Noch in den 1980er-Jahren galt St. Georg als gefährlicher und anrüchiger Treffpunkt der Drogenszene. Ein umgebauter Linienbus brachte die Wende: Mit der ersten mobilen Fixerstube veränderten Norbert Dworsky und andere Sozialarbeiter vor 20 Jahren die Hamburger Drogenpolitik.
(aus Hinz&Kunzt 258/August 2014)
Gegenüber der Eingangstür zum „Abrigado“ steht etwas, was es in Hamburg eigentlich gar nicht mehr geben dürfte: ein Tauschautomat für Spritzen. Unabhängig von den Öffnungszeiten können Abhängige hier vor dem Harburger Fixerraum neues Zubehör für den Drogenkonsum erhalten. „Schill hat die damals eigentlich überall wieder abbauen lassen“, erzählt Einrichtungsleiter Norbert Dworsky. Auch für das Drug-Mobil, einen mobilen Fixerraum, bedeutete die Schill-Ära das Aus. „Aber dieser Automat steht auf unserem Grundstück. Da kann niemand etwas gegen sagen.“
Der rote Automat hat die Regierungsbeteiligung des „Richter Gnadenlos“ überlebt. Alles andere wäre auch verwunderlich. Denn Norbert Dworsky ist ein Kämpfer der ersten Stunde für die Legalisierung harter Drogen. Mit dem Drug-Mobil fing vor 20 Jahren alles an. Legal war das nicht, Dworsky stand sogar mit einem Bein im Gefängnis. Von einem kleinlichen Tauschautomaten-Verbot lässt jemand wie er sich nicht abhalten.
Das Drug-Mobil war ein zum Fixerraum umgebauter Linienbus. Im Frühjahr 1994 kam er zum ersten Mal in Billstedt zum Einsatz und läutete damit eine Wende in der Drogenpolitik ein. Die Idee dahinter: Wenn Drogenabhängigen ein Raum gegeben wird, dann müssen sie nicht mehr öffentlich Drogen konsumieren. Laut Dworsky eine Win-win-Situation für Abhängige und den Stadtteil. Denn noch in den 1980er-Jahren war die Situation in St. Georg unerträglich. „Der Hansaplatz konnte von Normalbürgern quasi nicht mehr frequentiert werden“, so Dworsky. „Da waren bis zu 800 Drogenabhängige und deren Umfeld. Es herrschte teilweise Anarchie.“ Die Polizei wollte den Zustand lieber heute als morgen beenden. Eine Räumung des Platzes führte aber lediglich dazu, dass sich die Szene vor den Hauptbahnhof verlagerte. Dworsky sieht das noch heute kritisch: „Verdrängung bringt doch nichts, die Leute lösen sich ja nicht in Luft auf.“
Gleichzeitig war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. „Die Sandkisten auf den Spielplätzen mussten immer abgeharkt werden, weil dort Spritzen rumlagen“, erinnert sich Dworsky. Unter der Parole „Ganz St. Georg ist ein Fixerraum“ formierte sich damals eine Protestbewegung, die ein Umdenken in der Drogenpolitik forderte.
„Der Senat hat uns schließlich 1,5 Millionen D-Mark bereitgestellt“, so Dworsky. Doch damit begannen gleich die nächsten Schwierigkeiten: Niemand wollte Räume an Fixerstuben vermieten. Und weil nach den Regeln des damaligen Betäubungsmittelgesetzes schon das „Verschaffen einer Gelegenheit“ unter Strafe stand, fand sich auch kein Träger, der eine Fixerstube einrichten wollte. Aber Norbert Dworsky ist niemand, der vor Problemen zurückschreckt. Er gründete den Verein Freiraum Hamburg und wurde zum Vorstandsvorsitzenden. Und mit dem Drug-Mobil legte sich der neue Trägerverein einfach einen eigenen mobilen Fixerraum zu.
Seit 20 Jahren bietet der Verein inzwischen sogenannte niedrigschwellige und akzeptierende Drogenarbeit an. Das bedeutet: „Die Leute kommen freiwillig“, so Dworsky. „Und es gibt immer wieder welche, die aufhören wollen und können. Die vermitteln wir in Therapien.“ Mit dem Drug-Mobil war der Anfang gemacht. Später konnten mit dem Abrigado und dem „Fixstern“ auch feste Fixerstuben eingerichtet werden. Die gesamte Arbeit stand rechtlich jedoch lange Zeit auf wackeligen Füßen. „Die Polizei hat gegen mich wegen der Verschaffung einer Gelegenheit zum Drogenkonsum ermittelt“, so Dworsky. Erst nach der rot-grünen Regierungsübernahme 1998 wurden Drogenkonsumräume genehmigt und die Anzeige gegen Dworsky fallen gelassen.
Einen massiven Einschnitt in die akzeptierende Drogenarbeit bedeutete allerdings ab 2001 der Schwarz-Schill-Senat in Hamburg. „Dem Fixstern im Schanzenviertel, zwei psychosozialen Einrichtungen der Palette und dem Drug-Mobil wurde damals der Geldhahn zugedreht“, erinnert sich Dworsky.
Einrichtungen wie das Abrigado haben sich trotz der Schill-Zeit etablieren können. „Bei uns ist noch nie jemand gestorben. Das schafft Vertrauen“, sagt Dworsky. Ein Erfolg der Einrichtung, wenn man bedenkt, dass in Hamburg im vergangenen Jahr 62 Menschen in Folge ihres Drogenkonsums starben. Gleich hinter dem offenen Caféraum befindet sich im Abrigado der Druck- und Rauchraum. In steriler Krankenhausatmosphäre können sich Abhängige hier einen Schuss setzen oder ihre Crackpfeife rauchen. Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen wird die Einrichtung gerne genutzt. „Wer sich hier eine Überdosis injiziert, den können wir schnell reanimieren oder einen Rettungswagen rufen. Dann wird ein Gegenmittel gespritzt“, so Dworsky. Wenn Menschen in Folge ihres Rauschgiftkonsums sterben, handele es sich in den seltensten Fällen um Selbstmorde. „In der Regel sind das keine goldenen Schüsse, wie es so gerne in der Allgemeinheit heißt, sondern Überdosierungen, die aus Versehen passieren.“
Stoffanalysen hätten ergeben, dass gerade bei Heroin durch Streckmittel der Wirkstoff der Droge extrem unterschiedlich ausfällt. „Wer 30-prozentiges Heroin gewohnt ist und dann von seinem Dealer, der ja auch nicht wirklich weiß, was er da hat, 60-prozentiges Heroin erhält, für den kann das zu Atemstillstand und Herzversagen führen“, erklärt Dworsky.
Nach 20 Jahren in der Drogenhilfe gehören solche Meldungen für Dworsky inzwischen zum Alltag. Er hat versucht zu helfen, wo es möglich war. Im kommenden Jahr ist für ihn trotzdem Schluss. Die Rente ruft. Kalt lassen ihn die Erlebnisse trotz all der Berufserfahrung noch lange nicht. „Natürlich geht es nahe, wenn ehemalige Klienten nach einer Therapie dann doch wieder im Abrigado landen. Man baut ja auch Beziehungen auf, aber du musst hier ganz kleine Brötchen backen“, so Dworsky.
Text: Jonas Füllner
Fotos: Mauricio Bustamante
Abrigado Freiraum e. V., Schwarzenbergstr. 74, Öffnungszeiten:
Mo–Fr, 13.30–19 Uhr. www.freiraum-hamburgev.de