Die Stadt Hamburg hat im vergangenen Jahr 69 osteuropäische Obdachlose aufgefordert, in ihre Heimat zurückzukehren. Der Kreis Ostholstein geht noch weiter. Die Polizei nahm vier rumänischen Bettlern die Ausweise ab, um sie unter Druck zu setzen.
Vier Obdachlose aus Rumänien schlugen Ende September in der Fußgängerpassage von Bad Schwartau ein Lager auf. Tagsüber versuchten sie, bettelnd ein paar Euro zu schnorren. Das sorgte in der beschaulichen Mittelstadt für Wirbel. Die Polizei informierte umgehend die Ausländerbehörde Ostholstein über „aggressives Betteln“. Die wiederum wies die Polizei an, den Bettlern ihre Ausweisdokumente abzunehmen. So wollte man deren Erscheinen zu einer Überprüfung ihrer Arbeitnehmerfreizügigkeit „gewährleisten“, erklärt eine Sprecherin des Kreises Ostholstein gegenüber Hinz&Kunzt.
Am 5. Oktober schritt die Polizei schließlich zur Tat. Wenige Stunden später traf Hinz&Kunzt-Sozialarbeiterin Isabel Kohler auf die vier verunsicherten Bettler. In der Spitaler Straße in Hamburg. Dorthin hatten die Männer nach dem Polizeieinsatz Reißaus genommen, nun bettelten sie hier um Geld.
Dabei ist die Gegend rund um den Hamburger Hauptbahnhof gerade alles andere als ein ruhiger Zufluchtsort für Obdachlose. Seit dem Frühjahr kontrolliert die Polizei hier verstärkt Menschen, die auf der Straße schlafen. Auch Bettler:innen wird das Leben erschwert, berichten Straßensozialarbeiter:innen. Laut Senat ist es Aufgabe der Polizei, „die negativen Auswirkungen der Obdachlosigkeit für alle Beteiligten im Rahmen der polizeilichen Zuständigkeit so gering wie möglich zu halten“. Daten zu Platzverweisen werden nicht erhoben. Eine Bilanz des Amts für Migration aus dem Jahr 2022 zeigt, dass 69 osteuropäische Obdachlose aufgefordert wurden, in die Heimat zurückzukehren. In der Regel hatten sie nach vielen Monaten in Hamburg keine Arbeit gefunden, zudem keine finanziellen Mittel mehr und damit ihr Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit verwirkt. Wie viele von ihnen als Bettler:innen auf Hamburgs Straßen lebten, ist nicht bekannt. Fest steht nur: Sie sollten selbstständig ausreisen. Sieben Obdachlose, die dieser Aufforderung nicht nachkamen, wurden in ihre Heimat abgeschoben.
Für sie gilt in der Regel eine Wiedereinreisesperre, erklärt Ronny Koch, Anwalt für Sozialrecht. Alle anderen, denen lediglich die Freizügigkeit entzogen wurde, könnten jederzeit wieder einreisen, nachdem sie einmal in die Heimat zurückgekehrt seien und sich dies an der Grenze hätten bestätigen lassen. Für sie gelte dann wieder für drei Monate eine Arbeitnehmerfreizügigkeit, die an keine Bedingungen geknüpft ist. Koch stellt klar: Jemanden zu überführen, dass sie oder er sich unrechtmäßig zu lange in Deutschland aufhält, sei mit einer einzigen Kontrolle nicht möglich. Schließlich bedeute die Freizügigkeit eben auch, dass im europäischen Ausland keine Meldepflicht nach der Einreise besteht. Die Behörden müssten vielmehr einen langen Rechtsweg bestreiten.
Das würde man in der Ausländerbehörde im Kreis Ostholstein offenbar gerne ändern. Die Bettler hätten gar nicht in die Bundesrepublik einreisen dürfen, behauptet das Amt gegenüber Hinz&Kunzt. „Das ist falsch“, widerspricht Sozialrechtsexperte Koch. Die Vorwürfe des Amts, dass die Männer weder „einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz noch ausreichende Existenzmittel“ besäßen, hätte das Amt in einem Verfahren belegen müssen. Erst danach könne, wenn überhaupt, den Männern die Freizügigkeit entzogen werden. Auch dass die Ausweispapiere sichergestellt wurden, irritiert den Anwalt. Ein Vorgehen, dass in Hamburg keinesfalls angewendet wird, wie Polizei und das Amt für Migration versichern. Lediglich in Ausnahmefällen würden Kopien der Ausweispapiere angefertigt.
Was aus den vier rumänischen Bettlern wurde, ist ungewiss. Klar ist: Eine Woche nach ihrem Aufenthalt in Hamburg fuhren sie nach Eutin, um dort pünktlich – wie von der Polizei vorgeschrieben – bei der Ausländerbehörde Ostholstein vorstellig zu werden. Weil nach den Angaben einer Sprecherin die „Pässe noch nicht angekommen waren“, konnte aber eine Überprüfung nicht stattfinden. Seitdem fehlt von den vier Männern jede Spur.