Seit 30 Jahren macht Dieter Platte. Aber jetzt kann er nicht mehr: Wegen einer Herzerkrankung braucht er dringend einen Platz im Winternotprogramm. Dieter ist einer der Obdachlosen, die wir durch den Winter begleiten.
Dieter wollen wir durch den Winter begleiten, weil er einer ist, der immer sagt: „Ich will keine Wohnung.“ Seit 30 Jahren macht der 64-Jährige Platte – „mit Unterbrechungen“. Denn drinnen „fällt mir die Decke auf den Kopf“. Draußen dagegen, „da fühle ich mich einfach“ – er sucht nach dem richtigen Wort – „frei, unabhängig.“ Das ist auch der Grund, warum er keine Sozialhilfe beziehen will.
Seinen Schlafplatz hat er mitten in der City, hinter Karstadt. Nichts mit Zelt, nichts mit großem Gepäck. Nur zwei Taschen und ein kleiner Koffer. Der steht schon gepackt bei unserem Sozialarbeiter. Dieter gehört nämlich zu den Obdachlosen, die demnächst den Papst besuchen dürfen. Aber das ist eine andere Geschichte. Zum Schlafen draußen hat er nur eine Decke und einen Schlafsack.
Ich habe Angst, auf meine Platte zu gehen– Dieter
Leben tut er vom Zeitungsverkauf. Und dann das. Anfang Oktober wirkt er ganz anders. Sitzt viel bei uns im Vertrieb. „Ich friere immer so“, sagt er. Das ist ungewöhnlich für ihn.
Aber das Wetter ist tatsächlich umgeschlagen. Neulich war es noch untypisch heiß, jetzt sind die Temperaturen gefallen, der Wind fegt um die Ecken, es ist feucht.
So geht das die ganze Woche. Ende der Woche wirkt er richtig schwach. Am Freitagabend sagt er plötzlich: „Ich kann nicht mehr, ich habe Angst, auf meine Platte zu gehen.“ Er zögert: „Ich hab das Gefühl, dass mir was zustößt.“
Kalter Asphalt
Da merke ich erst, dass er ganz schön schwer atmet. Jürgen, mein Kollege aus dem Vertrieb, der in seinem früheren Leben einmal Krankenpfleger war, ist alarmiert: „Sein Bein wird dick, seine Augen sind auch so eingetrübt. Für mich sieht das so aus, als hätte er was mit dem Herz.“
Wir rufen den Rettungswagen. Beratschlagen, was wir tun, wenn er nachts wieder auf die Straße gesetzt wird. Ein Hinz&Künztler, der inzwischen wieder eine Wohnung hat, bietet sich an, ihn dann aufzunehmen. Wir sind alle erleichtert.
Diagnose: Herzinsuffizienz
Dieter bleibt dann aber doch ein paar Tage im Krankenhaus. Diagnose: Herzinsuffizienz. Ausgeschlossen, dass er in diesem Zustand wieder auf die Straße geht. Sagt er selbst. Sozialarbeiterin Isabel hat schon Kontakt mit der Krankenstube aufgenommen.
Wir haben Glück: Eines der 14 Betten ist noch frei. Dieter ist erleichtert. „Aber ich weiß ja, dass ich da nicht ewig bleiben kann.“ Und dann? Ganz so hart ist Dieter zum Glück doch nicht: Am liebsten würde er den Winter sowieso drinnen verbringen. Letztes Jahr schon hat er in einem Container an der Holstenstraße überwintert. „Da würde ich gern wieder hin.“ Die Container sind sehr beliebt. Unterbringung de luxe im Vergleich zu den Groß-Unterkünften im Winternotprogramm: dezentral und höchstens mit zwei Personen belegt.
„Ist dir im Container nicht die Decke auf den Kopf gefallen?“, frage ich. „Im Container?“, fragt Dieter erstaunt. „Nee, gar nicht! Da konnte ich die Tür zumachen und immer wieder gehen.“ –„In so einem Container wärst du also geblieben?“ Dieter zögert: „Ich weiß nicht, aber ich glaube schon …“ Aber die Frage stellte sich damals gar nicht: Mit Ende des Winternotprogramms musste er wieder auf die Straße.
Aber ob Holstenstraße oder anderswo: „Zurück auf die Straße kann ich jedenfalls nicht.“ Er klopft auf sein Herz. „Lebensmüde bin ich nicht.“