Die verteilte Stadt

Armut führt zur Zersiedelung – Zwei Hamburger Geografen über ihr Forschungsprojekt in Südafrika und Parallelen zu Hamburg

(aus Hinz&Kunzt 137/Juli 2004)

Jürgen Oßenbrügge (50) ist Professor für Wirtschaftsgeografie an der Uni Hamburg. Gerade hat er ein Forschungsprojekt über soziale Transformationsprozesse in Südafrika abgeschlossen. Christoph Haferburg (36) war daran als Diplom-Geograf federführend beteiligt. Ein Schwerpunkt war die Frage, wie sich Armut und Reichtum in spezifischen Formen der Stadtentwicklung bemerkbar machen.


H&K:
Was haben Sie in Südafrika untersucht?

Prof. Jürgen Oßenbrügge: Seit dem Ende der Apartheid vor zehn Jahren gibt es dort einen Wandel: weg von der durch den Rassismus geteilten Stadt zur integrierten Stadt. Wir wollten wissen, ob die Politik tatsächlich für mehr Integration gesorgt hat. Dafür haben wir uns in Kapstadt ein Gebiet herausgesucht, in dem es mehrere Siedlungstypen gibt: die so genannten informellen Siedlungen, also provisorische Behausungen, wie man sie aus Slums kennt; Townships, die während der Apartheid für Schwarze und Farbige gebaut wurden; und weiße Siedlungen. Dabei haben wir mit Wissenschaftlern vor Ort zusammengearbeitet.

H&K: Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Haferburg: Wenn man innerhalb Kapstadts umziehen möchte, ist es heute nicht mehr so wichtig, zu welcher Bevölkerungsgruppe man gehört, sondern wie viel Geld man hat. Tendenziell gibt es statt schwarzer, farbiger und weißer Wohngebiete jetzt arme, mittlere und reiche. Praktisch kein Weißer ist in ein ehemals schwarzes oder farbiges Wohngebiet gezogen, aber sehr wohl sind ein paar Schwarze oder Farbige in Gebiete gegangen, die ehemals Weißen vorbehalten waren. Sie waren dann aber finanziell auf genau dem gleichen Level wie die Leute, die vorher schon dort gewohnt haben.

H&K: Wie ist die Situation denn innerhalb der Townships, sind dort alle gleich arm?

Haferburg:Der Begriff Township kommt noch aus der Apartheid, wo es Politik war, dass Schwarze und Farbige nur in bestimmten Gebieten wohnen durften. Allerdings durften sie dort nichts besitzen. Seit die Apartheid aufgehoben ist, dürfen die Township-Bewohner auch Eigentümer der Häuser und Grundstücke werden. Das haben viele gemacht, und wer es sich leisten konnte, hat nach und nach Geld in Ausbau und Verschönerung gesteckt. Deshalb findet man heute nicht mehr nur einfache Steinhäuser, sondern auch Mittelschichts-Häuser und sogar richtige Villen in den Townships.


H&K:
Warum ziehen die, die sich schöne Häuser leisten können, dort nicht weg?

Oßenbrügge: Zum einen haben die Leute dort ihre sozialen Beziehungen…

Haferburg: …und zum anderen sind Grundstücke in Kapstadt inzwischen bei internationalen Investoren begehrt und entsprechend teuer. Außer eben in den Townships, die oft in unattraktiven Gegenden liegen und eine schlechte Infrastruktur haben. Selbst ein teures Haus in den Townships ist immer noch billiger als das gleiche Haus in der City oder in den weißen Vororten.

H&K: Heißt das also, die Trennung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen wird jetzt durch ökonomische Ungleichheit weiter verfestigt?

Oßenbrügge: Die ökonomische Ungleichheit ist nur ein Teil des Problems. Hinzu kommen die Zuwanderer aus ländlichen Regionen oder anderen afrikanischen Ländern, die überhaupt kein Dach über dem Kopf haben, sondern in so genannten „informellen Siedlungen“ oder auf dem Hinterhof eines Township-Hauses in provisorischen Hütten und Baracken wohnen. In Südafrika fehlen rund eine Million Wohnungen! Und von diesem Problem sind fast ausschließlich Schwarze betroffen.

H&K: Wie kann man das in den Griff bekommen?

