Dominik Bloh :
„Ich muss keine Angst mehr haben“

Der ehemals Obdachlose Dominik Bloh wurde von Bremen Zwei-Moderatorin Kristin Hunfeld interviewt. Für das Gespräch gab es den Deutschen Radiopreis 2018. Foto: Andreas Hornoff.

Elf Jahre lang lebte Dominik Bloh in Hamburg auf der Straße. Sein Buch über diese Zeit,„Palmen aus Stahl“, wurde zum  Bestseller. Wir haben den 29-Jährigen getroffen.

Hinz&Kunzt Randnotizen

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Es war der denkwürdige Sommer 2015: Hunderte von Flüchtlingen kamen täglich in der Stadt an, und Hunderte von Hamburgern engagierten sich, um sie willkommen zu heißen und ihnen zu helfen. 1000 Menschen aus Syrien, Irak und Afghanistan schliefen auf Pritschen in den Messehallen, wo auch Deutschlands größte Kleiderkammer entstand.

Bei einer Reportage über die ehrenamtlichen Helfer lernten wir Dominik kennen. Der 29-Jährige war oft morgens einer der Ersten und abends einer der Letzten, der half. Vielleicht kein Wunder. Er war obdachlos und schlief oft auch auf einer Pritsche in der Halle.

Aus der Kleiderkammer in den Messehallen ist inzwischen das Projekt Hanseatic Help geworden. Dass neben Geflüchteten auch Obdachlose versorgt werden, ist heute wie damals selbstverständlich. Für Dominik, der sich weiter in dem Projekt engagiert, war das eine Herzensangelegenheit.

Sein eigenes Leben hat sich komplett geändert. Seit anderthalb Jahren hat er eine Wohnung – und Arbeit. Und vor allem: Er hat ein Buch über sein Leben auf der Straße geschrieben: „Unter Palmen aus Stahl“. Ein Leben, das er trotz aller Veränderungen noch immer in sich trägt.

Als wir uns vor zwei Jahren kennenlernten, warst du obdachlos, jetzt hast du eine Wohnung. Wie geht’s dir da?

DOMINIK BLOH: Die Straße bleibt im Kopf. Das ist auch das, was sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Und komm zu mir nach Hause: Der Kühlschrank ist nicht angeschlossen. Ich habe vorgestern zwei Gläser geschenkt bekommen, das heißt: Ich habe jetzt zwei Gläser, zwei Becher und drei Messer, einen tiefen und einen flachen Teller. Diese vermeintlich selbstverständlichen Sachen, die andere nebenbei bewältigen, die strengen mich wahnsinnig an.

Benefiz-Lesung

Domink Bloh liest aus „Unter Palmen aus Stahl“ für Hinz&Kunzt. Do, 31.05., 19.30 Uhr, Nochtspeicher, Bernhard-Nocht-Straße 69a, 10/8 Euro, nur Abendkasse!

Fühlst du dich nicht viel sicherer?

Doch, schon. Aber es fällt mir immer noch schwer zu realisieren, dass ich nicht mehr obdachlos bin. Heute Morgen klingelt es an der Tür, und ich ziehe mir erst mal die Decke über den Kopf und stelle mich tot. Und dann mache ich die Tür doch noch auf, und es ist mein Nachbar, der mir Schokolade vorbeigebracht hat. Das ist, was ich erlebe: Ich muss keine Angst mehr haben.

Keine Angst mehr zu haben, ist das eine. Aber bestimmt ist es ja auch ein ganz anderes Körpergefühl.

