Sache willen.
Auch in der Hinz&Kunzt-Redaktion kommt Heeder regelmäßig vorbei, in der Hand einen kopierten Zeitungsartikel, einen Kommentar, einen Leserbrief. Manchmal greifen wir seine Hinweise auf, manchmal nicht. Schriftlich antworten müssen wir nie.
Anders dagegen die Offiziellen vom Bezirksamt bis zum Bundespräsidialamt, die Heeder anschreibt: Sie sind zur Antwort verdammt. Bürgerpost! Immer bedanken sie sich, danach wird beschieden, verwiesen, vertagt, vertröstet. Die Textbausteindichte ist hoch. Aber es gibt auch Sternstunden: etwa einen handschriftlichen Brief des damaligen Bürgermeisters Henning Voscherau (siehe Abbildung).
Gleich wie die Antwort ausfällt: Erich Heeder wird seinerseits antworten, loben, richtigstellen, ermahnen. Und wenn keine Antwort kommt, schreibt Heeder erst recht. Etwa an die Bezirksversammlung in Mitte: „Hiermit stelle ich eine Anfrage: Ob die Bezirksversammlung meinen Brief vom 29.03.03 erhalten hat?? Wenn ja, bitte ich um Antwort, wenn nein, bitte ich auch um Antwort!!“
Heeders Korrespondenz ist eine Leistungsschau politischer Beharrlichkeit. Ein Jahr lang hat er an der Dokumentation gearbeitet. Handschriftliche Briefe tippte er ab, Zeitungsartikel und Flugblätter reichern die Chronik an. Das Geld, um sie als kostengünstiges Book on Demand zu veröffentlichen, hat Heeder gespart. Er ist schließlich seit Jahren Hinz&Kunzt-Verkäufer.
Text: Detlev Brockes
Foto: Mauricio Bustamante