Dumpinglöhne bei Reinigungsfirma im Radisson?

20 ehemalige Mitarbeiter der Erdmann DienstleistungsGmbH klagen vor dem Hamburger Arbeitsgericht, weil sie sich um Lohn betrogen fühlen. 

(aus Hinz&Kunzt 237/November 2012)

Mindestens 1100 Euro netto im Monat für eine 40-Stunden-Woche in einem Hamburger ­Hotel: Für Malgorzata, Joanna und Mariusz aus Posen hört sich das an wie ein Traumjob. Eine Landsfrau hat den drei jungen Polen das Angebot einer Reinigungsfirma aus Leipzig übermittelt. Es ist die Erdmann Dienstleistungs-GmbH, die vom Radisson Blu am Dammtor damit beauftragt ist, Hotelzimmer zu reinigen. Erdmann werde sich auch um eine Unterkunft für die neuen Mitarbeiter kümmern, heißt es. Für die erste Woche sollen die Polen 73,50 Euro bar für die Miete mitbringen. Später würden ihnen 300 Euro monatlich von ihrem Lohn abgezogen, schreibt die Vermittlerin in einer Mail.

Am Morgen des 12. Juni, einem Dienstag, kommen die drei Polen gemeinsam mit 29 Landsleuten am Omnibusbahnhof an. Sie fahren in das Hamburger Büro der Firma Erdmann, werden bis abends geschult und unterschreiben am Ende eines sehr langen Tages einen Vertrag, dessen Inhalt sie nicht verstehen. Sie beherrschen die deutsche Sprache nicht, sind müde und vertrauen darauf, dass ihre Landsfrau sie an einen anständigen Arbeitgeber vermittelt hat. Heute wissen sie: Das hätten sie besser nicht getan.

Ihr Einsatzort ist das Radisson Blu am Dammtor, nach ­eigenem Bekunden das höchste und größte Hotel Hamburgs. Das „Vier Sterne Superior“-Haus bietet 556 modern designte Zimmer und Suiten. Mit Glück kostet die Nacht im Doppelzimmer „nur“ 148,50 Euro, Liebhaber der Planten-un-Blomen-Suite müssen 505 Euro berappen. Das Hotel gehört zur Rezidor Hotel Group, laut Eigenwerbung „eines der am schnellsten expandierenden Hotelunternehmen weltweit“.

2,14 Euro brutto gibt es für die Reinigung eines sogenannten Bleibezimmers.

Malgorzata, Mariusz und Joanna bekommen neben dem Arbeitsvertrag auch eine „Vereinbarung über ein Einfühlungsverhältnis“ vorgelegt. Mit ihrer Unterschrift erklären sie sich dazu bereit, die ersten vier Tage kostenlos zu arbeiten. Wie ihr Lohn in der Folge berechnet wird, geht aus der Anlage ihres Arbeitsvertrags hervor. Darin heißt es, dass sie pro gereinigtem Zimmer bezahlt werden: 4,05 Euro brutto verdienen sie, wenn sie das Zimmer eines Gastes gesäubert haben, der das Hotel verlassen hat („Zimmer bei Abreise“). 2,14 Euro brutto gibt es für ein sogenanntes Bleibezimmer. Um dem Gesetz Genüge zu tun – jede Reinigungskraft in Deutschland hat Anspruch auf den Branchen-Mindestlohn von 8,82 Euro die Stunde –, hat die Firma Erdmann sich etwas Besonderes ausgedacht. In der Anlage werden auch die Zeiten festgeschrieben, die für die Reinigung vorgesehen sind: 27,5 Minuten ­für ein Abreisezimmer, 14,5 Minuten für ein Bleibezimmer. Sollte es länger dauern, schiebt die Firma den schwarzen Peter ­einfach an ihre Mitarbeiter weiter: „Sie sind verpflichtet, alle ­Arbeitszeitänderungen bzw. -abweichungen Ihrem/r direkten Vorgesetzten (Objektleitung) mitzuteilen.“

Die drei jungen Polen sagen, die Firma Erdmann habe sie angewiesen, zu zweit die Zimmer zu säubern. Trotzdem hätten sie 30 bis 40 Minuten für ein Abreisezimmer benötigt und 15 Minuten für ein Bleibezimmer. Fünf Tage die Woche arbeiten sie, oft zehn Stunden am Tag. Mindestens 700 Euro brutto hätten den dreien jeweils zugestanden, wenn ihr Lohn nach der Zahl der Stunden berechnet worden wäre, die sie im Juni gearbeitet haben. Doch als sie ihre erste Lohnabrechnung ­erhalten, bekommen sie einen Schock: 63,38 Euro werden Malgorzata ausbezahlt für zwei Wochen Arbeit. Bei Joanna sind es 3,53 Euro, und Mariusz rutscht trotz aller Schufterei sogar in die Miesen: Minus 49,99 Euro sind auf seiner Lohnabrechnung vermerkt.