Der erste Unterschied ist: in Boxershorts schlafen. Auf der Straße kannst du ja nie die Klamotten ausziehen. Das kann man sich vielleicht nicht vorstellen: Du hast manchmal fünf Tage am Stück deine Klamotten an. Das Thema Hygiene ist eines der Schlüsselprobleme. Wenn du sauber bist, kannst du dich anderswo ganz anders aufhalten und verhalten. Deshalb will ich ja einen Duschbus für Obdachlose (wie etwa in San Francisco, d. Red.) initiieren. Hygiene und das äußere Erscheinungsbild sind die ersten Unterscheidungsmerkmale. Dein Selbstbewusstsein geht verloren und dein Selbstwertgefühl hält dich unten. Es gibt nichts Schlimmeres, als sich nicht wohl in seiner Haut zu fühlen.

Ein Platz zum Essen und zum Aufwärmen: der Burger King auf der Reeperbahn. Foto: Andreas Hornoff.

Du redest mehr über Hygiene als über Kälte und Hunger – und unter beidem hast du ja auch gelitten.

Diese mangelnde Hygiene tut am meisten weh. Die Kälte – es sieht keiner, wenn du frierst. Und Hunger sieht auch keiner, vielleicht, wenn du irgendwann total abgemagert bist. Das sind Sachen, da kämpfst du mit dir. Aber wenn du dreckig bist, sehen es alle drum herum, und dann kämpfst du nicht mehr mit dir allein, sondern bist immer deiner Außenwelt ausgesetzt. Und da kannst du richtig dran eingehen.

Erstes Gehalt auf dem Konto

Und wie ist es mit dem Schlafen selbst?

Ich habe immer noch keinen richtigen Schlafrhythmus. Gemütlich kann ich es mir machen, aber wenn ich kurz vor dem Einschlafen bin, merke ich plötzlich, dass ich die Kapuze aufhabe. Die Kapuze war auf der Straße so wichtig: Das sind drei Wände mit einem Fenster nach draußen. Dann liegst du so da und guckst aus deinem Fenster. Aber obwohl ich jetzt meine eigenen vier Wände habe, ist die Kapuze nach wie vor mein Dach über dem Kopf.

Du hast nicht nur eine Wohnung, du hast sogar Arbeit.

Das stimmt. Ich habe bei Grone (Schule für Qualifikation und Integration; Anm. der Red.) angefangen. Ausgerechnet da! Ich saß dort früher selbst in Jobcenter-Maßnahmen. Das lief nie gut, und ich wurde rausgeschmissen, sanktioniert und landete wieder auf der Straße. Letztes Jahr habe ich mein erstes echtes Gehalt auf mein Konto überwiesen bekommen. Und ich guck auf den Kontoauszug und da steht dann Grone.  Den Kontoauszug habe ich immer noch.

„Auf der Reeperbahn in St. Pauli bin ich schon mein halbes Leben unterwegs“, sagt Dominik Bloh. Foto: Andreas Hornoff.

Ist es komisch, ausgerechnet da zu arbeiten, wo du mal rausgeflogen bist?

Das ist schon komisch. Alles sieht gleich aus wie vor zwölf Jahren, der Flur hat den gleichen Geruch, aber jetzt bin ich im Lehrerzimmer und kopiere Unterrichtsmaterial. Ich habe schon oft gedacht: Wow!

Was genau machst du denn?

Ich kann mit jungen Menschen arbeiten, ihnen was mit auf den Weg geben. Viele finden neuen Mut, wenn sie sehen, dass einer, der früher mal auf ihrem Platz gesessen hat, was aus sich macht.

Die Teilnehmer haben alle Schwierigkeiten im Leben …

Das sind Jugendliche, wie ich einer war. Viele sind im betreuten Wohnen, manche sind Geflüchtete. Ich erzähle ihnen auch von mir. Ich finde das wichtig. Ich saß oft in Maßnahmen und hatte meistens keinen Bezug zu den Menschen da vorne, und deswegen war mir das so fremd. Und diese Schule ist einem schon unangenehm: Du bist da, weil es der letzte Halt vor dem Nichts ist. Es ist das letzte Netz.

Angekommen im Traumberuf

Würdest du gerne in dem Bereich bleiben?

