Zum 20. Mal startet die Hamburger Dokumentarfilmwoche – diesmal mit Fokus auf Geschichte und Gegenwart einer verfolgten Minderheit. Antje Strohkark und Rasmus Gerlach aus dem Festivalkollektiv erzählen im Interview, welche Hoffnung sie damit verbinden.
Hinz&Kunzt: Die Dokumentarfilmwoche nimmt in diesem Jahr die Minderheit der Sinti:zze und Rom:nja in den Blick. Wie kam es dazu?
Antje Strohkark: Zum 20-jährigen Jubiläum wollten wir uns besonderen Wegbegleiter:innen der Dokumentarfilmwoche zuwenden. Einer von ihnen ist Peter Nestler, dem wir bereits eine Retrospektive gewidmet haben. Er ist ein renommierter Regisseur, dessen Filme im WDR ab 1966 nicht mehr gezeigt wurden, weil er als zu links galt. Er lebt und arbeitet seither in Schweden. Im vergangenen Jahr kam sein neuer Film heraus, „Unrecht und Widerstand“. Ein beeindruckender Film über den Kampf von Sinti:zze und Rom:nja um die öffentliche Anerkennung des Unrechts, das ihnen widerfahren ist – im Naziregime, aber auch später, bis in die 1980er-Jahre hinein.
Rasmus Gerlach: Es erschien uns von Anfang an wichtig, bestimmte gesellschaftliche Zusammenhänge, Notstände und Schieflagen genauer unter die Lupe zu nehmen. Das war schon bei der ersten Dokumentarfilmwoche vor 20 Jahren die Idee.
Strohkark: Rassismus, Verfolgung, Migration, Obdachlosigkeit – das sind alles Themen, die bei uns immer wieder stattfinden. Insofern ist es nicht zufällig, dass wir uns mit Sinti:zze und Rom:nja beschäftigen. Dabei interessiert uns auch die Form: Wie geht der Film das Thema an?
Was macht die Filme von Peter Nestler denn so besonders?
Gerlach: Die Glaubhaftigkeit der Darstellung. Ich gebe mich gerne in die Hände dieses Filmemachers, weil ich das Vertrauen habe, dass er nichts verbiegt.
Neben zwei Filmen von Nestler zeigen Sie eine kurze Dokumentation von Rainer Komers, der auch Nestlers Kameramann war. Sie erzählt von der Räumung eines Wagenplatzes vor 50 Jahren in Nordrhein-Westfalen. Der Titel irritiert, er enthält das diskriminierende Z-Wort.
Gerlach: Den würde man natürlich heute nicht mehr so nennen, sondern eher: „Sinti in Duisburg“. Aber wir haben uns als Kollektiv nach langer Diskussion darauf geeinigt, dass wir Filme nicht umbenennen, so wie man das mit Straßen machen würde. Der Film ist ein berührendes Dokument über die Minderheit und die Ausnahmezustände, in denen sie lebt. Mir persönlich ist dieser emotionale Aspekt besonders wichtig, weil ich aus meiner Kindheit solche Situationen und Plätze auch kenne und im Zivildienst mit Sinti:zze gearbeitet habe.
Sie haben also auch persönliche Verbindungen?
Gerlach: Ich bin schon länger mit Familie Weiß verbandelt, die in Wilhelmsburg am Georgswerder Bogen lebt. Die sind damals bei der Sturmflut 1962 fast abgesoffen und wurden eigentlich nur dadurch gerettet, dass ihre Wohnwagen wie kleine Schiffchen auf der Elbe trieben. Ich habe viel mit ihnen zu tun und halte diese Familie für absolut bemerkenswert. Die Tochter Melody Weiß ist eine hervorragende Jazzsängerin.
Strohkark: Ich habe auch schon extreme Vorurteile gegenüber der Minderheit beobachtet, das ist allerdings schon 2015 gewesen, in einer Kleiderkammer für Geflüchtete in Lokstedt. Da waren Sinti:zze und Rom:nja nicht so gern gesehen, da ihnen unterstellt wurde, die Kleider woanders zu verkaufen. Es gibt doch noch sehr viele Stereotype, die weit verbreitet sind.
Können Filme dabei helfen, solche Stereotype zu durchbrechen?
Gerlach: Wenn man glaubt, man könne mit drei Veranstaltungen über Sinti und Roma sofort alle Vorurteile besiegen, dann freut man sich zu früh. Man muss den Menschen die Freiheit lassen, dass sie sich trauen, sich zu äußern und auch das zu sagen, was sie denken, und vorsichtig Brücken bauen.
Strohkark: Ich glaube auch, dass Filme allein Stereotype nicht aus der Welt schaffen werden, aber sie können mit dazu beitragen. In erster Linie transportieren die Filme, vor allem „Unrecht und Widerstand“, Informationen, die die meisten von uns überraschen dürften – egal, mit welchen Einstellungen wir uns dem Thema nähern.