Oßenbrügge: Das Recht auf eine Wohnung ist in Südafrika in der Verfassung festgelegt. Also ist die Wohnungsversorgung ein hoch angesetztes Politikziel – und der regierende ANC war da auch sehr aktiv. Kritisch anzumerken ist, dass man sehr stark auf Individualisierung setzt. Also auf kleine Wohneinheiten, Einzelhäuschen, die mit Eigenanteilen der Bewohner finanziert werden sollen. Das setzt aber voraus, dass die Leute bezahlte Arbeit haben. Doch die fehlt. Vielen bleibt nur das Leben in einer informellen Siedlung oder in einer Hütte auf dem Grundstück wohlhabender Verwandter.

Aus unserer Sicht müsste man mit staatlichen Geldern oder in Genossenschaftsform große Siedlungen mit preiswerten Wohnungen errichten. Das wird aber überhaupt nicht forciert, weil man glaubt, dass die Leute diese Wohnform nicht akzeptieren. Die wenigen Großsiedlungen, die man aus Apartheid-Zeiten kennt, haben einen sehr schlechten Ruf als Hochburgen der Kriminalität.

H&K: Was sind die Folgen dieser Ein-Häuschen-Politik?

Oßenbrügge: Eine Zersiedelung der Landschaft und unglaubliche Mobilitätsprobleme. Etliche Menschen sind heute schon zwei oder drei Stunden unterwegs, um zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen. Für S- oder U-Bahnen fehlt dem Staat das Geld, also kann er nur Straßen bauen, aber welche Probleme mit dem Individual-Verkehr verbunden sind, wissen wir ja.


H&K:
Sehen die südafrikanischen Politiker diese Risiken nicht?

Haferburg: Doch, nach den Wahlen im April hat die neue Ministerin für Wohnungsbau angekündigt, dass sie nicht länger nur Neubauprojekte am Stadtrand fördern will, sondern auch die bestehenden informellen Siedlungen aufwerten möchte. Die liegen nämlich oft an Verkehrsachsen oder in der Nähe von potenziellen Arbeitsplätzen.

Oßenbrügge:Außerdem versucht man, in den neuen Gebieten am Stadtrand und in den alten Townships Unternehmen anzusiedeln, aber das ist schwierig. Ausländische Investoren, so unsere Beobachtung, favorisieren die City, und inländische erschließen lieber ganz neue Gebiete, die aber nicht unbedingt in der Nähe schwarzer Wohngebiete liegen. Arbeitsplätze entstehen immer noch entlang der traditionellen „Gunsträume“. Das hemmt eine integrierte Stadtentwicklung.

H&K: Was würden Sie der südafrikanischen Politik empfehlen?

Oßenbrügge:Wir sind ja keine Berater, sondern haben Grundlagenforschung betrieben. Trotzdem, aus meiner Sicht ist es ganz wichtig, dass der Staat sich nicht aus der Wohnungsversorgung zurückzieht. Wenn man das Problem individualisiert, also sich nur Menschen mit ausreichendem Einkommen eine Wohnung leisten können, wird man eine Million fehlende Wohnungen niemals beschaffen können. Außerdem wäre eine Politik wichtig, die auf Verdichtung setzt und die Stadt nicht weiter „ausfransen“ lässt, sondern klar vom Umland abgrenzt. Auch wenn die Ablehnung von Mietwohnungen und größeren Siedlungen jetzt noch relativ hoch ist, müsste man versuchen, durch Pilotprojekte und Genossenschaften positive Beispiele zu schaffen und so die Stimmung langsam zu verändern.

H&K: Welche Erkenntnisse lassen sich auf Hamburg übertragen?

Oßenbrügge: Was mich politisch sehr bewegt hat: Viele unserer Auseinandersetzungen um Stadtraum können wir in Südafrika fast labormäßig verfolgen. Wie sich Gebiete für Arme und Reiche dort auseinander entwickeln, die Polarisierung und Abschottung bestimmter Stadträume, das ist ein Vorgriff auf das, was uns hier erwarten wird, wenn sich die ökonomischen Bedingungen verschlechtern. Auch in Hamburger Immobilienanzeigen werden exklusive Wohnanlagen inzwischen mit Videoüberwachung und Zugangskontrolle angepriesen, zum Beispiel die Tegel-Höfe in Farmsen. Man kann in Südafrika also lernen, wie man es nicht machen sollte, aber auch, und das ist positiv, wie viele Initiativen entstehen, die nach neuen Wegen suchen.

Interview: Sigrun Matthiesen

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