Straßensozialarbeiter Julien Peters im Interview über angebliche Bettelbanden und andere Vorurteile. Und darüber, welche Angebote es in Hamburg bräuchte.
Hinz&Kunzt: Es gibt viele Vorurteile, vor allem gegenüber Menschen aus Südosteuropa, die in Hamburg betteln.
Julien Peters: Manche denken, diese Menschen würden organisiert betteln oder wären sogar Kriminelle. Das stimmt nicht. Vielmehr sind das Verwandte, Freunde, Bekannte, die sich gegenseitig unterstützen. Wir wissen zum Beispiel, dass das Geld, das diese Menschen hier erbetteln, oft nicht nur dem eigenen Überleben dient, sondern auch Kindern in der Heimat Schulbildung ermöglicht.
Was braucht es an Angeboten für diese Menschen?
Auf jeden Fall Unterkünfte, in die sie sich zurückziehen können, Schlafplätze und die Möglichkeit zu kochen. Was wir an diesen Menschen sehen können: Wer keine Möglichkeit hat, persönliche Dinge irgendwo zu lagern, bleibt mit seinem Gepäck alleingelassen auf der Straße. Das fällt auf. Und wird einem dann zugeschrieben als Lebensweise, die angeblich nicht „sozialverträglich“ ist. Und im schlechtesten Fall wird dann die Platte geräumt.
Gibt es mehr Obdachlose, mehr Verelendung auf Hamburgs Straßen?
Zunehmende Verelendung kann man auf jeden Fall feststellen. Viele der Menschen sind stark pflegebedürftig. Das war abzusehen und davor haben Wohlfahrtsverbände auch gewarnt: Wenn beispielsweise EU-Bürger:innen aus rechtlichen Gründen nicht dauerhaft untergebracht werden können, macht sich das bei ihnen irgendwann körperlich bemerkbar. Im Übrigen finde ich es perfide, unter Obdachlosen noch mal sogenannte besonders vulnerable Menschen herauszusuchen. Obdachlose an sich sind eine besonders vulnerable Gruppe.
Wie könnte bessere Hilfe aussehen?
Wir müssen die Menschen dauerhaft stabilisieren. Dafür brauchen wir eine bedingungslose Unterbringung: in kleinen Einheiten, niedrigschwellig, barrierefrei, mit Pflegepersonal und Sozialarbeiter:innen. Es geht konkret etwa um die Sorge eines inkontinenten Rollstuhlfahrers: Ist in der Unterkunft jemand, der mich unterstützen kann, wenn ich aufs WC muss?
Sieht die Sozialbehörde das Problem?
Ich denke ja. Es gibt schon lange das Versprechen, dass es eine eigene Unterkunft für pflegebedürftige Obdachlose geben soll. Das bisherige Angebot ist nur für Menschen mit Leistungsanspruch gedacht und entspricht auch nicht den Bedürfnissen – weil es kein Pflegepersonal vor Ort gibt. Und in der Notunterkunft Friesenstraße gibt es zwar Pflegekräfte, aber nicht genug: Ein- oder zweimal am Tag Draufschauen reicht nicht aus bei Menschen, die stark pflegebedürftig sind.
Wie bewerten Sie das Modellprojekt, das Bezirksamtsleiter Ralf Neubauer nun angekündigt hat?
Wenn es dabei auch um die Unterbringung in Einzelzimmern geht, finde ich das gut. So etwas hat die Stadt ja schon mal in der Eiffestraße angeboten: mit Tagesaufenthalt im eigenen Zimmer, Pflege und Sozialarbeit vor Ort. Das hat die Menschen wahnsinnig stabilisiert – vor allem solche, denen es vorher gesundheitlich sehr schlecht ging oder die psychisch sehr auffällig waren. Ich kenne mindestens fünf Obdachlose, die dort unterkamen und heute in eigenem Wohnraum leben.
Und die zusätzliche Tagesaufenthaltsstätte, die es statt der Markthalle geben soll?
Sinnvoll, doch an den Ursachen ändert sie nichts. So etwas dient eher dazu, Unmut zu beschwichtigen angesichts von Problemen, die die Stadt mit ihrem Winternotprogramm selbst schafft. Der Shuttlebus, der Obdachlose morgens aus den Notunterkünften in die Stadt fährt, endet am Hauptbahnhof. Das bedeutet: Da werden Tag für Tag um 10 oder 11 Uhr Hunderte Menschen rausgelassen. Und dann kommt bald der nächste Krisengipfel, weil es angeblich zu viele Obdachlose in der Innenstadt gibt … Ich halte kleine, dezentrale Unterkünfte und Tagesaufenthalte für sinnvoller. Die Behörde sagt immer, das sei teurer. Ich glaube das aber nicht – weil die Hilfe dort mitweniger Personaleinsatz viel nachhaltiger sein kann als in großen Unterkünften.