Es ist mein Traumberuf. Da kommen Jugendliche und sagen: „Ich hab Sie kennengelernt, und seit zwei Wochen lerne ich jeden Tag, um die Maßnahme gut abzuschließen.“ Das, was ich mache, mache ich offensichtlich gut, und das überrascht mich. Und ich stehe jeden Morgen um 6.50 Uhr auf dem Bahnsteig und freu mich drauf. Und das hätte ich auch nicht gedacht, dass ich so konstant sein kann.

Ich habe immer noch keinen richtigen Schlafrhythmus– Dominik Bloh

Du hast ja noch zwei Jobs: den im Verlag bei Ankerherz mit deinem Blog „Ankerschmerz“ und einen auf der Baustelle.

Ich habe drei Jobs, um mein Leben zu unterhalten – und ich hatte davor gar keinen. Und dann bin ich noch hier im Verein ehrenamtlich tätig. Hier sind nur gute Menschen um mich herum. Bei René, einem der Gründer von Hanseatic Help, arbeite ich auf der Baustelle. Damit bezahle ich meine Krankenversicherung. Mit dem, was ich für den Verlag mache, bezahle ich die Miete, und von dem Honorar von der Schule zahl ich meinen Lebensunterhalt.

In den vergangenen Jahren ist ganz schön viel in deinem Leben passiert. Du warst Couchsurfer, hast draußen Platte gemacht, dann in den Messehallen übernachtet und in einer WG. Sogar in einem Bett mit einem Geflüchteten hast du geschlafen.

Mein Bruder …

Gibt es ihn noch in deinem Leben?

Natürlich. Damals vor zwei Jahren saßen wir oben im Park über der Elbe und wussten nicht wohin. Dann sind wir zusammen in einer WG untergekommen – und vor Kurzem standen wir zusammen auf der Bühne vom Grünspan, er machte Musik und ich las aus meinem Buch. Das war ein schöner Moment. Aber wir haben uns auch schon damals vor zwei Jahren gesagt: Alles wird gut!

Irgendwie wirkst viel du zufriedener und ruhiger als vor zwei Jahren …

Früher wollte ich alles für mich. Ich wollte immer so ein Leben haben: Geld, Frauen und Party. Heute will ich nichts mehr für mich. Ich geh raus, guck Blumen an, die Natur, fass Baumrinde an. Das ist, was mich heute packt: das Leben.

Wenn Dominik mal Geld hatte, übernachtete er im kleinen Seemannshotel am Hans-Albers-Platz. Foto: Andreas Hornoff.

Wie soll es weitergehen? Was wünschst du dir?

Dass mich meine Vergangenheit nicht immer wieder einholt. Auf der Baustelle nehm ich Zementsäcke und trage die von einer Palette hinten auf die nächste Palette vorne. Schwere Säcke. So fühlt sich das auch im Leben an: Ich nehme immer den riesigen Zementsack von hinten und schleppe ihn nach vorne: Auf meinem Schreibtisch liegt eine Anklageschrift, auf dem Schreibtisch liegt ein Brief vom Gerichtsvollzieher. Es kommen gelbe Brief, lila Briefe, die Krankenversicherung will Geld, die GEZ … Das muss ich alles abarbeiten.

Ich bin froh, dass es mich nicht umhaut, dass ich etwas unternehme. Der Kampf ist immer noch da: Vergangenheit gegen Gegenwart. Aber ich spüre: Türen gehen für mich auf. Ich möchte, dass auch Türen für andere aufgehen.

Artikel aus der Ausgabe:

Stichwunden

Dieses Mal auf dem Titel: Dennis Zamaran, ein ehemaliges Bandenmitglied aus den USA. Fotograf Steven Burton hat dessen Tattoos am Computer entfernt. Das Ergebnis sehen Sie in der aktuellen Ausgabe.

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Autor:in
Birgit Müller
Birgit Müller
Birgit Müller hat 1993 Hinz&Kunzt mitgegründet. Seit 1995 ist sie Chefredakteurin.

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