Wie das sein kann? Dienstbesprechung, Reinigung der Flure, Bestücken der Wagen mit Putzmitteln, Entsorgen des Mülls und auch die Wartezeiten, wenn ein Gast sein Zimmer noch nicht geräumt hat: All das wird nicht bezahlt. Außerdem entstehen den Reinigungskräften noch Kosten: 136,50 Euro pro Person berechnet Erdmann den drei Polen für den halben Monat in einem Vierbettzimmer. Hinzu kommen noch Beiträge zur Sozialversicherung und Kosten für das Essen in der Hotelkantine. So wird aus dem Traumjob ein Albtraum.

„Wir hatten kein Geld für die Rückreise“

Rund die Hälfte der 32 Polen kehrt frustriert in die Heimat zurück. Malgorzata, Joanna und Mariusz lassen sich wie andere noch eine Weile hinhalten. „Wir hatten kein Geld für die Rückreise“, sagt Joanna. Mehrfach müssen sie die Unterkunft wechseln. Zuletzt werden sie in einem Haus in Neuenfelde einquartiert. Bis zu 250 Euro monatlich zieht ihnen die Firma Erdmann für Schlafplatz und Schrank im Mehrbettzimmer von ihrem Lohn ab. Zwischen 400 und 650 Euro bekommen sie im September für ihren Vollzeitjob ausbezahlt. Wer sich beschwert habe, dem sei gesagt worden: „Ihr bekommt so viel Geld, wie ihr Zimmer gereinigt habt.“

Im September suchen die drei Hilfe bei der Beratungsstelle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dort erfahren sie, dass es vielen so geht wie ihnen: 53 Menschen haben sich in den vergangenen vier Monaten gemeldet, weil sie sich von einer Hotelreinigungsfirma ­um Lohn betrogen fühlen. Malgorzata, Joanna und Mariusz haben Glück im Unglück: Sie finden im Oktober eine bessere Arbeit und auch eine eigene Wohnung. Den nicht bezahlten Lohn wollen sie nun vor Gericht erstreiten. Bis Redaktionsschluss sind 20 Klagen gegen die Firma Erdmann beim Hamburger Arbeitsgericht eingegangen. In allen geht es darum, dass den Betroffenen weit weniger Lohn bezahlt worden sein soll, als ihnen zusteht. Der erste Gütetermin endete im September ohne Ergebnis. Weitere Verhandlungen beginnen diesen Monat. Es geht um nicht bezahlten Lohn in Höhe von oft mehreren Tausend Euro.

Beschwerden von Mitarbeitern hat es laut Anwalt der Reinigungsfirma Erdmann nie gegeben.

Auf Nachfragen bei Erdmann meldet sich Ende September deren Rechtsanwalt und lädt Hinz&Kunzt zum Gespräch. Angesprochen auf die Vorwürfe, Erdmann habe Mitarbeitern zu wenig Lohn gezahlt, versichert er, die Reinigungsfirma zahle dem Gesetz entsprechend einen festen Stundenlohn in Höhe von 8,82 Euro. Es gebe jedoch „gewisse Zeitvorgaben“, deren Nichteinhaltung „einfach zu melden“ sei. Dass der Lohn nach der Zahl der gereinigten Zimmer berechnet wird, habe einen Grund. „Die Mitarbeiter arbeiten im Hotel praktisch selbstbestimmt“, so der Anwalt. „Sie können nicht kontrollieren: Wer macht was in seiner Arbeitszeit.“ Deshalb habe Erdmann Zeitvorgaben in die Verträge geschrieben. „Wir rechnen dann im Dreisatzverfahren zurück: Wer so und so viel Zimmer geschafft hat, hat dafür die und die Zeit aufgewandt.“ Beschwerden von Mitarbeitern habe es nie gegeben, sagt er. Im Übrigen habe Erdmann den Polen von allen Verträgen und ergänzenden Vereinbarungen „polnische Übersetzungen vorgelegt, sodass vollkommen klar war, was dort drinsteht“. Alle Reinigungskräfte, mit denen die Beratungsstelle Arbeitnehmerfreizügigkeit Kontakt hatte, bestreiten, den Vertrag in Polnisch vorgelegt bekommen zu haben.

Oliver Staas, General Manager des Radisson Blu, verweist auf Nachfrage am 8. Oktober auf einen Verhaltenskodex für Lieferanten, „der auch klar aussagt, dass der Mindestlohn einzuhalten ist“. Dennoch erklärt er, er könne „ohne Einverständnis der Firma Erdmann keinem Interview zustimmen“. Er habe sich aber persönlich mit Mitarbeitern der Firma unterhalten. „Diese haben sich nur positiv geäußert und gesagt, dass sie sehr zufrieden bei der Firma Erdmann sind.“

Kurz darauf erfahren wir, dass die Staatsanwaltschaft Leipzig seit Juli 2011 gegen die Erdmann Dienstleistungs-GmbH ermittelt. Der Verdacht: Die Verantwortlichen sollen Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen und Mitarbeitern den gesetzlichen Mindestlohn nicht bezahlt haben. Wir informieren das Radisson Blu. Generaldirektor Staas bedankt sich für „die wertvollen Informationen“. Das Hotel habe seinen Rechtsanwalt „informiert, um die Sach- sowie Beweislage zu prüfen und für uns im Auge zu behalten“. Fortsetzung folgt.

Text: Ulrich Jonas
Foto: Mauricio Bustamante

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